
Phil-Collins-Wiederveröffentlichungen: "Haha-Ha!"
Phil Collins über seine Karriere "Ich gehöre zum Mobiliar"

Phil Collins, 64, ist einer der erfolgreichsten Popmusiker aller Zeiten. Seine Karriere begann er als Schlagzeuger bei Genesis, deren Musik er nach dem Ausstieg von Sänger Peter Gabriel mehr und mehr auf den Pop ausrichtete. Mit Singles wie "Another Day in Paradise", "One More Night", "In the Air Tonight" oder "A Groovy Kind of Love" hatte er auch im Alleingang weltweit Erfolg. Anfang 2016 werden die entsprechenden Solo-Alben ("Face Value", "Hello, I Must Be Going", "No Jacket Required", "...But Seriously", "Both Sides") neu aufgelegt, zudem wird Collins seine Memoiren veröffentlichen und will auch an neuer Musik arbeiten. Wir trafen den Künstler an seinem Wohnort in Genf.
SPIEGEL ONLINE: Mr. Collins, wollen Sie sich entschuldigen?
Collins: Wofür?
SPIEGEL ONLINE: Für die nicht enden wollende Serie an Nummer-eins-Hits, mit denen Sie zwischen 1981 und 1991 die Achtzigerjahre definiert haben.
Collins: Wie alt sind Sie?
SPIEGEL ONLINE: 44. Warum?
Collins: Sie klingen, als ob Sie die Achtzigerjahre nie erlebt hätten oder die Ästhetik dieser Zeit ablehnen. Was haben Sie denn damals gehört?
SPIEGEL ONLINE: Ich habe die Achtzigerjahre mit den Siebzigerjahren verbracht, aber ...
Collins: Ah, Pink Floyd, Yes, Jethro Tull, Genesis…
SPIEGEL ONLINE: Nein. Genesis, bis auf "The Lamb Lies down on Broadway" konnte ich nicht ausstehen. Warum fragen Sie?
Collins: Ich hockte bei einer dieser Gruppen hinter dem Schlagzeug.
SPIEGEL ONLINE: In den Siebzigerjahren, in denen wir uns gar nicht aufhalten wollen.
Collins: Besser nicht. Ich konnte die Siebzigerjahre schon in den Siebzigerjahren nicht leiden!
SPIEGEL ONLINE: Mit Vollbart und Mütze sahen Sie damals aus wie heute die Hipster in Berlin. Aber waren Sie nicht der Judas, der bald darauf die hohe Kunst von Genesis an den Pop verkauft hat?
Collins: Ich hatte nie eine große Liebesaffäre mit der Kunstgeschichte. Ich mochte es, ein Teil davon zu sein. Ich mochte es dort hinter meinem Schlagzeug. Es gab da keine Schattenseiten - bis auf den Umstand, dass ich die meiste Zeit keine Ahnung hatte, worüber Peter Gabriel da vorne eigentlich singt. Ich denke, das Ende von "Supper's Ready" wird bleiben, das ist gut. Vielleicht noch "The Waiting Room" von dem Album "The Lamb Lies down on Broadway". Aber der Rest? Na ja. Ich liebte übrigens auch die frühen Yes. Die frühen Yes, wohlgemerkt!
SPIEGEL ONLINE: Als sie Jazzrock machten?
Collins: Genau. Ich sah sie und wäre ihnen beinahe beigetreten. Ich schleppte einmal ihr Equipment, und ihr Schlagzeuger Bill Bruford war mein Idol. Pink Floyd fand ich nicht so toll, Van der Graaf Generator waren eigentlich die besseren Genesis. Sie waren überhaupt die Besten, viel düsterer als alle anderen Gruppen dieser Epoche.
SPIEGEL ONLINE: Unter Ihrer Führung verwandelten sich Genesis komplett in eine Hitmaschine. Sie haben dazu beigetragen, diese Epoche zu beenden. Was ist passiert?
Collins: Drumcomputer. Aber wir haben es nicht geplant. Es ging, nachdem Peter Gabriel ausgestiegen war, einfach noch steiler aufwärts als zuvor schon. Es ist einfach passiert. Zuvor konnten wir als Gruppe frei improvisieren, und so schrieben wir auch unsere Songs. Das haben wir noch bis "I Can't Dance" so gemacht. Als wir Ende der Siebzigerjahre unsere ersten Drumcomputer hatten, waren die Dinge plötzlich auf einen 4/4-Takt festgelegt. Wenn ich einen komplizierten Rhythmus spielte oder den Takt wechselte, mussten die anderen Musiker darauf reagieren. Mit einer Maschine, die all das nicht tut, wurde das Songwriting etwas einfacher. Ich hatte plötzlich die Hände frei. Zugleich ging auch die Epoche zu Ende, und das war nicht nur unser Fehler…
SPIEGEL ONLINE: Sie sprechen vom Punk?
Collins: Ja. Sie wissen ja, wie's läuft. Gitarrenbands kommen, Gitarrenbands gehen. Dinge ändern sich. Sie tragen sicher auch nicht mehr die gleichen Klamotten wie vor 30 Jahren…
SPIEGEL ONLINE: Sie aber schon! Glamourös waren Sie auch in den Achtzigerjahren nicht. Sie hatten mehr Hits als ein Außerirdischer wie Michael Jackson, sahen aber aus wie der Typ von nebenan.
Collins: Ich bin der Typ von nebenan! Oder wie wirkte ich auf Sie?
SPIEGEL ONLINE: Aggressiv.
Collins: Aggressiv? Ich?
SPIEGEL ONLINE: Wenn man zwölf Jahre alt ist und "Mama" hört und dann dieser Typ von nebenan plötzlich so heiser und irre lacht… das hat schon etwas Dämonisches.
Collins: Ah, verstehe. Das Lachen (lacht heiser und irre)! Das war Grandmaster Flash, "The Message" (rappt): It's a jungle sometimes, it makes me wonder how I keep from going under! Haha-ha! Das war damals aktuell, als wir gerade im Studio waren. Wir fanden dieses Lachen fantastisch, und da habe ich es übernommen. Ein wenig böser als das Original. Die Kinder lieben es! Meine Kinder, die Kinder von Tony Banks (Keyboarder von Genesis, Anm. d. Red.), die Kinder meiner Verwandten, alle sagen sie: "Mach uns dieses Lachen!" Und mache ich es, rennen sie schreiend weg. Das hätten Sie wohl nicht gedacht, dass Genesis gerne Grandmaster Flash hörten, was?
SPIEGEL ONLINE: Ich habe eine alte Musikkritik gefunden, in der es heißt, die alten Genesis seien "zu kunstwollend, zu intellektuell". Ihre eigene "Solokarriere scheint kommerzieller und deshalb befriedigender, auf eine engere Weise". Kommt Ihnen das bekannt vor?
Collins: Das ist aus einem Monolog von Patrick Bateman, dem irren Serienmörder in "American Psycho" von Bret Easton Ellis. Ich kenne das Buch, ich kenne den Film. Demnächst machen sie ein Musical daraus, für den Broadway. Wussten Sie das?
SPIEGEL ONLINE: Nein.
Collins: Ich habe es gerade erst erfahren. Sie wollen nämlich einen meiner Songs darin verwenden. Damals schickte uns der Autor das Buch, weil wir darin vorkamen. Meine erste Reaktion war: Ich möchte das nicht lesen. Da hatte ich sozusagen gerade meinen "Das Letzte, was wir brauchen, ist ein glamouröser Serienkiller"-Hut auf. Den Film musste ich aber sehen, weil da ständig unsere Musik lief. Ich fand ihn witzig.
SPIEGEL ONLINE: Witzig?
Collins: Auf eine dunkle und kranke Weise komisch, ja. Ich sollte den Film vielleicht noch einmal sehen, um zu verstehen, worum es da geht.
SPIEGEL ONLINE: Vielleicht um das Grauen unter der Oberfläche der modernen Konsumkultur.
