Pop! Muskel-TV, Pub-Pop und Bühnenprügeleien

Was ist eigentlich aus der Kultur des Musikvideos geworden? MTV streicht die Musik aus seiner Unterzeile, und Carly Simon lässt ihre Videos von Amateuren drehen. Noch schräger: die Totalausfälle von Musikern auf Konzertbühnen.
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Da lacht Dallach: Neues aus dem Pop-Universum

Foto: EMI

Blondinen- und Muskel-TV

"Video killed the Radio Star" von The Buggles war der Clip, mit dem am 1. August 1981 ein TV-Sender namens MTV in den USA loslegte und die Ära des Musikfernsehens einläutete. Das scheint so lange her wie die Altsteinzeit. In diesem Jahrtausend heißt die Losung "YouTube killed the Video Star", und als MTV America am 8. Februar diesen Jahres ein neues Sender-Logo präsentierte, war die Unterzeile "Music Television" dezent ausradiert (Deutschland soll nächstes Jahr folgen). Denn mit "M"usik hat dieser TV-Sender längst nichts mehr am Hut, was natürlich auch daran liegt, dass Musik-Clips vom Fernsehen weg ins Internet gewandert sind - wo sie aber auch keine gewichtige Rolle mehr spielen.

Die Marke MTV ist im Pop-Universum bedeutungslos geworden. Sie steht nur noch für eine untergegangene Epoche und ist ungefähr so hip wie "Fisch sucht Fahrrad"-Partys. Dieser Tage wetteifern im MTV-Programm durchtrainierte Surfer um höhensonnengebräunte Blondinen, stellen B-Rocker ihre seltsam sterilen Eigenheime zur Schau und prahlen Rapper mit aufgemöbelten Motorrädern.

So ist es die Wahrheit, wenn die amerikanische MTV-Marketing-Chefin Tina Exarhos zu Protokoll gibt, dass die Menschen, die sich so was heute noch anschauen, MTV nicht mehr als Musikfernsehen auf der Rechnung haben. Bei der Abkürzung MTV kann man trotzdem bleiben, denn das M könnte praktischerweise auch für "Muscle" stehen.

Eitle Männer

Mick Jagger

Warren Beatty

Weil die Zeiten, in denen von Plattenfirmen fürstliche Beträge in Videos investiert wurden, abgehakt sind, bestellen jetzt auch berühmte Musiker ihre Clips bei Amateuren. So wie Carly Simon, die nun auf ihrer Website  Fans auffordert, Videos für ihren legendären Hit "You're so Vain" einzureichen. Der Nummer-1-Hit von 1972 wurde nicht nur von Kollegen wie Janet Jackson, Liza Minnelli oder den Foo Fighters nachgeleiert, sondern beschäftigt bis heute Pop-Verrückte, weil die verantwortliche Künstlerin nie aufklärte, wer denn nun der "eitle Liebhaber" war, mit dem Simon da so hämisch abrechnet. Potentielle Kandidaten waren immer Ex-Gatte James Taylor und ihre prominenten Affären wie Jackson Browne, , Cat Stevens, Kris Kristofferson und ganz besonders . Viel Stoff also für jede Menge lustiger Filmchen.

Kinderkram

Für ihren ersten neuen Song seit Jahren hat sich die so rätselhafte wie begabte Amerikanerin Fiona Apple mit Nachwuchsamateuren zusammengetan. Im Rahmen eines "Songwriting Workshops" verfasste sie ein Lied mit Kindern im Alter von 7 bis 13 Jahren. Weitere prominente Teilnehmer waren die Cold War Kids und She & Him. Die vermutlich unterhaltsamen Resultate werden am 20. April auf der Compilation "Chicken in Love" der Welt zugänglich gemacht. Vorbestellen kann man das Werk hier .

Auf der Bühne verirrt

Auch auf einer sehr lustigen Liste des Blender.com-Blogs  mit 14 Totalausfällen von Musikern auf Konzertbühnen ist Fräulein Apple vertreten. Anlass war ein weiterer Ausfall des Bestseller-Gitarristen John Mayer, der sich jüngst schon mit einem grotesken "Playboy"-Interview zum Narren machte. Das endlich auch realisierend, übermannten Mayer am 10. Februar in Nashville während eines Konzerts die Tränen, und er entschuldigte sich aufgelöst bei Gott und der Welt. Dazu addierten die "Blender"-Autoren berühmt berüchtigte Konzertaussetzer von Fiona Apple ("If there are any critics here who give me a bad review because of this I'll fucking kill you"), U2 (verirrten sich im Bühnennebel), Jefferson Starship ("Heil Hitler!" in Hamburg) oder The Pogues (Bühnenprügelei).

Prost!

Als Sänger und Songwriter von Bands wie The Housemartins und später The Beautiful South wurde der Brite Paul Heaton reich und bekannt. Nun meldet sich der gewitzte Marxist mit einer Solo-Konzertreise durch Großbritannien zurück. Und weil er immer noch einen Hang zu besonderen Auftritten hat, wird Heaton seine "Pedals and Pump"-Tour auf einem Fahrrad absolvieren. Aufspielen wird er nur in traditionellen britischen Pubs. "Ich freue mich darauf, Werbung fürs Fahrradfahren und für alte Pubs zu machen. Es macht mich traurig, dass diese Sorte von Pubs fast wöchentlich dichtmacht, und ich hoffe, dass ich einige Menschen an diese Orte zurücklocken kann", verkündete er. Seine Shows sind für Mai geplant, genaue Termine werden noch bekanntgegeben.

Abgehängt

Massive Attack

Eine Zensur der besonderen Art erlebten nun die TripHop-Veteranen von . Die Werbeplakate für ihr neues Album "Heligoland" fielen den Chefs der Londoner U-Bahn unangenehm ins Auge, weil sie ihrer Meinung nach zu sehr an Graffiti erinnern. Weil diese Freigeistkunst in Londoner U-Bahn-Stationen streng verboten ist, mussten die Massive-Attack-Plakate wieder weg. "Alles, was nur entfernt an Graffitis erinnert, ist da verboten. Das ist die absurdeste Form von Zensur, die ich je erlebt habe", schimpft Massive-Attack-Mann Robert Del Naja, der nun neue Plakate entwerfen will.

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