Rap-Star Massiv Ein Monster lernt zu lieben

Kokain, Prostituierte, Messerstechereien - das waren die Themen des Berliner Gangsta-Rappers Massiv, bis jetzt. Mit seinem neuen Album streift der Skandal-Reimer sein Bad-Boy-Image ab - und entdeckt Deutschland und die Bürgerlichkeit.

Sie sind immer noch da, die Einschusslöcher an den Türen, dabei ist die Sache schon über ein Jahr her. Wasiem Taha hat seinen geräumigen dunkelblauen BMW auf der Vorfahrt des Berliner Hauptbahnhofs geparkt, und als er die Beifahrertür öffnet, sieht man sie, die eins, zwei, drei, vier Löcher der Projektile. "Eine Erinnerung", sagt Taha, "an eine Zeit, die vorbei ist."

Dann legt er den Gang ein, es soll nach Schöneberg gehen, wo er sich mit seinen libanesischen Freunden, die er seine Familie nennt, in einem Spielsalon treffen will. Auf dem Weg dahin spielt Taha, der sich als Rapper Massiv nennt, sein neues Album vor, sein drittes, das gerade erschienen ist. Er ist stolz darauf, weil es so ganz anders ist als der wütende Gewalt-Rap seiner ersten beiden Platten. Massiv findet, er hat sich ein bisschen neu erfunden. Er ist jetzt 26 Jahre alt.

Das Album beginnt mit einer weiblichen Nachrichtensprecher-Stimme. Sie spricht die Vokale weich, und im Hintergrund klingt pathetische Filmmusik. Sie sagt: "Wasiem Taha, alias Massiv, 1,80 Meter groß, 120 Kilo schwer, muskelbepackt." Nach einer kurzen Pause: "Der kommende Abräumer im Gangsta-Rap-Milieu."

Brisante Dynamik

Hier spricht also nicht der Künstler selber, der Künstler lässt sprechen, nämlich die Öffentlichkeit, die Medien, die Außensicht, die ihre eigene Wahrheit hat. Das ist eine ziemlich clevere Ouvertüre. Massiv hat zu Beginn seines Schaffens vor drei Jahren mit einigem Aufwand ein Bild von sich kreiert, das härter und bedrohlicher war als alles, was deutsche Popmusiker bislang zu bieten hatten. Doch dieses Image ist ihm im Laufe der Zeit immer mehr aus den Fingern geglitten, es hat sich verselbständigt. Die Öffentlichkeit hat sich eine eigene Person geschaffen, die Massiv hieß, eine Art Frankenstein, der immerzu nur Böses zugetraut wurde.

Als er im Januar 2008 angeschossen wurde und die Umstände des Tathergangs unklar blieben, vermuteten einige, er habe sich als PR-Coup die Schüsse selbst beigebracht. Als er im November vergangenen Jahres auf Einladung des Goethe-Instituts in sein Geburtsland Palästina reiste, hieß es, einen solchen Rabauken könne man doch unmöglich auf den Nahost-Konflikt loslassen.


Das große Interesse an ihm stand immer in einem leichten Missverhältnis zu seinen tatsächlichen Plattenverkäufen, ungefähr 40.000 insgesamt für die ersten beiden Alben, wie sein Manager angibt. Das ist nicht schlecht, zeigt aber doch, dass es bei der Figur Massiv nicht ausschließlich um einen Musiker ging. Um was ging es dann?

Es ist erst drei Jahre her, da ist Massiv mit einem unverwüstlichen Authentizitätsanspruch gestartet. Anders als seine berühmten Vorgänger Sido oder Bushido konnte er tatsächlich geltend machen, mal ein paar Drogen verkauft und immerhin in U-Haft gesessen zu haben. Die Bundesrepublik war zu dieser Zeit endgültig erwachsen geworden. Sie schickte ihre Soldaten jetzt nicht nur zu Auslandseinsätzen, sie leistete sich nicht nur wie bei der Fußballweltmeisterschaft ein neues patriotisches Selbstbewusstsein - sie hatte vor allem nun auch, wie England, Frankreich und die USA schon längst, Ghettos, aus denen wütende Stimmen erklangen.

Massiv war der erste richtige Gangsta-Rapper, den Deutschland zu bieten hatte, und er betrat rechtzeitig zur Hartz-IV- und Prekariatsdebatte die Bühne: eine hörbare Stimme aus der Unterschicht, der politische Relevanz zugetraut wurde, obwohl Massivs Songs damals eigentlich nur von Kokain, Nutten oder Messerstechereien handelten.

Dass Massiv sich ein gehöriges Maß an künstlerischer Freiheit genehmigte, um seine Geschichten aus seinem Weddinger Ghetto auszuschmücken, hat er auch damals nie bestritten. Am Ende, so formulierte es einmal das Mastermind des deutschen Gangsterrap, der Chef des Labels Aggro Berlin, der sich Specter nennt, bleibe auch Gangsta-Rap eben Kunst.

