
Pop-Kollektiv HGich.T Lady Dada trifft auf Sir Gaga
Drehpause am Fuße des weißen Marmorengels auf dem Ohlsdorfer Friedhof, weit im Hamburger Norden. Der Akku ist leer, die Kameramänner laufen zum nächsten Imbiss, um ihn aufzuladen. Sascha, der seinen Kinnbart zu einem Zopf geflochten hat, dreht noch einen Joint, die Wodkaflasche geht rum. Es ist Freitag, früher Abend, Maike verscheucht schimpfend die Mücken, die ihr unter das knappe Hochzeitskleidchen fliegen. Arne, ein Hüne mit Raver-Iro, trägt neben einer grünen Seniorenwindel nur eine Plastikjoppe in orangener Signalfarbe. "Bauarbeiterwesten sind gefüttert, das hier ist eine Warnweste", erklärt er. "So was muss jeder im Auto haben."
HGich.T drehen ihr neues Video. Ein Drehbuch gibt es nicht, nur so viel ist klar: Die fröhliche Maike mit den Rastalocken und der windeltragende Arne, der wie eine Karikatur des Prodigy-Tänzers Keith Flint wirkt, spielen ein Hochzeitspaar. Die beiden sind auch die Stars in den bisherigen Videos, mit denen HGich.T - ausgeschrieben "Heute geh ich tot" - auf YouTube regelmäßig die Millionengrenze knacken. "Hauptschuhle" zum Beispiel: Ein 51-Sekunden-Clip, in dem die zwei auf einem norddeutschen Acker knöcheltief im Schlamm herumhüpfen, dazu wummernder Trance-Techno und eine überkippende Stimme, die Nonsenszeilen shoutet: "Günther Jauch in der Disco! Zwei Titten - was kommt raus?"
An dem Werk des Kollektivs aus Videokünstlern, Musikern und Darstellern, die in der bürgerlichen Welt Mathematiker, kaufmännische Angestellte, Kunststudenten, Medien-Freelancer und ähnliches sind, scheiden sich die Geister. Die einen krümmen sich vor Lachen, die anderen wenden sich mit Grausen ab. Die Userkommentare auf YouTube reichen von "total kranker Scheiß" bis "sooo geil". Dazwischen gibt es wenig.
Die Grenzdebilität der Spaßgesellschaft
Nachdem "Hauptschuhle" im Netz explodierte, wollte eine große Plattenfirma die Rechte zur Klingelton-Vermarktung kaufen. HGich.T lehnten ab, weil das Angebot zu schlecht war. "Jetzt machen sich die Kids den Klingelton halt selbst", sagt Maike. "Ist doch super." Das Debütalbum "Mein Hobby: Arschloch" erscheint bei dem kleinen Hamburger Label Tapete Records.
Rave-Gassenhauer aus dem Unterbewusstsein von Dauerkiffern, Hartz-IV-Empfängern oder Muttersöhnchen: Auf "Mein Hobby: Arschloch" paaren sich Grenzdebilität, Ausgelassenheit und menschliche Abgründe. Man ist sich unsicher und soll es auch sein: Ist das jetzt Drogenverherrlichung für Party-Primaten? Oder Zustandsbeschreibung einer zur Grenzdebilität verkommenen Spaßgesellschaft?
Natürlich ist auch "Tutenchamun" auf dem Album, der vielleicht obskurste Sommerhit der Saison. In dem dazugehörigen 7-Minuten-Video spielt Arne einen verpeilten Goa-Raver, der von einer Polizeikontrolle berichtet. "Mein Name ist Garfield, ja? Ich war schon immer da, ja?" stammelt er und nötigt dem grinsenden Polizisten mit Elfenohren seine Gesellschaftskritik auf: "Das System ist das Problem, ja? Das System hat keine Eier, ja?"
Dreh- und Angelpunkt von HGich.T, so lässt die Truppe durchblicken, ist ein gewisser Marc, 43 Jahre, der früher mal Taxi gefahren ist und offensichtlich Guru-Qualitäten besitzt. Zu sehen ist er im neuesten Video. Doch auch das könnte eine der gezielten Fehlinformationen sein, mit denen das Kollektiv sein Schaffen vernebelt. HGich.T lieben die Camouflage. Der Sänger nennt sich Anna-Maria Kaiser und taucht eher selten in Clips auf. Bei Live-Auftritten kann das Publikum seinen stream of consciousness Wort für Wort mitjohlen. Wo Sven Väth die Raver mit dem Ausruf "Feierei!" anheizt, beschwört Anna-Maria die anale Phase: "Mama! A-A!", shoutet er schweißnass. Die Gemeinde grölt entfesselt mit.
