
The xx: Nähe und Distanz
Pop-Phänomen The xx Die aus der Kälte kamen
Ein großes Tuch verhängt die Bühne, als der erste Song mit einer einsamen, verloren hallenden Gitarre beginnt. Es ist "Angels", der erste Song und die erste Single vom neuen Album der britischen Popband The xx, die am Dienstagabend in Berlin ihr vorerst einziges Deutschlandkonzert gab. Der gediegene Admiralspalast an der Friedrichstraße schien zunächst ein perfekter Ort für die Musik der drei Briten, zu der man sich eher andächtig wiegt als ausgelassen tanzt und jubelt.
Im Verlauf der knapp 90 Minuten stellte sich jedoch heraus, dass die ehrwürdigen Holzvertäfelungen des Theatersaals den tiefen Bässen nicht gewachsen war. Zum Zittern im Gebälk gesellte sich bald der Eindruck, dass der flüchtige, auf Transparenz und Leerstellen ausgerichtete Sound des Trios im Resonanzraum des Palasts eher zu verdröhnen drohte.
Nach dem ersten Lied lüftete sich das Tuch und enthüllt drei Pop-Erneuerer. Wie aus dem Nichts kamen die damals gerade mal 19-jährigen Londoner auch vor drei Jahren mit ihren brüchig-intimen Liebesliedern, die sich aus dem kühlen Shoegaze- und New-Wave-Sound der Achtziger speisten. Sie schienen ein Gegengewicht zur totalen Entäußerung des Twitter-, Facebook- und Realityshow-Zeitgeists zu bilden, eine Abkehr vom Grellen, eine Rückkehr ins Private.
Mit ihrem schüchternen, in sich gekehrten Auftreten verkörpert die Band zudem eine Antithese zum extrovertierten Rock'n'Roll- oder Popkünstler. Konzerte werden allein deshalb zu zweischneidigen Angelegenheit. Man möchte allein sein mit dieser Musik, oder ganz nah an ihr dran.
"Ein bisschen erwachsener geworden"
Recherche für eine der geheimnisvollsten Bands dieser Tage: Vor einigen Wochen waren The xx schon einmal in Berlin. Gleich mehrere Tage lang residierten die drei im Soho House, um dutzende Journalisten in einem engen Hotelzimmer zu empfangen. Draußen stand die wärmende Julisonne am Himmel, drinnen jedoch schien das Licht gedimmt, obwohl die schweren Samtvorhänge gar nicht zugezogen waren.
Jamie Smith fummelte an einem sehr schönen Retro-Plattenspieler herum, der zu Dekorationszwecken auf einem Sideboard platziert worden war. Oliver Sim, den stets etwas linkisches, James-Dean-haftes umweht, lümmelte in einem Sessel, Romy Madley Croft saß kerzengerade auf einem Hocker, die Hände im Schoß gefaltet wie ein Mauerblümchen. Der Journalist musste sich auf dem Bett niederlassen, so wenig Raum bot das Zimmer. Intime Atmosphäre für eine intime Band, das passte schon.
Zum Glück klingt das zweite Album "Coexist", das am Freitag veröffentlicht wird, nicht so wie das erste. Zum Glück klingt es aber gerade noch genug wie das erste - reduziert und spröde, verhuscht und gehaucht, ganz cool und doch sehr warm, hochkonzentriert und doch sehr durchlässig. Die Produktion ist feiner, ein paar Kanten wurden abgeschliffen, der Sound hat mehr Tiefe, die Kompositionen sind durchdachter, eleganter, abgerundeter. Einige lebhaftere Stücke, wie "Sunset", verweisen auf Club-Einflüsse, eine Ahnung von Tanzbarkeit entsteht. Dieses wundersame Unter-der-Decke-Gefühl jedoch, das ist geblieben. Nach endlosen Tourneen und einer längeren Phase der Regeneration sind The xx wieder bei sich selbst angekommen. Und doch ist alles anders.
Das erste Album von The xx entstand noch in den Schlafzimmern von Sim und Madley Croft, den beiden symbiotisch wirkenden Songwritern der Band. Sie hätten gar nicht damit gerechnet, dass irgendwann einmal jemand diese Songs hören würde, hieß es damals. Rund eine Million verkaufte Platten, das schürt Erwartungen.
