Rolling Stones in Berlin Es ist nur Rock'n'Roll...

Aber den haben sie auch im Rentenalter noch drauf: Zum ersten Mal seit sieben Jahren spielten die Rolling Stones wieder in Deutschland. Ihr Konzert in Berlin schwankte zwischen sympathisch unperfektem Gewurstel und großer Rockshow.
Rolling Stones in Berlin: Es ist nur Rock'n'Roll...

Rolling Stones in Berlin: Es ist nur Rock'n'Roll...

Foto: THOMAS PETER/ REUTERS

Falls Sie sich das ernsthaft gefragt hatten: Die Waldbühne steht noch. Weder wurden Sitzbänke zertrümmert, noch wurde die Bühne gestürmt. Stattdessen wurde artig bis begeistert im Takt geklatscht, wie man es vielleicht auch bei einem Konzert von Hansi Hinterseer erlebt. Das Publikum der Rolling Stones ist zusammen mit der einstmals "härtesten Band der Welt" alt geworden, und auch ein bisschen milde.

1965 sah das nach dem ersten Berliner Auftritt der britischen Rocker noch ganz anders aus. Ein tiefer Graben der Verständnislosigkeit klaffte zwischen der vom Rock'n'Roll infizierten Jugend und den Tugendwächtern der Bundesrepublik. Die "FAZ" schrieb damals missmutig von den "affenartigen" Tanzbewegungen des Sängers und prophezeite der "primitiven" Musik keine große Zukunft.

Und was taten die jungen Berliner? Hangelten sich zum Entsetzen der Band auf die Bühne und zerlegten, als die Stones nach nur 20 Minuten ohne Zugabe verschwanden, das halbe Freilichttheater, in dem einst die Nazis Germanenspiele zelebriert hatten, in seine Einzelteile. Der Rock'n'Roll hatte seine zerstörerische, kathartische Einflusskraft unter Beweis gestellt, und das alles, bevor Mick Jagger überhaupt nur den Text von "Sympathy for the Devil" oder "Street Fighting Man" geschrieben hatte.

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Waldbühne: Die Stones in Berlin

Foto: Jörg Carstensen/ dpa

Ü-40-Publikum

Am Dienstagabend war bei konstant über 30 Grad Celsius keinerlei Rebellion vom brav durch die Institutionen marschierten Ü-40-Publikum zu erwarten. Wer die mindestens 180 Euro für ein Ticket zum ersten deutschen Stones-Konzert seit sieben Jahren berappt hatte, der erwartete keine Anstiftung zum Systemsturz mehr, sondern in erster Linie gute Unterhaltung und die Befriedigung nostalgischer Sehnsüchte.

Und das ist etwas, was die Rolling Stones im Rentenalter nahezu perfekt beherrschen. Die Setlist des Waldbühnen-Konzerts zeigte kaum Abweichungen von der Best-of-Show, die die Band zuvor bereits in Lissabon, Zürich und Tel Aviv absolviert hatte: Standards wie der klassische Konzert-Opener "Start Me Up", sowie Gassenhauer wie "Satisfaction", "Jumpin' Jack Flash" oder "Brown Sugar" standen ebenso auf dem Programm wie "Gimme Shelter" und das unvermeidliche "Tumbling Dice". Auffällig:

Vier der insgesamt 19 gespielten Songs stammen vom Album "Let It Bleed" (1969), darunter auch die mit Berliner Chormädchen und Publikum sehr ordentlich gesungene Zugabe "You Can't Always Get what You Want". Vom Vorgänger-Album "Beggars Banquet", das zur Hochzeit der Studentenproteste 1968 erschien, gab es dafür wie immer nur "Sympathy for the Devil", das aber mit rotem Kunstnebel und Mick Jagger im Dracula-Cape - ein bisschen überinszeniert.

Aber sich über die Selbstkommerzialisierung und Über-Professionalisierung der dienstältesten Rockband zu ereifern, deren Sänger und Gitarrist 70 Jahre alt sind und sich wahrscheinlich hinter der Bühne kaum noch etwas zu sagen haben, wäre zutiefst unoriginell. Und man übersähe dabei, dass eben doch nichts wirklich perfekt ist in dieser Revue, die zwischendurch immer wieder ins Rumpeln gerät. Keith Richards verpatzte gleich den allerersten Akkord von "Start Me Up". Man stelle sich das einmal vor: Die spielen diese Songs seit 40 Jahren, aber diese faltige, echsenartige Großmutter von einem Gitarristen schafft es nicht, sein eigenes, sehr markantes Riff sauber abzuliefern.

Und auch später, als Mick Jagger mal kurz zehn Minuten Pause machte und vermutlich backstage einen Earl Grey trank oder das Kreuzworträtsel im "Guardian" löste, war es Richards, der leicht lallend das Publikum begrüßte, sich gerade noch erinnern konnte, in welcher Stadt er gerade war, dann aber auch nichts weiter zu sagen wusste, außer: "anyway: on with the show". Es folgten "You Got the Silver" und "Can't Be Seen", und wer den notorischen Nicht-Sänger Richards einmal singen gehört hat, der weiß, dass der gute alte Blues von "Silver" immer gerade noch so gelingt, das andere Stück aber knapp an einer Muppetshow-Parodie vorbeischrammte.

Es gibt keinen anderen Rockmusiker auf der Welt, der für diese Art nonchalanten Dilettantismus auch noch Applaus erntet. Es ist aber gleichzeitig das Chaos-Element Richards, das in der aus Blues, Rock und Soul destillierten Musik der Stones immer wieder alles übereinander stolpern lässt, so sehr sich die hervorragende Tourband - und Oberkontrollfreak Jagger - auch Mühe geben, alles im Flow zu halten. Und dieses Rohe, Widerborstige, dieses rolling and tumbling, dieses anarchische Reiben auch innerhalb der Band, das ist natürlich die Essenz des Rock'n'Rolls.

Kein Ständchen für Merkel

Ein Rolling-Stones-Konzert kann daher gar nicht hundertprozentig gelingen, es wird immer verholperte, gehetzte oder schlicht verpatzte Songs (diesmal: "Honky Tonk Women", "Doom and Gloom", "Satisfaction") geben, ebenso wie Glanzstücke wie das in einen mehrminütigen Blues-Jam mündende "Midnight Rambler", zu dem der legendäre Spätsechziger-Stones-Gitarrist Mick Taylor auf die Bühne gebeten wurde: der klare und Ehrfurcht gebietende, alle Skepsis hinwegfegende Höhepunkt des am Ende natürlich sehr guten Konzerts. Taylor, der beste Gitarrist, den die Stones je hatten, durfte dann zum "Satisfaction"-Finale noch einmal mitmachen, blieb dabei allerdings denkbar blass.

Und Mick Jagger? