Pop-Duo Rosenstolz Erfolg im Querformat

Gestern noch zwischen allen Stühlen, heute auf dem Pop-Thron: Das Berliner Duo Rosenstolz hat sich einen festen Platz in den deutschen Charts erkämpft. Der Massen-Erfolg der beiden Musiker zeigt einmal mehr den Übergang der schwul-lesbischen Subkultur in den bürgerlichen Mainstream.
Von Thomas Winkler

Henrike ist sieben Jahre alt, lebt in Mecklenburg und hat sich im Krankenhaus nach einem Verkehrsunfall von Rosenstolz trösten lassen. Claudia erhofft sich von der aktuellen Single Kraft für ihre anstehende OP, Marcel tröstet derselbe Song über das kürzliche Ende seiner vierjährigen Beziehung hinweg. Nezza hat selbst eine Band, aber ihr "größtes Vorbild ist und bleibt Rosenstolz". Anna aus Berlin will dieses Jahr wieder zusammen mit ihrer Mutter zum Konzert, Diana aus Leipzig will Ehemann und Tochter mitnehmen und die "Travestie Show Petra Kess" freut sich auf den Auftritt in Frankfurt. Gerhard aus Mainz kam über seinen Sohn zu Rosenstolz, Kerstin durch ihre Freundin, und Lena "mag" das Berliner Duo, aber findet Tokio Hotel "auch geil". Monika und ihr Freund legen immer noch die frühen Klassiker "Nymphoman" auf, wenn sie "miteinander zusammenschlafen", und eine "Bärenfrau" sucht eine "liebe, nette Maus für zärtliche Stunden".

Ob Erika aus der Schweiz, Lucy aus der Slowakei, Thesi aus Österreich, ob hetero oder homosexuell, minderjährig oder erziehungsberechtigt, aus Ost oder aus West, sie alle haben sich verewigt im Gästebuch der Rosenstolz-Homepage.

Dort werden sie nun diskutiert, die ersten Erlebnisse mit dem 13. Album seit 1992, nicht mitgezählt diverse Live-Platten und Best-of-Compilationen. Dass Rosenstolz auf "Das große Leben" den elektronischen Billigsound ihrer frühen Tage endgültig durch den eher erdigen Sound ihrer Live-Band ersetzt haben, dass sie ruhiger geworden sind, melancholischer, dass die fröhlichen Mitsing-Nummern zunehmend fehlen, das scheint nur die wenigsten der altgedienten Fans zu stören. Das Publikum ist nicht nur immer größer geworden, sondern zum Teil auch groß geworden mit der Band, die nun zu den erfolgreichsten Deutschlands gehört. Das letzte Album "Herz" stieg auf Platz eins der Charts ein und verbuchte zwei Platin-Auszeichnungen. Von "Das große Leben" ist zumindest Vergleichbares zu erwarten, für den Sommer sind bereits drei Termine allein in der Freilichtbühne Wuhlheide in Berlin angesetzt.

Zum Interview lädt das Duo in die Agentur, die zum eigenen, mittlerweile durchaus mittelständischen Mini-Konzern gehört, der Peter Plate und AnNa R. die vollständige künstlerische Kontrolle über alle ihre Aktivitäten garantiert. Angemietet hat man Räume im Berliner Stadtteil Schöneberg, wo sich alljährlich zum Christopher Street Day die schwul-lesbische Szene mit einem riesigen Straßenfest selbst feiert. An den Wänden glänzen Schallplatten in Gold und Platin: Eine davon für das Album "Kassengift". Damals, im Jahr 2000, war der Titel schon mehr nur eine ironische Anspielung. Denn lange galten Rosenstolz als nicht formatgerecht für den Mainstream, sondern als Phänomen, das ausschließlich von Homosexuellen und ihren besten Freundinnen wahrgenommen wurde: Für diese Pärchen bildeten Peter Plate und Anna R. die perfekte Projektionsfläche.

Funktionierende Flüsterpropaganda

Allerdings: Eine Umarmung durch die Schwulen-Szene bedeutete in der Vergangenheit meist das Aus für weiter gespannte Ambitionen von Musikern. Entdeckte die schwule Subkultur eine Künstlerin, war denen - wie k.d. Lang oder der späten Marianne Rosenberg - zwar eine treue Fanschar garantiert, aber fortan der Weg in den Mainstream weitgehend verbaut. Rosenstolz sind die einzige Popgruppe hierzulande, der es gelungen ist, den umgekehrten Weg zu gehen. "Ohne den Rückhalt der Schwulen-Szene", sagt Plate in der Küche der Agentur, "würden wir dieses Interview nicht führen."

Der Verfasser der allermeisten Rosenstolz-Songs, der als prägende Platte seiner Jugendzeit "Super Trouper" von ABBA angibt, erzählt, dass "Anna die erste Frau war, die jemals auf der Bühne des SchwuZ stand", und man dort, im schwulen Berliner Kommunikationszentrum, erst einmal ausgebuht wurde. Dann setzte die in der Szene stets gut funktionierende Flüsterpropaganda ein und "irgendwann hat es Klick gemacht, dann war es die große Liebe - jedenfalls mit einem gewissen Teil der Szene. Aber das hat gedauert."

Länger dauerte es, bis Rosenstolz den sogenannten Crossover in den Mainstream geschafft hatten, und noch einmal entschieden länger, bis das von den etablierten Medien - wenn auch knirschend - zur Kenntnis genommen wurde. Der Erfolg aber kam ohne deren Unterstützung zustande: Das bürgerliche Feuilleton und das Radio ignorierten Rosenstolz standhaft und sperrten sie weg ins schwule Ghetto. So saß man, zu intelligent für den Schlager-Markt, zu kitschig für die Pop-Intelligenzija, zwischen allen Stühlen. Doch den Konsumenten war's egal: Als sie durch ihren zweiten Platz beim nationalen Vorausscheid zum Grand Prix 1998 hinter einem mittlerweile nahezu vergessenem Guildo Horn endgültig einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurden, hatten sie längst exorbitante Verkaufszahlen und ausverkaufte Tourneen vorzuweisen, die manchen Medienliebling in den Schatten stellten. Auch, so AnNa R., weil "Männer sich nicht mehr schämen mussten, dass sie Rosenstolz gut finden".

Deutsch-deutsche Erfolgsgeschichte

Mittlerweile, hat Plate festgestellt, ist die Verankerung in der Schwulen-Szene und sein eigenes Schwulsein "immer weniger ein Thema". Tatsächlich kommen zu den Konzerten, hat AnNa R. beobachtet, inzwischen sogar Kleinfamilien samt "vielen Kindern von sechs bis zwölf". Ist Rosenstolz also zur Familienmusik geworden? Antwortet AnNa R.: "Absolut". Ebenso wenig scheint es mittlerweile von Bedeutung, dass die Ostlerin AnNa R., 35, und der Westler Plate, 38, auch eine deutsch-deutsche Erfolgsgeschichte geschrieben haben, eine doppelte gar: "Jetzt ist Anna auch noch mit einem Westler verheiratet und ich mit einem Ostler, aber zwischen uns war das eh nie ein Thema." Tatsächlich aber gehören Rosenstolz zu den wenigen Bands, die in Ost und West gleichermaßen erfolgreich sind.

Aber wie haben sie das geschafft? Zum einen sind Plates Texte, denen kein Gefühl zu groß ist, so allgemein gehalten, dass jeder, meint seine Partnerin, "in den Songs irgendwann eine Situation findet, die ihm auch mal passiert ist". Andererseits sind die Melodien zu diesen Texten, die AnNa R. singt, ausreichend eingängig. Zudem hat die schwule Subkultur ihren Status als ästhetische Avantgarde verloren und ist größtenteils im politischen und sozialen Mainstream aufgegangen. Auch deshalb kann Rosenstolz der Spagat gelingen, sich die Glaubwürdigkeit in der schwulen Basis zu erhalten und gleichzeitig Wünsche und Sehnsüchte des bürgerlichen Hetero-Publikums auf den Punkt zu bringen. "Die Annäherung von beiden Seiten", wie Plate sie nennt, ist vollendet.

So lassen sich Rosenstolz ihre Tournee von einem prominenten Schwarzbier-Brauer sponsern, unterstützen selbst aber mit 5000 Euro jährlich die Zweit-Liga-Fußballerinnen von Tennis Borussia Berlin. Dass die erste, ausgekoppelte Single den Titel "Ich bin ich (wir sind wir)" trägt, passt ebenso ins Bild wie die Tatsache, dass "Anna" und "Peter" auf der eigenen Website konsequent mit den Fans per Du verkehren und bei ihren Konzerten, so Plate, "ein totales Wir-Gefühl" entsteht.

Im gemeinsamen Absingen der Hits des Duos wird der Status kultiviert, sich immer noch gegen eine angeblich feindlich gestimmte Öffentlichkeit behaupten zu müssen: Als Fan von Peter Plate und AnNa R. darf man sich auch zusammen mit Hunderttausenden von Gleichgesinnten noch als Außenseiter, als Elite fühlen. Darin sind sich die Anhänger von Rosenstolz einig mit denen einer ähnlich erfolgreichen Band aus deutschen Landen. Der Gefolgschaft der Böhsen Onkelz allerdings, das mag dann als Ironie dieser Erfolgsgeschichte gelten, würden wohl weder "Bärenfrau" und irgendein anderer Rosenstolz-Fan gern in der Dämmerung begegnen.


Rosenstolz: "Das große Leben" ist bei Island/Universal erschienen

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