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Jazz im Wagner-Jahr: Runter vom Hügel, rein in den Club

Foto: Margrit Müller

Wagner goes Jazz Spielen mit dem Schmuddelkind

Richard Wagner? Oh Gott, bloß nicht! Unter deutschen Jazzern galt Adolf Hitlers Lieblingskomponist lange als verpönt. Doch jetzt fragt Eric Schaefer "Wer hat Angst vor Richard W.?" - und mixt "Walküre"-Melodien mit Lounge-Motiven. Und Dieter Ilg interpretiert "Parsifal"-Arien.

Wenn man sie nach ihrem Lieblingskomponisten fragt, nennen Jazzmusiker sehr oft Johann Sebastian Bach (1685-1750). Dagegen hat Richard Wagner (1813-1883) in der Zunft schlechte Karten - seiner germanisch-heroischen Tondichtungen und antisemitischen Denkweise wegen. Der multikulturell geprägte Jazz steht für eine andere Welt - ein "Gegengift zum in der Schule gehuldigten Richard Wagner", erzählte einmal der Pianist Alexander von Schlippenbach.

Die von progressiven Deutschen als "Gift" empfundene Musik hat freilich auch Jazzer inspiriert. So nahm der aus Philadelphia stammende jüdische Keyboarder und Komponist Uri Caine 1997 für seine CD "Wagner e Venezia" den "Walkürenritt" und andere Arien auf; und der afroamerikanische Trompeter Graham Haynes fusionierte 2000 auf seinem Album "B.M.P." Drum-'n'-Bass-Beats mit Wagner-Musik. Doch für Deutschland schien zu gelten, was die Zeitschrift "Jazzthetik" im vergangenen Jahr so formulierte: "Wagner und Jazz: Darf man das jetzt wirklich? Nie und nimmer."

Schatten über Wagners Werk

Das Nimmer endet im Jubiläumsjahr 2013, 200 Jahre nach der Geburt Wagners. Nun wagen auch deutsche Jazzer die Auseinandersetzung mit dem umstrittenen Genie. Der Bassist Dieter Ilg und der Drummer Eric Schaefer bringen CDs auf den Markt; die Saxophonistin Angelika Niescier hat ein Konzert-Projekt erarbeitet. "Richard Wagner ist ein geradezu unausweichlicher Teil unserer kulturellen Bildung", sagt sie. Niescier gehört zur klassisch ausgebildeten Jazz-Generation von heute und hat Wagners Musik während des Studiums kennen gelernt. Das gilt auch für Schaefer und Ilg.

Ilg interessiert sich lebhaft für Zeitgeschichte. Ein Besuch des KZ Struthof im Elsaß als Schüler erschütterte ihn nachhaltig; er beschäftigte sich mit dem Holocaust. Der Musiker kennt den Schatten über Wagners Werk, das von Hitlers Nationalsozialisten ebenso instrumentalisiert wurde wie das deutsche Liedgut. Als er vor einigen Jahren Volkslieder für den Jazz bearbeitete, wurde Ilg denn auch kritisiert. Damals entdeckte er Wolfram von Eschenbachs mittelalterliches Epos "Parzival", die Vorlage für Wagners Oper.

Doch zunächst widmete sich Ilg Wagners Zeitgenossen Giuseppe Verdi. Eine Orchesterstelle für Kontrabass in Verdis Oper "Otello" regte ihn an: Was in der Oper eine Schar von Sängern und Sängerinnen und ein Riesenorchester darbieten, adaptierte Ilg für ein Klavier-Bass-Drums-Trio, die klassische Kleinbesetzung des Jazz. Das Experiment gelang. Ilgs Otello-Projekt (mit Rainer Böhm, Piano und Patrice Heral, Drums) wurde mit einem Echo Jazz ausgezeichnet.

Beflügelt durch den Erfolg nahm sich der Bassist nun Wagners "Parsifal" vor. "Es gibt so viel aus den Orchesterstimmen herauszuholen - an Motiven, an Melodien, an Linien", sagt Ilg über die Oper. Er empfindet die Parsifal-Musik teilweise als "sehr sphärisch". Nach dem Motto "never change a winning team " arbeitete er wieder mit seinem Trio - und gewann aus Wagners bombastischer Oper das Material für "Parsifal - mit Richard unterwegs", ein kammermusikalisches, akustisches Jazz-Opus.

Und was würde Wagner sagen?

Mit der Elektronik der Jetztzeit fusioniert dagegen der aus Michael Wollnys Trio bekannte Drummer Eric Schaefer Arien aus "Lohengrin", "Tannhäuser" und "Tristan". Sein Album "Who is afraid of Richard W.?" wird mit dem Satz "vom Bayreuther Hügel rein in den Club" angepriesen. HipHop und Dub-Groove statt Blech und Streicher. Beide CDs haben ihren Reiz.

Nicht auf Tonträgern zu haben ist das Wagner-Projekt von Angelika Niescier. Die umtriebige Kölner Saxophonistin und Komponistin ist fasziniert von Kundry, der geheimnisvollen Helferin der Gralsritter in Wagners "Parsifal". Die Jazzfrau realisierte mit der Sopranistin Maria Jonas und der Popmusikerin Niobe ihr Vorhaben "drei Musikerinnen aus drei verschiedenen Genres interpretieren Kundry", das in Köln aufgeführt wurde. Nun arrangiert Niescier Wagner-Musik für das vom Auslandsrundfunk Deutsche Welle gesponserte German Women's Jazz Orchestra. Die 12-köpfige Frauen-Bigband wird Niesciers Wagner-Variationen bei einem Gastspiel im Mai in Washington und im Herbst beim Beethoven-Fest in Bonn aufführen.

Wie würde wohl der deutsche Opern-Titan die Bemühungen der Jazzer mit seinem Werk sehen? "Wagner wäre mit meiner Kundry wahrscheinlich nicht einverstanden", sagte Niescier dem Berliner "Missy Magazine". "Aber nur weil er sie erschaffen hat, besitzt er keine Deutungshoheit über sie."


Dieter Ilg: Parsifal - mit Richard unterwegs. ACT; 16,99 Euro.

Eric Schaefer: Who is afraid of Richard W.? ACT; 17,98 Euro.

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