Das Monster einfangen

Es gibt genügend Popmusiker, die sich in ihrem Image vom bösen Mann sonnen, und es spricht für den Menschen Wasiem Taha, dass er unter seiner düsteren öffentlichen Persona in den vergangenen Monaten immer stärker gelitten hat. Es galt, dieses Monster nun wieder einzufangen. Wenn man seine neue CD aufklappt, blickt man auf eine Schwarzweiß-Fotografie des Rappers. Ja, die Tätowierungen sind da, und man ahnt die Muskeln. Doch das Gesicht strahlt die Seligkeit eines Jungen aus, dem die Mutter noch einen Nachschlag seines Lieblingsdesserts serviert hat.

Massiv musste sich schon einige Spötteleien anhören für dieses Bild, doch ihm scheint es ernst zu sein. "Die trostlosen Geschichten aus dem Ghetto zu erzählen", sagt er, "das war wichtig, doch es bringt heute nichts mehr. Ich möchten den Leuten Hoffnung geben und sie nicht noch weiter runterziehen." Offenbar ging es den anderen Protagonisten des Berliner Gangsta-Raps ähnlich. Sido aus dem Märkischen Viertel, der erste, der so etwas wie Gangsta-Rap in Deutschland populär machte, war inzwischen Juror in einer Castingshow im Fernsehen; Bushido, der Halb-Tunesier, ist Bestsellerautor und Immobilienmakler.

Massiv ist im November aus seinen Kiezen Wedding und Neukölln nach Palästina, ins Westjordanland gefahren, das Goethe-Institut hatte ihn eingeladen. Er hat dort ein paar Konzerte in Flüchtlingscamps gegeben und wurde ansonsten immer stiller auf der achttägigen Reise durch die palästinensischen Autonomiegebiete.

Während er seinen BMW mit den Einschusslöchern durch Schöneberg lenkt, das Tempo sorgsam bei 50 Stundenkilometern haltend, erzählt er, wie er sich dort, im Westjordanland, jeden Tag vorne in den Tourbus gesetzt und durch die Scheiben hinaus geblickt hat auf das Elend der Menschen, das ihm auf einmal so viel größer vorkam, als alles, was er aus Berlin kannte.

Plötzlich schien es dem in Pirmasens geborenen Rapper nicht mehr verhältnismäßig, den Wedding oder Neukölln, wie er es auf seinen ersten Platten getan hatte, zu urbanen Kriegsgebieten zu stilisieren, wenn es zugleich offenbar Gegenden auf der Welt gibt, in denen Menschen auf den Straßen hockten, die tatsächlich vom Leid jahrzehntelangen Kriegs gezeichnet waren.

Massives Deutschlandliebe

Und so hat er für sein neues Album ein Lied mit dem Titel "Deutschland" geschrieben, das er nun in den CD-Spieler des BMWs einlegt. Bevor die Fahrt zu Ende ginge, müsse dieser Song noch gehört werden, sagt Massiv. Es werde alle überraschen. Dieses Land, so überkam es den Eltern- und Lehrerschreck Massiv nach seiner Palästina-Reise, sei vielleicht doch gar nicht so schlecht.

Also hat er sich selbst befragt, was ihm an Deutschland eigentlich gefällt. Und wenn man nicht wüsste, dass dem Künstler Massiv jede Ironie fremd ist, wäre man versucht, sein Deutschland-Lob als bewusst übertriebene Persiflage zu lesen, so viele Dingen waren es plötzlich, die ihm an Deutschland zusagten. Als er seinen BMW vor dem Spielsalon in Schöneberg einparkt, ist aus den Lautsprechern im Wagen Massivs Deutschlandbild zu hören:

"Hier hungert keiner, hier wird ehrlich jedes Bisschen geteilt/ Hier ist die Hautfarbe egal, hier zählt dein Herz und deine Freundlichkeit."

Und auch mit der Kanzlerin scheint er einverstanden: "Es ist eine Frau, die das ganze Land hier präsentiert / Jede Frau wird hier geschätzt, jede Frau hat Rechte hier."

Aber was ist mit all dem, was er auf seinen ersten Platten beschrieben hat? Die Armut der Menschen im Wedding, die Nutten, die Gewalt, die Drogen, die Hoffnungslosigkeit? Bevor Massiv antworten kann, erklingt die Antwort aus den Boxen, zweite Strophe:

"Na klar gibt's Sachen, wo so manchen Menschen runterdrückt/ Hier und dort gibt's arme Leute mit viel Schulden im Genick/ Die nicht viel besitzen, doch man fühlt, dass sie zufrieden sind/ Genau hier spürst du den frischen Wind /In diesem Lied beschreib ich euch das positive Leben / Denn das negative Lästern tut schon in den Ohren weh."

Massiv steigt aus dem Auto. Als er die Tür zuschlägt und den Wagen mit einem Piepen elektronisch verriegelt, sind die Einschusslöcher immer noch da. "Vielleicht ist es Zeit, die Tür mal austauschen zu lassen", sagt Wasiem Taha und verschwindet in dem Spielsalon.

Mehr lesen über

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten