
Bowie-Album "The Next Day": Selbszitate, frisch garniert
Neues Bowie-Album "The Next Day" Der Alte ist noch ganz frisch
Wow, was für ein Comeback! So wie es dem Meister der Pop-Inszenierung gebührt. Während die Welt David Bowie im Zwangsruhestand wähnte - wegen einer Herzattacke im Jahr 2004 - nahm er mit einigen Eingeweihten um Produzent Tony Visconti in den vergangenen beiden Jahren in New York neue Songs auf.
Die Welt da draußen erfuhr davon erst an Bowies 66. Geburtstag am 8. Januar 2013, als er den Song "Where Are We Now?" samt Video auf seiner Website veröffentlichte. Und das neue Album "The Next Day" für den 8. März ankündigte.
So lange muss man nun gar nicht warten, um "The Next Day" zu hören: Schon eine Woche früher ließ Bowie - von diesem Freitagmorgen an - das komplette Album bei Apples iTunes streamen. Bis zum Veröffentlichungstermin läuft es dort am Stück, also ohne Track-Unterteilungen. Unautorisierte Leaks gab es keine, Major Bowie hat alles unter Kontrolle.
So geschickt der Spannungsaufbau unter Marketing-Gesichtspunkten bisher war, so verlockend klang die vorab veröffentlichte Musik: "Where Are We Now?", eine elegische Ballade mit Reminiszenzen an das Berlin der siebziger Jahre, als Bowie dort lebte. Ausgesprochen introspektiv und wenig triumphalistisch als erste Single nach zehn Jahren.
Dann, Ende Februar, die zweite Vorab-Nummer. Etwas angezogenes Tempo: "The Stars (Are Out Tonight)" findet einen gefälligen Pop-Rhythmus, gelegentlich von Handclaps begleitet. Und Bowie singt über die Mischung aus Faszination und Abscheu, die wir Stars entgegenbringen, er beschreibt sie (und damit sich selbst) als Entsprechung zu griechischen Gottheiten. Im Video spielen Bowie und Indie-Kino-Ikone Tilda Swinton ein älteres Ehepaar, das in seiner Ruhe gestört wird. Von einem Wiedergänger des androgynen Superstars Bowie aus den Siebzigern.
Fast alle Bowies sind zu hören
Dass also Selbstreferentialität ein Thema von "The Next Day" sein würde, war zu erwarten - zumal das Albumcover Bowies 1977 erschienene LP "'Heroes'" zitiert, bloß mit durchgestrichenem alten Albumtitel und einem, wie eine Art Post-it auf den Kopf geklebten, weißen Quadrat, auf dem der neue Titel steht.
Und nach mehrfachem Hören lässt sich sagen: Ja, "The New Day" ist enorm selbstreferentiell. Anklänge an fast alle Phasen von Bowies langer Karriere sind zu hören. Aber das Album wirkt nicht wie eine Retrospektive, sondern so, als durchdringe ein Künstler, der sich seiner eigenen Mittel immer schon sehr bewusst war, sein bisheriges Werk - um es mit frischem Mut fortzuführen.
Tja, und frisch klingt der 66-Jährige auf diesem Album, da legte das deliziös müde "Where Are We Now?" eine falsche Fährte. Bowies Musik ist auf "The Next Day" über weite Strecken so rockig wie lange nicht. Bei "(You Will) Set the World on Fire" erinnert das Gitarren-Riff an "You Really Got Me" von den Kinks, in "How Does the Grass Grow" überrascht ein überkandidelter Hey-hey-hey-Chor, und im Titelsong krachen die Gitarren, dass es eine Freude ist. Bowie singt dazu: "Here I am, not quite dying".
Allerdings! Meldungen über sein (künstlerisches) Ableben waren verfrüht.
Man hört den Bowie aus dem London der sechziger Jahre heraus (in dem entspannten Psychedelic-Pop von "I'd Rather Be High"). Auf "Ziggy Stardust" wird sehr konkret Bezug genommen in dem phantastischen vorletzten Song "You Feel So Lonely You Can Die", der sich mit wunderschönem Gesang aus der Melancholie aufschwingt zu einem dramatischen Finale - nur um dann in einer 30-sekündigen Coda den Rhythmus des "Ziggy"-Auftaktsongs "Five Years" herbeizuzitieren.
Die Kokain-Paranoia des "Thin White Duke" in den mittleren Siebzigern könnte hinter den angstvollen Sätzen des unheilvollen "Love Is Lost" stecken, während die Soundschwaden der Berliner Ära über dem treibenden Rhythmus des hervorragenden "Dancing out in Space" zu schweben scheinen. Mit Saxofon-Attacken kommt der Bowie der achtziger Jahre in "Dirty Boys" und "Boss of Me" zum Vorschein. Der Song klingt übrigens, als sei eine Michael-Douglas-Filmfigur plötzlich mit dem Feminismus konfrontiert worden: Wer hätte gedacht, "that a smalltown girl like you would be the boss of me".
Was fehlt, ist der Versuch, sich an die Spitze einer musikalischen Avantgarde zu setzen. Mit dem drum'n'bass-artigen Beat von "If You Can See Me" erinnert Bowie sogar an das letzte Mal, als er das probierte, aber scheiterte - in den Neunzigern.
Nun sind hier 14 präzise Songs zu hören, alle etwa drei, vier Minuten lang, die nicht nur das künstlerische Erbe David Bowies verwalten, sondern souverän in eine Gegenwart passen, die ja sowieso zur Nostalgie neigt. Ins Format-Popradio zwischen Rihanna und Bruno Mars wird er es damit nicht mehr schaffen. Aber Menschen, die sich Alben von, sagen wir mal, Arcade Fire oder Tocotronic kaufen, können Bowies "The Next Day" unbesorgt hören. Gleich nach seinen Platten aus den siebziger Jahren.