"Keine Macht den Drogen/Das ist das, was ich noch weiß."
Obwohl er auch in dem aktuellen Video nicht mitspielt, ist der HGich.T-Sänger beim Dreh auf dem Ohlsdorfer Friedhof dabei. Aber er ist nicht sehr auskunftsfreudig und möchte nicht, dass man über ihn schreibt. "Ist nicht blöd gemeint", sagt er und schaut misstrauisch. "Aber ich weiß ja gar nicht, was du eigentlich willst." Auch der Rest der bunten Truppe weiß nicht recht, wie mit der plötzlichen Medienaufmerksamkeit umzugehen ist. "Am besten finde ich ja, wenn wir gefragt werden, wie wir eigentlich auf all das kommen!", gluckst Maike und kratzt sich die zerstochenen Beine. Dann wird weitergedreht: Der windeltragende Arne schultert Paul, den jungenhaften Typ mit den langen Haaren, der in "Tutenchamun" den Polizisten spielt. Der Rest der Hochzeitsgesellschaft attackiert die beiden mit Ästen und Stöckchen.
Tja, wie kommen die eigentlich auf all das? Kuttenträger, die einen bärtigen, violinespielenden Tänzer auf einem Floß durch den Fluss ziehen, dazu ein Trance-Beat und ein Nöl-Monolog mit ödipalem Text: "Schau mal Mama, ich hab dir eine Kastanienmännchen gebaut" oder "Mama ist die Geilste/Ich pflück die Hunnies ab". Rätselhafte Welt. Der HGich.T-Klassiker "Tripmeister Eder" von 2005 lässt immerhin erahnen, dass die Ursprünge der Band irgendwo im trügerischen Rave-Nirwana der Neunziger Jahre liegen. In dem Clip tanzt ein verschmierter Jüngling vor Dokumentaraufnahmen von Goa-Partys mit stampfenden Tänzern unter Pilz- oder Ecstasy-Einfluss: "Es war vor fünfzehn Jahren/Wir tanzten soft im Kreis/Keine Macht den Drogen/Das ist das, was ich noch weiß."
Unterschichts-Dramen treffen auf Party-Witzigkeit
Als sich die Abenddämmerung über den Ohlsdorfer Friedhof senkt, stößt Karla dazu. Die schlanke Endzwanzigerin im schwarzen Sommerkleid ist so etwas wie die Pressesprecherin des Kollektivs. "Wir lieben unser Publikum", erklärt Karla, und dass man den Menschen eben einfach Freude bringen wolle. Freude bringen? Im Video "Die Geile Wiebke" singt sie mit rosiger Heiterkeit von einer finsteren Missbrauchsgeschichte: "Warum muss ich nur meinen Vater kennen?/Ich will raus aus dem Körper/Ich will kein Schwein mehr sein." Dazu Bilder von einer S/M-Gesellschaft im Wald und eine hübsche MC mit aufgemaltem Schnurrbart, die den Rap-Macker mimt und "Fucking Fuck, Fucker!" stöhnt.
Harter Stoff, verpackt in heitere Melodien - Karla lächelt vielsagend, wenn man sie darauf anspricht. Die Welt sei ja nun mal hart, sagt sie. Keine Chance, der freundlichen Pressesprecherin das Mysterium zu entlocken. Wie jedes gewitzte Popkollektiv umgibt sich auch HGich.T mit einer Aura von ahnungsloser Genialität. Auch etwas Sektenhaftes schwingt mit, wenn Karla über Marc, den Spiritus Rector spricht: "Marc ist so einer dieser Menschen, um die sich andere Menschen scharen", sagt sie versonnen, und Maike, die Rastalocken-Fee, nickt. Weil ein TV-Boulevardmagazin kürzlich unterstellt hat, HGich.T machten sich keine Sorgen um die Wirkung ihres Schaffens auf die Jugend, möchten sie aber doch noch mal klarstellen: Mit Drogenverherrlichung hätten sie nichts im Sinn. "Ich nehme überhaupt keine Drogen", versichert Maike. "Außer Alkohol und Kiffen vielleicht."
HGich.T: "Mein Hobby: Arschloch" (Tapete Records)