
Pink Floyd Cover: Surrealer Murks
Cover des neuen Pink-Floyd-Albums Erlesene Scheußlichkeit
Es ist, als würde sich plötzlich die große Liebe unseres Lebens wieder melden. Um einen letzten Besuch bei uns anzukündigen. Wird sie noch einmal jene sinnlichen oder intellektuellen Reize entfalten, mit denen sie uns einst den Kopf verdreht hat? Oder wird sie noch immer so öde und aufgeschwemmt sein wie bei unserer letzten Begegnung vor 20 Jahren? Wir sind gespannt. Und weil unsere große Liebe das weiß, schickt sie freundlicherweise eine Postkarte voraus. Damit wir uns einen Eindruck machen und vorfreuen können. Mit zitternden Händen öffnen wir also den Briefkasten - und können es nicht fassen. Wir sehen einen weinenden Clown. Oder in das Gesicht der Diddlmaus. Einen tätowierten Männerarm, auf dessen Bizeps ein Säugling schläft. Bonbonfarbene Einhörner im gestreckten Galopp. Hello Kitty.
All diese Motive zusammen erzeugen nicht annähernd eine so brechreizende Bestürzung wie das Cover der kommenden Platte von Pink Floyd. "The Endless River" erscheint am 7. November. Schon jetzt prangt das Cover überdimensional auf den Fassaden und Brandmauern von Häusern in London, New York, Los Angeles, Sydney, Paris, Mailand oder Berlin. Als U2 kürzlich für geschätzte 100 Millionen Dollar ihr neues Album an Apple verkauften, damit der Konzern seine Kundschaft damit zwangsbeglücken konnte, war das eine soziale Zudringlichkeit, mehr nicht. Das Cover von "The Endless River" aber ist eine globale ästhetische Katastrophe.
Alle Welt Ü40 schaut hin. Und dann das, dieser Tritt in die Magengrube. Ein schlanker Mann paddelt stehend einen hölzernen Nachen über ein fluffiges Wolkenmeer der soeben am Horizont untergegangenen Sonne entgegen. Er trägt modische Cargohosen, sein weißes Hemd steht offen und soll wahrscheinlich das verstorbene Bandmitglied Richard Wright auf seinem Weg in den Hades verkörpern. Es könnte aber auch der Typ vom Cover der "Momentary Lapse of Reason" sein. Oder Konstantin Neven DuMont. Wer sich niemals mit dem Gedanken trug, einmal eine Boden-Luft-Rakete abzufeuern - der wünscht es sich spätestens beim Anblick der Homepage. Man klicke sie auf eigene Gefahr an , denn dort ist das Grauen auf die Spitze getrieben und das Motiv animiert.
Ästhetisch erinnert es an die frommen Illustrationen im "Wachturm", an die Plakate einer Pferderevue wie "Apassionata" ("Zeit für Träume"), an Szenen aus "Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger" - und leider auch an besonders missratenes Artwork von Pink Floyd, man denke nur an das Box-Set "Shine On". Zuständig für die meisten und meistens bahnbrechenden Cover dieser Band war der Designer Storm Thorgerson und seine Firma Hipgnosis. Eine hyperrealistische Kuh. Ein Prisma vor schwarzem Hintergrund. Ein brennender Mann, der einem nicht brennenden Mann die Hand schüttelt. Ein fliegendes Schwein über brutalistischer Architektur. 700 echte Krankenhausbetten am Strand. Keine Spezialeffekte, kein Photoshop, keine optischen Tricks - echtes, großes, ikonisches Theater.
Surrealer Murks vom Fließband
Wie Bob Dylan die Lyrics und die Beatles den Pop, so haben Pink Floyd die Kunst des Covers überhaupt erst erfunden. Und mit ihrer Musik dem Genre eine Majestät und Würde geschenkt, gegen die der Punk einst aufbegehrte und von der sie sich nun freiwillig verabschieden. Wäre Roger Waters schon tot, er würde sich im Grabe herumdrehen. Syd Barrett ist schon tot und rotiert längst wie ein Dynamo, mit dessen Strom sich eine komplette Pink-Floyd-Laser-Lightshow speisen ließe.
Thorgerson ist auch tot. Deshalb suchte Hipgnosis selbst einen Nachfolger, der das spezifische "Feeling" rüberbringen sollte - und stieß "im Internet" auf den per digitaler Bildbearbeitung zusammengestoppelten Fließbandkitsch des bisher völlig unbekannten Ägypters Ahmed Emad Eldin. Ihm ist für seinen surrealen Murks kein Vorwurf zu machen. Der junge Mann ist erst 18 Jahre alt und gehört zur "Pink Floyd? Ich wusste gar nicht, dass P!nk einen Nachnamen hat!"- Generation.
Was aber hat Pink Floyd - also den Gitarristen David Gilmour und seine Ehefrau - geritten, dermaßen tief ins Klo zu greifen? Instinktlosigkeit? Müdigkeit? Die Erkenntnis, dass ein globales Produkt ein globales Design braucht, wie sich auch moderne Modelle von Jaguar oder BMW am Geschmack chinesischer Parteibonzen, russischer Oligarchen oder afrikanischer Despoten orientieren?
Vielleicht war es ja britischer Humor. Gewiss, es lässt sich der Anblick des Covers in seiner erlesenen Scheußlichkeit schwerer von der zerebralen Festplatte löschen als das kostenlose U2-Album aus der Mediathek. Ohnehin könnten die Erwartungen an Songs niedriger kaum sein, die weitgehend auf verworfenen Skizzen für das bisher armseligste Pink-Floyd-Album ("The Division Bell", 1994) beruhen.
Vielleicht ist eben deswegen noch Hoffnung, dass uns die große Liebe nur einen Streich gespielt hat. Dass es Samples vom jazzigen Orgelspiel des jungen Richard Wright geben wird, Gesprächsfetzen von 1968 und Wolkenbrüche, ein Ambiente wie bei Brian Eno und einen Puls wie bei The Orb, dass "The Endless River" überraschend undoof wird und weit und warm. High Hopes, gewiss. Aber es ist schlechterdings keine Musik denkbar, die danach klingt, wonach dieses Cover aussieht.
Anmerkung: In einer früheren Version dieses Textes wurde versehentlich das Totenreich Hades mit dem ihn umgebenden Fluss Styx oder auch Acheron verwechselt. Zudem schlich sich ein Tippfehler in den Namen der Grafikdesignfirma Hipgnosis ein. Beidem wurde nun abgeholfen.