Rap-Star Missy Elliott Die Fans werden kochen!
Man mag es eigentlich nicht mehr hören: In endlosen Wiederholungen werden im HipHop die immer gleichen Themen abgespult. Ich hab's besser drauf als alle anderen, ich hab mehr Geld, mein Auto hat die schickeren Felgen (die friedliche Variante des alten Meine Pistole hat ein größeres Kaliber).
Zum Glück gibt es Missy Elliott: Sie schmäht auf ihrem neuen Album zwar ebenfalls die Konkurrenz und stellt ihren Wohlstand bei MTV zur Schau (dort war unter anderem ihr Bett zu sehen, das aus Karosserieteilen eines Ferraris besteht) - und dennoch wirkt das Ganze höchst charmant. Das "Kochbuch" ist Elliotts mittlerweile sechstes Album und damit eine Ausnahme im HipHop-Geschäft, wo es kaum ein Rapper schafft, seinen Erfolg länger als über drei Veröffentlichungen hinaus zu halten. Zu schnell verändert sich der Sound, zu rasch klingt ein Künstler nach der vergangenen Saison und ist dann nicht mehr in der Lage, sich den neuen Trends glaubwürdig anzupassen.
Das ist nur insoweit Missy Elliotts Problem, wie sie gemeinsam mit ihrem Partner Timbaland anderen Künstlern die Stücke auf Leib und Stimme zu schneidern hat. Als Rapperin ist sie von derlei Konjunkturen erstaunlich unabhängig. Was vielleicht daran liegt, dass sie es für ihre eigenen Platten immer wieder schafft, großspuriges Konzept und großartigen Unfug zu verbinden - eine ästhetische Strategie, die sie in die einzigartige Position brachte, gleichzeitig das Idol akademischer Postfeministinnen und 15-jähriger Mädchen jeder Hautfarbe zu werden.
Ob sie auf ihrem Album "Da Real World" (1999) der Macho-Kultur des HipHop die Idee des selbstbewussten Schlampentums entgegensetzte und sich dann für einen Videoclip in ein Kostüm stecken ließ, das aussah, als hätte es das Michelin-Männchen in der Kulisse vergessen, oder auf "Miss E... So Addictive" (2002) ausschweifenden Sex und Drogengenuss feierte, in Interviews jedoch zu Protokoll gab, sie lebe streng zölibatär und habe außerdem aufgehört zu kiffen: Immer überraschte die 34-jährige Melissa Elliott mit Gespür für die kreative Kontroverse.
Für "Under Construction", ihr Meisterwerk von 2003, mit dem sie ganz ernsthaft HipHop vor Gewalt und Zynismus retten wollte, wandte sie sich dem Sound der frühen Tage des Rap zu, um immer, wenn das Wort "Dick" - Schwanz - fiel, das Tröten eines Elefantenrüssels einzublenden.
Alte Schule, neuer Sound
Auch "The Cookbook" funktioniert auf diese Weise: Aufgebaut wie eine Rezeptesammlung und
illustriert mit Bildern, die Missy in einem Südstaatenambiente der vierziger Jahre zeigen, ist sie ihrer Art von Beschwörung der guten alten Tage
treu geblieben. Das funktioniert vor allem deshalb so großartig, weil von einer Beschränkung der Mittel, die sonst oft mit der Rückbesinnung auf die musikalische Vergangenheit einhergeht, nichts zu hören ist.
Man nehme etwa "Lose Control", die erste Single des Albums.
Elliott gelingt es gleichzeitig "Clear" von Cybotron, einer
der ersten Technovorgänger von 1982, und "Body Work" von Hot
Streak, einem Prototyp des House-Sounds aus dem Jahr 1983, zu sampeln -
und das Ganze mit seinen dahin geschnodderten Aufrufen, nun diesen
oder jenen Tanzschritt zu bemühen, trotzdem modern wie kaum ein anderes
Stück dieses Jahres klingen zu lassen.
Was auch damit zu tun hat, dass mit dem sogenannten Crunk-Sound (crunk für crazy und drunk, betrunken) der amerikanischen
Südstaaten mittlerweile eine Subkultur den HipHop-Mainstream
beherrscht, die immer noch den gleichen Drum-Computer benutzt wie vor
zwanzig Jahren. Vor allem aber ist Missy Elliott in der einzigartigen
Lage, die Offenheit und Experimentierfreude von HipHop zu
beschwören, ohne ihr Wissen um die Tradition aufzugeben.
Da lädt sie etwa den vergessenen Old-School-Star Slick Rick zu einem
Duett ein, dessen bekanntestes Stück nicht nur "Treat Her Like A
Prostitute" hieß, sondern der auch für einige Jahre wegen versuchten
Mordes im Gefängnis saß. Diesen König der schweren Goldkette erklärt
Elliott im gleichnamigen Stück für "Irresistable Delicious" - unwiderstehlich lecker -, um dann hinterherzuschicken, wenn er sie wie
eine Prostituierte behandeln wolle, könne er ihr ein paar Klamotten
kaufen. Das ist gleichzeitig traditionsbewusst - Rick gehört zu den Legenden des Genres - und raffiniert, denn immerhin schlägt sie ihn mit seinen eigenen Waffen und korrigiert
außerdem ein kleines Kapitel im dicken Buch der Frauenverachtung im
HipHop.
Ein Rap-Star, der anzieht
Wobei Missy Elliott tatsächlich niemanden braucht, der ihr Klamotten
kauft, hat sie doch in Zusammenarbeit mit Adidas gerade die "Respect
M.E."-Serie auf den Markt gebracht, eine Reihe von
Sportswear-Kleidungsstücken und Turnschuhen, die ganz ähnlich wie
Elliotts Musik Gestaltungselemente der Vergangenheit benutzen, ohne
jemals wirklich retro zu werden.
Es ist schon eine erstaunliche Geschichte: Ohne den strengen
Schönheitsidealen zu entsprechen, die für Frauen im HipHop
normalerweise gelten, ist Missy Elliott eine Mode-Ikone geworden. Sie
ist bedingungslos glaubwürdig, obwohl oder vielleicht gerade, weil sie
im Grunde nur Unfug zusammenreimt. Und in ihrer Art, immer mit einem
Bein außerhalb des Rap-Zirkus zu stehen, kann sie in diesen
unübersichtlichen Zeiten, in denen es dem Genre gerade an einer
eindeutigen Richtung zu fehlen scheint, überzeugender als irgendjemand
sonst die Schönheit und die noch immer schier endlosen Möglichkeiten
dieser Musik verkörpern.
Missy Elliott: "The Cookbook" ist am 4. Juli bei Elektra/Warner erschienen.