
Neues Pink-Floyd-Album: Das Rad angehalten
Pink-Floyd-Album "The Endless River" Ausgebrannt, aber funkelnd
Und dann tut's einen Schlag. Eben noch war diffuses Geflirre zu hören und Gemurmel. Und plötzlich rollt mit kurzem Anlauf etwas heran, das Hosenbeine und Herzklappen flattern lässt. Der delikate Klang des Donners. Es ist der gleiche Gong, der schon 1972 in dem Film "Live in Pompeii" eine Hauptrolle spielte, am Rechner noch tiefer gelegt und um ein ganzes Bündel anderer Geräusche verstärkt. Die Klangschleppe einer durchbrochenen Schallmauer vielleicht oder auch die Druckwelle einer Atombombe.
Wenn's nur ums Geld ginge - Pink Floyd könnten es sich leisten. Das Geräusch ist kein schlechter Einstieg in das finale Album einer Gruppe, die in den bald 50 Jahren ihres Bestehens immer wieder den reinen Klang in ihre Musik geholt hat, als wäre er ein eigenes Instrument - von brutzelnden Spiegeleiern in "Alan's Psychedelic Breakfast" über den seltsam verlorenen Sendersuchlauf am Anfang von "Wish You Were Here" bis zu den Glocken am Ende von "High Hopes".
Dass "The Endless River" nach einer Textzeile aus diesem 20 Jahre alten Song benannt ist, ist programmatisch und nicht die einzige Anspielung auf die eigene Geschichte. "The Endless River" hat mit schätzungsweise einer Quadrupillion Vorbestellungen schon jetzt alle Rekorde gebrochen. Es kräht also noch der eine oder andere Hahn nach einer Band, deren beste Zeiten seit wahlweise 46 oder 30 Jahren verstrichen sind - je nachdem, ob der Ausstieg von Syd Barrett oder von Roger Waters mehr beweint wird. Barrett war so etwas wie die erste Brennstufe, die beim Aufstieg abgesprengt werden musste. Waters war der Kreiselkompass, der die Rakete danach auf Kurs hielt und in ihren Orbit führte. Ohne ihn schwebt es nun da oben. Ausgebrannt und nutzlos, aber funkelnd.
Für Ambient zu dramatisch, für Drama zu ambient
Beherrscht wird "The Endless River" wie Pink Floyd von David Gilmour, der während seiner Regentschaft die vergangene Größe verwaltete, kapitalisierte und nebenbei durch Bombast ersetzte. "A Momentary Lapse of Reason" (1987) war immerhin so etwas wie der Zuckerguss auf den Achtzigerjahren, die schwerfällige "The Division Bell" (1994) nahm immerhin die späteren Coldplay vorweg. Nur konnte ein "immerhin" nie genügen. Nicht für Pink Floyd, bei denen manchmal alle Mittel sich auflösten im Gelingen, als seien sie gar nicht da.
Jetzt hört man die Arbeit. Gilmour und Mason, die beiden verbliebenen Mitglieder der Band, haben vor allem aus Überresten der "Division Bell"-Sessions, Küchenabfällen des verstorbenen Rick Wright, so etwas wie einen Nachruf auf sich selbst gezaubert. Die Form ist ein Wagnis. Eine Stunde Instrumentalmusik? Mit einem einzigen Song als Schlussstein? Gab's seit Mike Oldfields "Ommadawn" nicht mehr. Die Stücke gehen ineinander über, ohne dass so etwas wie Stringenz oder ein Spannungsbogen zu spüren wäre. Für Ambient ist es zu dramatisch, für Drama zu ambient. Skizzen eben, luxuriös nachaquarelliert. Klassizistische Miniaturen mit Pink-Floyd-Geschmack, wie man sich überhaupt einen Spaß daraus machen kann, die einzelnen Titel auf ihre stolzen Vorbilder abzuhorchen.
"It's what We Do" klingt mit seinen stehenden Tönen wie ein verschollenes "Shine On You Crazy Diamond Part X". Da erklingt die Stadiongitarre aus "Sorrow", dort die Rototom aus "Time". Und ist das nicht das metallische Schubbern aus "Welcome to the Machine"? Omnipräsent ist das Bluesschema von "Us and Them", Spurenelemente von "One of my Turns" sind nachweisbar. Und das legendäre Ostinato aus "Run like Hell" ist "all over the place".
Alles da, und alles in Aspik
Eine nicht unangenehm verwirrende Prozession ehrwürdiger Akkorde. Und während man sich noch fragt, woher man sie kennt, beginnt schon das nächste Stück. Alles da, und alles in Aspik. Dabei hat man Pink Floyd selten so "spielfreudig" erlebt. Manchmal sind sie sogar zu spielfreudig, wenn etwa Gilmours verplapperte Gitarre lauthals verkündet, was Wrights Keyboard nur geraunt hatte. Anwesend sind nicht nur die Musiker, anwesend ist auch der ewige Topos der Abwesenheit. Wie schon auf "The Division Bell" doziert Gaststar Physiker Stephen Hawking mechanisch: "All we need to do is make sure that we keep talking". Und der einzige echte Pink-Floyd-Song™ ("Louder Than Words") handelt mit seinen Uh-Uh-Chorälen und dem E-Gitarrensolo von der Sprachlosigkeit.
Alles klingt warm und weich und allzu dicht, um tief sein zu können. Längst fehlt Pink Floyd das Interesse an Gliederung des musikalischen Raums, an Architektur. Es ist Trümmermusik - deren einzelne Bruchstücke freilich so gewaltig sind, dass sie Legionen aus Epigonen als Fundamente für ganze Karrieren dienen können. Und umso größer die Freude über eine gezeitenhaft dahinströmende Klangküstenlandschaft wie "Calling", die beinahe surreal zu nennen ist. Es wird, etwa im meditativen Limbo nächtlicher Autobahnfahrten, seine soghafte Wirkung nicht verfehlen. Natürlich können Pink Floyd "das Rad nicht neu erfinden". Sie können es auch nicht neu in Schwung setzen. Aber sie haben dieses Rad einmal erfunden. Jetzt, mit ihrem besten Album seit immerhin 27 Jahren, halten sie es ganz behutsam an. Immerhin. Das muss genügen.
Pink Floyd - "The Endless River". Warner, ab 7. November