Popband Mia Schwarz-rot-goldener Schatten
Robert Schütze ist Bassist. Bassisten sind die Ruhigen in einer Band. Das Metronom. Die, die den Rhythmus am Laufen und den Laden zusammen halten. Leicht erregbar darf man da nicht sein. Viel sagen muss man aber auch nicht. Nicht bei anderen Bands und auch nicht bei Mia. Robert, den alle nur Bob nennen, trägt einen kleinen, vorsichtigen Schnurrbart und ansonsten nicht allzu viel bei zum Gespräch. Doch irgendwann platzt selbst dem ruhigen Bob der Kragen: "Verdammt, es geht uns doch immer noch ums Musikmachen."
Tatsächlich: Es geht darum, dass Mia, Berlins erfolgsreichste Elektropop-Band, ein neues, ein drittes Album namens "Zirkus" gemacht haben. Dass sich das Quintett musikalisch weiter entwickelt, phantasievoll das Thema Zirkus adaptiert und viele Songs über die Liebe geschrieben hat. Darum sollte es gehen. Eigentlich. Geht es aber nicht. Stattdessen geht es seit nun schon einer halben Stunde, und das regt Bob Schütze auf, nur um "so 'ne Sachen".
"So 'ne Sachen", das sind das zwei Jahre alte Lied "Was es ist", das dazugehörige Video, in dem die Band sich nicht ohne Absicht in Schwarz, Rot und Gelb kleidete, und die daraufhin losgebrochene Debatte. Fortan flogen Eier, wurden Auftritte verhindert und im Feuilleton diskutiert. Der SPIEGEL vermutete, Sängerin Mieze Katz singe "für eine Art Vereinigung von Eros und Vaterland", die "taz" diagnostizierte "strategische Dummheit" und die "Jungle World" unterstellte der Band gar eine "forsche Nationalstolz-Kampagne". Die Zauberlehrlinge wurden die Geister, die sie riefen, nicht mehr los. Im Rückblick, findet Mieze: "Eine super intensive Zeit für uns", in der "die Presse Lügen verbreitet" habe.
Beruhigender Reflex
Die Aufregung hat sich mittlerweile gelegt. Nach der Fußball-Weltmeisterschaft und ihrer hemmungslosen Fahnenschwenkerei sowieso. Der Band aber steckt die Vergangenheit in den Gliedern. Vor allem auch, weil der vehementeste Gegenwind ausgerechnet aus einem Milieu kam, dem man sich verbunden fühlte. Die Antifa und andere Patchwork-Existenzen aus den Berliner Alternativ-Bezirken Kreuzberg und Prenzlauer Berg, die sich von Mia kurz zuvor noch oft und gerne zum Tanz hatten aufspielen lassen, verorteten die Band einen schmerzhaften Moment lang im äußersten rechten Spektrum.
Schlagzeuger Gunnar Spies fand "diesen Reflex durchaus beruhigend", fühlte er sich doch dadurch rückversichert, dass die Öffentlichkeit wachsam ist. Er kann das sagen, denn der Neonazi-Vorwurf ist mittlerweile vom Tisch. Song und Video, so verkündet Mieze heute, waren der Versuch, "eine Diskussion in Gang zu setzen". Dieser Versuch ist wohl gelungen. Nur "die Intensität und Länge der Diskussion", so Spies, hat die Band "überrascht".
Er habe, sagt Mia-Trommler Spies, nach dem schwarz-rot-goldenen Ausrutscher allerhand gelesen, um dem Vorwurf zu begegnen, die Band sei zu unreflektiert an das Thema heran gegangen. Trotzdem war die Band offensichtlich intellektuell ein wenig überfordert mit der von ihr los getretenen Auseinandersetzung. Doch egal. Heute wähnen sich Mia wieder als Gewinner. Die jüngste Geschichte gibt ihnen Recht und der Erfolg sowieso. Denn spätestens seit "Was es ist" ist klar: Mia mag man nicht, man hasst oder liebt sie. Dazwischen ist nicht viel. Das war schon immer so: Zu Beginn, als Mia als dreiste Ideal-Epigonen die Szenerie betraten und als sie im Zentrum eines vermeintlichen Berlin-Pop-Hypes standen. Und später, als die Nationalismusdebatte losbrach. Aber: Warum ist das so? "Mia steht für: Ich habe eine Meinung und ich stehe dahinter", hilft einem Sängerin Mieze weiter, "Hauptsache, du hast eine Meinung. Und das provoziert."
Rückzug ins Private
Jetzt wird es wohl wieder Diskussionen um Mia geben. Auch oder gerade weil sich das neue Album politischer Äußerungen weitgehend enthält. Einzelne Songs auf "Zirkus" lassen sich mit viel Phantasie als soziale Kommentare oder Entgegnungen an die Kritiker lesen, aber grundsätzlich findet der Rückzug ins Private statt. Oder, wie Mieze es formuliert: "Die Liebe zu den Dingen, die uns umgeben." Die gebrannten Kinder scheuen das Feuer, die Besinnung aufs Gefühl wird mit "Zirkus" allumfassend.
Die Abkehr von politischen Themen sei mitnichten bewusst vollzogen worden, behauptet Mieze. In ihren neuen, privateren Texten findet man meist nur noch die offensichtlichsten Umschreibungen für altbekannten Gefühlslagen. Eine Formulierung wie "Mein Herz tanzt" darf schon als poetische Glanzleistung gelten, ansonsten ist das bloße Postulieren von Emotionen hier Geschäftsgrundlage.
Es ist viel die Rede von "Liebe" auf "Zirkus", und noch öfter von "Gefühl", nicht nur in Songs wie "Je dis aime Ich sag Liebe" oder "Dann war das wohl Liebe": Hebt man die CD aus der Hülle, verspricht ein Aufdruck "Menschen, Liebe, Sensationen". Schiebt man die CD in den Player, singt Mieze in "Floss" prompt "Dies ist ein Lied für die Liebe", in "S.O.S." fragt sie "Wo bleibt mein Bauchgefühl", und in "Tanz der Moleküle" wird immer aufs Neue "Damit Du fühlst wie ich" wiederholt.
Diese Zeile ist das neue Mantra von Mia, die tatsächlich meinen, den Gefühlshaushalt einer ganzen Generation in ihren schmissigen Elektropop fassen zu können. Das mag man naiv nennen. Oder größenwahnsinnig. Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte.
Mia: "Zirkus" (R.O.T./Sony BMG) erscheint am 21. Juli