"Zum Glück werden wir nicht auf der Straße erkannt und sind nicht Teil der Entertainment-Welt", sagt Sim, "wir fahren Bus und U-Bahn wie jeder andere auch, daher war es recht leicht, wieder so etwas wie Alltag zu erzeugen." Madley Croft ergänzt: "Als wir von der Tournee zurück nach London kamen, sind wir erst einmal alle drei von Zuhause ausgezogen, haben unsere Freunde wiedergesehen, waren nachts aus, haben getanzt. Mir war es sehr wichtig, wieder Eindrücke und Erfahrungen zu sammeln, denn ich hatte überhaupt keine Lust, Songs über das Leben auf Tournee zu schreiben. Wir machten da weiter, wo wir aufgehört hatten, aber wir waren ein bisschen erwachsener geworden."
Jeder bleibt für sich
Verändert im Sinne eines Reifungsprozesses haben sich auch die Art und Weise, wie die Songs von The xx entstehen. Im Gegensatz zum Debüt, dessen Einzelteile erst im Studio zusammengefügt wurden, taten sich die drei nun öfter zusammen, um gemeinsam an der Musik zu arbeiten. "Es gibt ein paar offensichtliche Veränderungen", sagt Sim, "ich bin ein besserer Songschreiber geworden, Romy eine stärkere Sängerin, Jamie ein selbstbewussterer Produzent."
Smith, der als DJ unter dem Rubrum Jamie xx auftritt, nickt stumm. Er redet nicht viel, wenn es nicht gerade um technische Fragen geht. Dabei ist der jungenhaft wirkende Musik-Nerd in den vergangenen zwei Jahren zum gefragten Produzenten für zahlreiche Stars geworden und fertigte unter anderem einen minimalistischen Remix des Comeback-Albums von Gil Scott-Heron an. Er habe gelernt, Musik als Ganzes mehr zu schätzen", sagt er leise. "Ich war es gewohnt, einen Song beim Hören gleich in seine Produktions-Bestandteile zu zerlegen. Danach fiel mir dann oft auf, dass ich von dem Lied eigentlich gar nichts mitgekriegt hatte."
Die Texte allerdings schrieben Madley Croft und Sim wie gewohnt: jeder für sich. Während Sim seine Verse über Liebe und Beziehungs-Stimmungen zuvor eher aus der Phantasie und Träumerei schöpfte, schrieb er seine Songs nun zum großen Teil aus selbst Erlebtem heraus. "Wir haben es umgedreht", sagt Madley Croft: "Damals war ich es, die ihre Erfahrungen wie aus einem Tagebuch verwendete, heute ist es eher Oliver, der so verfährt, während ich zwar auch noch Eigenes verarbeite, mich aber auch davon inspirieren ließ, was mir andere Leute erzählt haben."
Zusammen kommen die beiden da wohl nie? "Nein", lacht sie ein bisschen nervös, "aber das macht uns ja aus: Wir sind zwei getrennte Personen, zwei Stimmen nebeneinander." Die Koexistenz, dieses Motiv, das dem neuen Album seinen Titel gab, herrscht also auch innerhalb der Band vor. Und es dominiert auch die Texte von Songs wie "Tides" oder "Fiction" - immer geht es um das Wagnis der Liebe, das kurzzeitige Verschmelzen, die ernüchternde Erkenntnis, dass man doch auf ewig getrennt bleibt.
Und so endet auch das Konzert im Admiralspalast zwar mit großem Applaus -berührt von dieser Musik, die nichts anderes als berühren will, war man jedoch kaum. In der zweiten Hälfte lockerte sich die Atmosphäre, als die Band, getrieben von Smiths klappernden, donnernden Beats, sich tatsächlich als Tanzclub-Kapelle versuchte. Doch für den nun klassisch zu nennenden xx-Sound, der auch den drei Musikern nur minimale Bewegungen abverlangt, ist selbst ein mittelgroßer Saal wie dieser bereits zu groß. Man fühlt sich so verloren wie die drei da oben auf der allzu weitläufigen Bühne.
Aber man ist nicht bei ihnen, spürt ihren Atem nicht, steckt nicht mit ihnen unter einer Decke. Das trennende Tuch vom Anfang hätte hängen bleiben können.