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Roky Erickson: Der Außerirdische aus Austin

Foto: Guy Clark/ Michael Ochs Archives/ Getty Images

Roky Erickson ist tot Geliebtes Alien

"You're Gonna Miss Me" hieß der größte Hit seiner Band 13th Floor Elevators, und ja, man wird ihn vermissen: Roky Erickson, Pionier der psychedelischen Rockmusik, ist im Alter von 71 Jahren verstorben.

Die alternative Rockwelt trauert an diesem Samstag um einen ihrer tragischsten Helden. Die Kondolenz-Liste auf Twitter und anderen Medien ist lang und prominent besetzt: J. Mascis von Dinosaur Jr., Elektronik-Punk Oneohtrix Point Never, Garbage, Mogwai, Mark Lanegan und Okkervil River die mit dem Verstorbenen an seinem letzten Album gearbeitet hatten. Billy Gibbons, Gitarrist von ZZ Top und ein alter Freund, schrieb in einem Statement, es sei fast unvorstellbar, sich eine Welt ohne Roky Erickson vorzustellen. "Er schuf seine eigene musikalische Galaxie". Erickson, ehemals Sänger der Band 13th Floor Elevators, war am Freitag im Alter von 71 Jahren verstorben. Zur Todesursache gibt es bisher keine Angaben.

Roger Kynard Erickson wurde am 15. Juli 1947 in der texanischen Hauptstadt Austin in einen, wie er später sagte, musikalischen Haushalt geboren. Mit fünf spielte er Klavier, mit zehn lernte er Gitarre. die Highschool beendete er nicht, weil er sich weigerte, seine Haare zu schneiden und deswegen von der Schule flog. Stattdessen heuerte er bei der bis zu zehnköpfigen Beatband The Spades als Gitarrist an. Das war Mitte der Sechzigerjahre.

In Austin kam damals einiges zusammen, die Gegenkultur der Studenten, Hippies und Dropouts eroberte und durchdrang das Erbe des traditionsreichen Country- und Roots- Musikstandorts: Blues, R&B, Cowboymusik und Rock'n'Roll, all das vermengte sich in den Bars, Kneipen und Liveklubs der Stadt mit viel Peyote, Alkohol und Drogen zu etwas Neuem. Die 13th Floor Elevators, denen Erickson bald darauf als Sänger und Gitarrist beitrat, waren die ersten, die dafür einen Namen fanden: Psychedelic Rock.

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Roky Erickson: Der Außerirdische aus Austin

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Nur vier Alben veröffentlichte die Band in der kurzen Zeit ihres Bestehens, aber Songs wie "Roller Coaster", "Fire Engine" oder "Slip Inside This House" sind Klassiker des Genres geworden, das heute auch Garagen-Rock oder Garage Punk genannt wird. Der größte Hit der Elevators ist "You're Gonna Miss Me" vom Debütalbum "The Psychedelic Sounds of the 13th Floor Elevators" (1966). Ein passiv-aggressiver Trotzausbruch enttäuschter Teenagerliebe zu Surf-Gitarren - und zu irren Blubbergeräuschen aus dem "electric jug" von Bandleader Tommy Hall, einem elektrisch verstärkten Tonkrug, in den Hall hineinpustete oder sprach. Der Song schaffte es bis auf Platz 55 der Billboard-Charts.

Ericksons wilder Schrei am Ende des Songs soll Janis Joplin zu ihren expressiveren Bühnenshows inspiriert haben. Die damals noch unbekannte Sängerin sah die Band live, als sie Mitte der Sechziger kurzzeitig in ihre Heimat Texas zurückkehrte.

Wäre Erickson damals Joplin und vielen anderen Untergrundmusikern in die liberale Hippie-Metropole San Francisco gefolgt, seine Geschichte wäre vielleicht anders verlaufen. Doch Erickson blieb in Texas und fügte sich dem strengen Diktat von Bandchef Hall, jeden Auftritt unter massivem Einfluss von LSD oder anderen bewusstseinserweiternden Drogen zu absolvieren. Schon Ende der Sechziger war Erickson psychisch angeschlagen. Bei Konzerten fing er an, wirres Zeug vor sich hin zu brabbeln.

