PeterLicht "Pop ist, wenn es anders ist"
"Rufnummer unterdrückt", steht im Display des Telefons. Schade, aber das war zu erwarten, denn aus dem Hörer klingt es freundlich und elektronisch verzerrt: "Hallo, hier spricht PeterLicht". Dann wird der Verzerrer ausgeschaltet, und nun erkennt man die Stimme wieder. Sonst singt sie "Und wenn ich nicht hier bin, bin ich auf'm Sonnendeck - bin ich, bin ich, bin ich ..."
Das Lied war der Independent-Sommerhit des vergangenen Jahres. Obwohl es beim kleinen Berliner Label "Betrug" in kleiner Auflage veröffentlicht wurde, landete der poetische Elektro-Pop von "Sonnendeck" auf Platz zwei der Jahres-Lesercharts im "Spex", der meinungsführenden Popzeitschrift für Intellektuelle und solche, die es werden wollen; ebenfalls auf dem zweiten Rang der Bestenliste des "Zündfunk" im Bayerischen Rundfunk und gar an der Spitze der Hitliste beim österreichischen Alternativsender FM 4.
Der Interpret des Überraschungserfolges hieß Meinrad Jungblut und sollte - laut Gerüchten - ein Werbekaufmann aus Köln sein. Tatsächlich dürfte es sich dabei ebenso um ein Pseudonym handeln wie beim Namen PeterLicht, unter dem der bislang unbekannte Künstler nun seine CD "Vierzehn Lieder" herausbringt - beim Münchner Branchenriesen BMG, dem die Underground-Sensation nicht entgangen ist. Wer hinter PeterLicht steckt, will die freundliche Stimme am Telefon natürlich nicht verraten, nur so viel, dass es sich inzwischen um ein Projekt mehrerer Musiker handelt, bei dem es keine feste Besetzung gibt.
Als Versteckspiel will die Stimme, die man also PeterLicht nennen kann, das Rätselraten um ihre Identität allerdings gar nicht verstehen: "Ich möchte einfach nur meine Ruhe haben, um weiter Musik machen zu können." In der Tat schlagen die schon eilig von Journalisten herbeizitierten Vergleiche mit Daft Punk, den Residents oder auch Kraftwerk fehl, denn PeterLicht gibt nur Interviews am Telefon, sein Name ist unbekannt und Live-Auftritte sind schon gar nicht geplant. Und nachdem man einen Moment selber überlegt hat, ob er denn eher aus Köln oder Hamburg stammen könnte und nicht vielleicht ...- nach diesem Moment wird klar, dass es erst mal wirklich egal ist, wer PeterLicht sein könnte, abgesehen von blauen Bürostuhl, der ihn im Video zu "Sonnendeck" vertritt.
Enttarnt wird er vermutlich bald sowieso, was dann wohl nicht allzu spektakulär ausfallen wird und keinesfalls den Blick auf seine hervorragende Debüt-CD trüben wird, die laut PeterLicht "eine Erstveröffentlichung ist". Falls das stimmt, handelt es sich allerdings um eine verblüffend stimmige Mischung aus Elektronik und akustischen Elementen, aus LowFi-Sound vom Diktiergerät und ausproduzierten Hightech-Perlen.
Von Beatles-Harmonien und Beach-Boys-Chören über Gedanken, die von den Lassie Singers stammen müssten ("Wir sind jung und wir machen uns Sorgen über unsere Chancen am Arbeitsmarkt/Wir sind jung und wollen uns später auch mal was leisten können") bis zu billigen NDW-Synthesizern, DAF, New Order, Andreas Dorau und vielem mehr, zitiert PeterLicht alles, was gut oder angesagt ist und mischt es so geschickt mit Cello, Sitar, Gitarre und lakonischen bis lyrischen Texten, dass diese 14 Lieder schon fast eine Spur zu clever, zu smart wirken.
Eine Reihe weiterer Sommerhits im Stil von "Sonnendeck" mit seinen luftigen Beats und den eingängigen Computermelodien sucht man jedoch vergebens, zwischen dem "Lied gegen die Schwerkraft" und dem "Parkplatz am Fuße der N'Gong-Berge" findet man eher vertrackte, fragile und manchmal rätselvolle Songs, die PeterLichts am Telefon so belanglos wirkenden Satz "Pop ist, wenn es anders ist" allmählich eine Bedeutung verleihen und die Frage nach den Personen hinter dem Pseudonym immer mehr in den Hintergrund rücken lassen.
Denn da spricht die Stimme am Telefon von der "Motivation, nicht nur als Musiker zu funktionieren", von Liedern, die "eher aus dem Stillen und Privaten kommen" und davon, dass es "nicht mehr interessant ist, wenn man nur noch über sein Leben als Musiker erzählt". Und man denkt: Wenn sie die Ruhe brauchen, um solche Nummern einzuspielen und um eines der besten Alben dieses Jahres zu produzieren, dann sollen sie die haben. Es gibt schon viel zu viele Stars, die nie eine Idee hatten außer der, ein Star zu sein.
PeterLicht: "Vierzehn Lieder" (BMG/Modul), veröffentlicht am 20. August 2001