Collins: Ach, Oberflächlichkeit. Das höre ich oft. So gesehen trifft die Kritik es ganz gut. Genesis waren zu ambitiös, meine Musik war ein wenig beschränkt. Was soll ich tun? Ich habe immer mehr Kritik als Lob eingesteckt, und das ist mein Problem. Wenn mir jemand sagt, ich könnte der "Pate moderner Popkultur" sein, glaube ich das und bin gerührt. Wenn mich jemand als den Antichrist bezeichnet, glaube ich das auch. Obwohl… vielleicht dann doch nicht.
SPIEGEL ONLINE: Was finden Sie denn selbst?
Collins: Ich weiß es nicht. Bald kommen meine alten Sachen aus den Achtzigerjahren neu heraus. Ich höre mir das an und versuche herauszufinden, was ich selbst bedeute. Mich gibt es schon so lange, ich gehöre zum Mobiliar. Vielleicht ist es ein hübsches Möbelstück. Vielleicht ist es auch zu bequem? Ich weiß es nicht. Und dann lese ich, Alicia Keys mag mich. Pharrell Williams mag mich. Vielleicht war ja nicht alles schlecht. Wenn meine Sachen totgespielt werden, ist das einerseits nicht mein Fehler. Andererseits kann ich gut verstehen, dass Leute von mir angekotzt sind. Und ich möchte mich dafür wirklich entschuldigen. Es war nicht böse gemeint.
SPIEGEL ONLINE: Sie waren so allgegenwärtig in den Achtzigerjahren, dass Ihr Name heute fast zur Chiffre für "uncool" geworden ist…
Collins: Ich will nicht defensiv oder aggressiv klingen, aber: Ich habe nicht darum gebeten. Ich bin gefragt worden, ob ich bei Led Zeppelin am Schlagzeug sitzen, Soundtracks für Disney machen oder in Filmen mitspielen will. Aber natürlich wollte ich! Ich habe das nicht gemacht, um sagen zu können: "Seht her, ich kann alles! Und außerdem bin ich auch ein Schauspieler!"
SPIEGEL ONLINE: Ihr Flug mit der Concorde, um 1985 bei "Live Aid" sozusagen gleichzeitig auf zwei Kontinenten aufzutreten - ist eine so hedonistische Geste nicht typisch für die Achtzigerjahre?
Collins: Ich sag Ihnen, wie's war. Bob Geldof rief mich an: "Hast du die Nachrichten gesehen?" Und ich so: "Nein, ich bin im Studio!" Und er: "Also, sie sterben in Äthiopien. Wir müssen etwas dagegen tun!" Ich: "Wirklich? Ich spiele gerne Schlagzeug mit irgendwem". Denn ich spiele Schlagzeug mit jedem, müssen Sie wissen. Als dann Live Aid geplant wurde, meinte Geldof: "Du spielst in England an dem Tag. Aber, na ja, Eric Clapton ist in Amerika… und Robert Plant ist in Amerika. Und du könntest es schaffen, mit ihnen zu spielen!" Die Idee mit der Concorde hatte dann der Veranstalter, Harvey Goldsmith. Die Leute dachten, ich sollte das Bindeglied zwischen den Konzerten in Philadelphia und London sein. Und ich dachte, auf diese Weise könnte ich mit meinen Freunden ein wenig Musik machen. Rüber kam es dann als diese Jet-Set-Angeberei (seufzt). Es ist ein Minenfeld.
SPIEGEL ONLINE: Wir haben über Ihre Sünden gesprochen. Was würden Sie als künstlerische Großtat verbuchen?
Collins: "Easy Lover". Wenn Sie diese Platte heute auflegen, klingt sie noch immer gut. Sie altert nicht. Das Video altert, Sie altern, ich altere. Deshalb habe ich für die neue Auflage dieser Platten aus den Achtzigerjahren alle Cover noch einmal neu aufgenommen. Selber Winkel, gleiches Licht, nur eben mein Gesicht von heute.
SPIEGEL ONLINE: Oh, eine coole Idee.
Collins: Sehen Sie? Ich bin cool (lacht und klatscht in die Hände)! Sie mussten es zugeben! Sie mussten es zugeben!