Ärzte diagnostizierten bei dem Musiker paranoide Schizophrenie und verordneten ihm einen Aufenthalt in der geschlossenen Psychiatrie, wo er unter Medikamente wie Thorazin gesetzt und, wie damals üblich, mit Elektroschocks behandelt wurde. Nach zahlreichen Ausbruchsversuchen, teilweise mit Tommy Halls Hilfe, wurde er wegen des Besitzes eines einzelnen Marihuana-Joints verhaftet. Um nicht ins Gefängnis zu müssen, ließ er sich unzurechnungsfähig erklären und ging erneut ins Sanatorium. Es war das Ende der 13th Floor Elevators und beinahe auch das Ende von Ericksons Karriere.

Denn auch wenn er die Jahre im Rusk Hospital in Houston später als seine produktivsten bezeichnete, geistig verfing er sich mehr in Wahnvorstellungen. 1974, aus dem Krankenhaus entlassen, gründete er für die Texte und Songs, die er zwischenzeitlich geschrieben hatte, eine neue Band, inspiriert von Pulp-Comics- und Horrorfilmen, die er liebte. Bleib alien hieß sie, zusammengesetzt aus der deutschen Phrase "bleib allein" und dem englischen Wort für fremd oder eben außeriridisch: Alien. Der Sound war jetzt härter als bei den Elevators, eine Abwandlung des Hardrocks und Heavy Metals der Ära. 1979 änderte er den Bandnamen in Roky Erickson and the Aliens. "Night Of The Vampire", "Creature With The Atom Brain" oder "Two Headed Dog" heißen Songs aus dieser Zeit, die auf dem Album "The Evil One" (1981) gesammelt wurden.

Mental ging es ihm jedoch nicht besser. Schon Mitte der Siebziger hatte er notariell festlegen lassen, dass er nicht der menschlichen Rasse angehörte, sondern ein Außerirdischer war. Noch Anfang der Achtzigerjahre behauptete er, ein Marsianer hätte Besitz von seinem Körper ergriffen, daher hätten es die Menschen auf ihn abgesehen, würden versuchen, ihn mit Elektroschocks zu attackieren und zu foltern.

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Etwa zur selben Zeit entwickelte er ein obszessives Verhältnis zu Wurfsendungen und Werbebriefen, die er hortete oder zum Teil beantwortete. 1989 wurde er wegen Postdiebstahls sogar kurzzeitig verhaftet. Musikalisch wurde es in den Achtzigern und Neunzigern ruhiger um Erickson. Ähnlich wie seine prominenteren, zum Teil früh verstorbenen Kollegen Syd Barrett, Keith Moon und Brian Wilson galt er als in Kennerkreisen verehrtes Enigma, aber auch als mahnendes Beispiel für den oft traumatisierenden Zusammenhang zwischen Rock'n'Roll, exzessivem Drogenkonsum, psychischer Krankheit und fehlgeleiteter institutioneller Behandlung.

Unter der Vormundschaft seines jüngeren Bruders Sumner ging es ab 2001 endlich aufwärts mit Ericksons Gesundheit. Er ließ sich die hochgradig entzündeten und verfaulten Zähne richten, begann eine neue Therapie gegen seine Schizophrenie und begann wieder aufzutreten. 2005 erschien der Dokumentarfilm "You're Gonna Miss Me" von Regisseur Keven McAlester, noch im selben Jahr absolvierte Erickson sein erstes Konzert seit 20 Jahren. 2010 nahm er, zusammen mit der Alternative-Folkband Okkervil River, das von der Kritik gefeierte Album "True Love Cast Out All Evil" auf, im Mai 2015 trat er erstmals wieder mit den Originalmitgliedern der 13th Floor Elevators auf. Das "Austin Psych Fest" wurde für diesen Anlass, analog zu einem der bekannteren Songs der Band, in "Levitation" umbenannt.

2009, als Erickson einige Interviews gab, wurde er von dem britischen Musikmagazin The Quietus gefragt, wie er es heute empfinde, einst in einen verhängnisvollen Strudel aus Drogen und Entgrenzungen hineingezogen worden zu sein. "Ach, ich weiß nicht", sagte Erickson, man werde nie wissen, was damals genau passiert sei. "Aber aus irgendwelchen Gründen bin ich da durchgekommen. Ich bin okay."

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