Pop-Prinzessin gesucht Drei Girls in der Hypemaschine
Weil die Briten Pop so sehr mögen wie Sport und Wetten, ist es beinahe ein nationales Hobby, Wettrennen zwischen Popstars auszurufen; Duelle wie die zwischen den Beatles und den Stones, Oasis gegen Blur, zuletzt der Wettkampf der "nächsten Amy Winehouses", Adele und Duffy. Diese beiden wurden - und hier kommt das Wetten ins Spiel - Anfang 2008 in einer großen Umfrage der BBC unter Musikexperten zu den kommenden Newcomern des Jahres gewählt.
Im vergangenen Januar nun wurde drei Frauen prophezeit, dass sie zu den fünf Acts gehören werden, die den "Sound of 2009" bestimmen: Little Boots, Florence & The Machine und La Roux. Jetzt, da das Jahr halb um ist und alle drei ihre Debütalben herausbringen, ist es Zeit für einen Zwischenzeugnis dieser Klasse von 2009.
Siegerin in der BBC-Umfrage war Little Boots. Hinter dem Namen verbirgt sich die 25-jährige Victoria Hesketh aus Blackpool, die im vergangenen Jahr mit "Stuck On Repeat" für Aufsehen sorgte - einer Art selbstgemachten Variante von Giorgio Moroders und Donna Summers Sequencer-Klassiker "I Feel Love". Weil "Stuck On Repeat" von Joe Goddard von der Electro-Popband Hot Chip produziert wurde, wurden Hipster schnell auf Little Boots aufmerksam.
Doch Hesketh verkündete, es gehe ihr um den großen Poperfolg; leidenschaftlich twittert sie über ihre Marketingaktivitäten. Also nahm sie ihr Album zusammen mit Greg Kurstin auf, einem amerikanischen Produzenten, der mit Kylie Minogue und Lily Allen arbeitete. Die erste richtige Single, "New In Town", floppte im Frühjahr; und auch Little Boots' Debütalbum "Hands", das in England bereits erschienen ist, stürzte nach gutem Einstieg (Platz fünf) schon in der zweiten Verkaufswoche auf Platz 40 der britischen Charts ab.
Dabei ist "Hands" keine schlechte Platte; sie ist eine Ansammlung eingängiger Popsongs mit großen Refrains, schlüssigen Meta-Pop-Metaphern und einer zeitgemäßen Produktion. Und doch: Es fehlt der gewisse Charme der individuellen Selbstermächtigung als Popstar, den "Stuck On Repeat" noch ausstrahlte.
Mangelnde Individualität ist wohl das letzte, was man Florence Welch vorwerfen kann, der Drittplazierten im BBC-Ranking. Die rothaarige Tochter aus einem Südlondoner Boheme-Haushalt wirkt auf der Bühne auf gleichermaßen irritierende wie sympathische Weise hippiesk.
Und ihre ersten drei Singles könnten unterschiedlicher kaum klingen: "Kiss With A Fist" ist ein rohes, kurzes Stück Blues-beeinflusster Punkrock, den auch die junge PJ Harvey hätte spielen können. "Dog Days Are Over" hingegen ist geradezu besinnlich und erinnert an den Coffeetable-Pop von Feist. Das neueste Werk, "Rabbit Heart", kommt überkandidelt daher, mit Harfenklängen und mindestens drei Teilen, die sich darum streiten, ob sie der Refrain sein sollen.
Überkandidelt und exzentrisch
Keine der Singles kam bisher in die Top 40, aber das ist nicht besorgniserregend, denn Florence & The Machine werden mit ihrem exzentrischen, an Kate Bush erinnernden Sound vor allem ein älteres Publikum ansprechen, sprich: eines, das noch Alben kauft. Ihr Album "Lungs" kommt erst Anfang Juli heraus.
Vom schlechtesten Startplatz aus (Nummer fünf) ist die dritte im Bunde im ersten Halbjahr 2009 an die Spitze der britischen Pophoffnungen gestürmt. Die 21-jährige Elly Jackson bildet zusammen mit dem öffentlichkeitsscheuen Produzenten Ben Langmaid das Duo La Roux. Ihre eindrucksvolle horizontale rote Haartolle fiel zum ersten Mal auf in dem wunderbar kitschigen Video zu "Quicksand", einer Single, die 2008 beim französischen Modehipster-Elektrolabel Kitsuné erschien.
