Bildband über Rolling-Stones-Fans "Das Gefühl, abzuheben"

Begeistert, betrunken, befreit: Im Juni 1978 feierten mehr als 90.000 Fans beim Konzert der Rolling Stones in Philadelphia. Der Fotograf Joseph Szabo hielt die Exzesse der Jugendlichen fest.
Zur Person

Joseph Szabo, Jahrgang 1944, studierte Fotografie in New York, danach arbeitete er zunächst als High School-Lehrer. In den frühen Siebzigern begann er, seine Schüler zu fotografieren, später wurden seine Bilder u.a. im Moma und auf der Biennale ausgestellt. Besonders unter Alternative-Fans ist er bekannt: Szabos Foto eines rauchenden Mädchens am Strand nutzen Dinosaur Jr. 1991 als Cover für ihr Album "Green Mind".

SPIEGEL ONLINE: Herr Szabo, 1978 haben Sie Fans bei einem legendären Konzert der Rolling Stones in Philadelphia fotografiert, zu dem mehr als 90.000 Menschen gekommen waren. Welche Begegnung ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Szabo: Das Treffen mit einem jungen Mann, der im Tanz ganz mit der Musik verschmolz. Ich hatte das Gefühl, er hebt ab; er war im siebten Himmel bei diesem Konzert. Als er merkte, dass ich ihn fotografierte, lächelte er mich an. Er war so offen, dass es auf mich abfärbte. Auch ich hatte das Gefühl, offener zu werden.

SPIEGEL ONLINE: Warum sind Musik und Jungsein so eng miteinander verwoben?

Szabo: Musik ist wichtig in dieser Phase des Lebens, weil man überläuft vor Gefühlen, einem aber noch die Worte fehlen, um diese auszudrücken. Die Musik hilft als Vehikel. In den Siebzigern unterrichtete ich an einer Highschool auf Long Island und erlebte hautnah, was Musik für meine Schüler bedeutete. Wenn wir in der Dunkelkammer arbeiteten, hörten wir Radiosender, die meine Schüler mochten: Led Zeppelin, Rolling Stones, viel Southern Rock. Ich hörte mit und merkte, dass es nicht mehr um verliebte Teenager ging wie in den Fünfzigern, in denen ich aufwuchs. Die Rockmusik machte ganze Lebenswelten auf, von Politik bis Gesellschaft. Als ich sah, wie diese Musik die Teenager berührte, verstand ich meine Schüler ein bisschen besser.

SPIEGEL ONLINE: Waren die denn davor ein Rätsel für Sie?

Szabo: Dass einige meiner Schüler Marihuana rauchten, konnte ich zum Beispiel nie begreifen. Aber es schmälerte meine Beziehung zu ihnen nicht, weil ich sie verstehen und nicht verurteilen wollte.

SPIEGEL ONLINE: Sie wurden bekannt mit Bildern, die das Lebensgefühl amerikanischer Teenager einfangen. Was fasziniert Sie so am Jungsein?

Szabo: Natürlich ist das zum einen die universelle Faszination für Jugendlichkeit: Die pulsierende Energie, die Menschen in dem Alter ausstrahlen, der Jungbrunnen, nach dem sich alle sehnen. Trotzdem ging es auch um etwas anderes, als ich in den Siebzigern anfing, Teenager zu fotografieren: Ich wollte eigentlich mich selbst retten.

SPIEGEL ONLINE: Wie meinen Sie das?

Szabo: Ein guter Pädagoge muss ja nicht nur fachlich gut sein, er muss auch eine Beziehung zu seinen Schülern aufbauen. Sie müssen dich mögen, sonst hören sie dir nicht zu. Eines Tages brachte ich meine Kamera mit in die Schule, um wenigstens ein bisschen Spaß zu haben. Als ich anfing, die Schüler zu fotografieren, änderte sich etwas. Über die Bilder bekam ich ein viel intimeres Vertrauensverhältnis zu ihnen.

SPIEGEL ONLINE: Wie kann durch ein paar Fotos eine solche Nähe entstehen?

Szabo: Unterschätzen Sie nie die Kraft der Bilder! Fotografie ist eine wunderbare Art, um eine Verbindung zu Menschen aufzubauen. Die Schüler wussten, dass ich sie genug mag, um Bilder von ihnen zu machen. Damit erkannte ich sie in gewisser Weise an. Und ich schloss keinen aus, weil er etwa schlechte Noten hatte oder nicht ganz so hübsch war. Wenn ich Menschen fotografiere, suche ich immer nach dem, was sie mir geben können - das sind sie selbst, nicht mehr und nicht weniger. Und das genügt völlig.

SPIEGEL ONLINE: Mit Ihrem Blick durch die Linse: Haben Sie das Gefühl, dass sich die Teenager von heute unterscheiden von denen aus den Siebzigern?

Szabo: Ich habe manchmal das Gefühl, dass in den Gesichtern der Jugendlichen etwas verloren gegangen ist.

SPIEGEL ONLINE: Was?

Szabo: Schwer zu beschreiben. Ich glaube, dass sich eine Oberflächlichkeit durchgesetzt hat. Klamotten und Mode etwa sind für junge Menschen heute viel wichtiger als früher. Das hat bei den Stones-Fans keine Rolle gespielt. Okay, sie trugen vielleicht Lederjacken, aber sonst? Kaputte Jeans, Sweatshirts, alte Flanellhemden.

SPIEGEL ONLINE: Aber damals lag das Mode-Statement dann darin, sich bewusst so anzuziehen, als schere man sich nicht um Mode.

Szabo: Das mag sein. Der Umgang mit der Äußerlichkeit war aber trotzdem entspannter: Die Jeans waren löchrig, weil sie so lange getragen wurden. Heute kaufen reiche Menschen Jeans mit Löchern, weil sie es sich leisten können, arm auszusehen. Aber die Armen können nicht reich aussehen. Soziale Unterschiede spiegeln sich heute stärker in der Mode.

SPIEGEL ONLINE: Waren Sie seit 1978 noch mal auf einen Rolling-Stones-Konzert?

Szabo: Nein. Ich mag die Stones, aber ich bin kein Riesenfan. Meine Frau ist studierte Opernsängerin. Ich mag Opernmusik.

SPIEGEL ONLINE: Das Publikum ist jetzt viel älter, das wäre doch eine interessante Herausforderung.

Szabo: Ja, heute gibt es Rollstuhlrampen. Das wäre bestimmt spannend. Aber es ist nicht so einfach: Wenn man heute Fotos machen will, muss man sich akkreditieren lassen. 1978 bin ich einfach reingegangen, als Besucher. Heute machen vielleicht alle Bilder mit ihren Smartphones. Aber mit einer richtigen Ausrüstung kommt man da nicht mehr ohne Weiteres rein.

Die Londoner Michael Hoppen Gallery zeigt eine Auswahl von Szabos Bildern in einer Online-Ausstellung. 

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Joseph Szabo:
Rolling Stones Fans

Damiani;
112 Seiten, 37,64 Euro.

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