Doch schon die erste reguläre Single beim Majorlabel Universal kletterte im Frühjahr auf Platz zwei der britischen Charts: "In For The Kill" basiert auf einem simplen, aber mitreißenden Synthesizer-Thema, wie es Vince Clarke für die frühen Depeche Mode oder Yazoo nicht schöner hätte schreiben können. Darüber singt Elly Jackson mit der richtigen Mischung aus kühler Distanz und unterdrückter Wut: Das Lied handelt von dem Auf und Ab einer fünfjährigen Beziehung, so wie das ganze Debütalbum "La Roux".
"Natürlich fühlte ich mich nicht unverwundbar, als ich das Lied 'Bulletproof' schrieb", sagt Elly Jackson über ihren neuesten Titel, der, wenn den Trendcharts zu glauben ist, nächste Woche die neue Nummer eins der englischen Charts sein wird. "Aber ich wünschte mir, unverwundbar zu sein. Vielleicht habe ich so etwas wie einen emotionalen Ehrgeiz."
Emotionaler Ehrgeiz, das scheint ein Stichwort zu sein für eine Gemeinsamkeit, die diese neue Generation englischer Sängerinnen von ihren direkten Vorgängerinnen in der Hypemaschine unterscheidet. Denn so wie für Amy Winehouse, Duffy und Adele der musikalische Bezugspunkt die sechziger Jahre waren - Soulsängerinnen oder Girlgroups -, so sind es bei La Roux, Florence & The Machine oder Little Boots die Achtziger: Synthie-Pop und Italo-Disco.
Dies spiegelt sich nicht nur musikalisch, sondern auch in den Mustern der Geschlechterrollen in den Songs. Die Retro-Soulsängerinnen beklagten sich aus einer sehr traditionellen Position heraus über die Männer, die sich in den Beziehungen danebenbenahmen - Dusty Springfield als Inbegriff der im Leiden zu Stärke findenden Frau. Die Klasse von 2009 singt von vornherein aus einer selbstbewussteren Position heraus: "I'm Not Your Toy" ist ein Titel von La Roux; und Little Boots singt "I've fixed my broken heart ... I didn't need any help in the end".
"Ich habe 'Ray Of Light' gehasst"
Und welcher Popstar könnte Ehrgeiz, solchen emotionaler und solchen anderer Art, besser verkörpern als Madonna. Lady Gaga, der weltweit größte neue Popstar des Jahres 2009, bezieht sich ganz offen auf sie.
Für Elly Jackson von La Roux ist das Verhältnis etwas komplizierter: "Als ich jünger war, kannte ich von Madonna nur das Album 'Ray Of Light', das meine Mutter hatte. Ich habe es gehasst! Genau die falsche Sorte elektronische Musik, housig, trancig, nicht trocken genug für mich. Und dann gab es in der sechsten Klasse eine Schulaufführung, wo eine Gruppe das Video zu 'Material Girl' aufführte. Ich hörte das während der Proben, rannte hin und fragte: 'Von wem ist dieses Lied? Das ist ja großartig!''"
Die Sängerinnen sind alle in ihren Zwanzigern, und so werden sie ganz selbstverständlich mit dem Popboom der späten neunziger und frühen nuller Jahre aufgewachsen sein, mit den Spice Girls und Britney Spears, mit Kylie Minogue und Robbie Williams.
Ganz ausdrücklich wollen sie Popstars sein, nicht Künstlerinnen, auch wenn alle drei betonen, dass sie ihre Lieder selber schreiben. Sie wissen um den zersplitterten Markt für Popmusik. Elly Jackson von La Roux findet ihre Ballade "Cover My Eyes" besonders wichtig für das Album - als emotionaler Höhepunkt, aber auch "weil es wichtig ist, das ältere Marktsegment anzusprechen. Das ist etwas, was Bands, die sich für cool halten, oft vergessen."
Auch wenn jüngst Little Boots zu einem Festivalauftritt von La Roux tanzte und sie und Florence Welch sich bei einer Party freundschaftlich küssten: Die Sängerinnen wissen, sie befinden sich in einem Wettbewerb. Derzeit ist La Roux vorne. Aber das Jahr ist ja erst halb um.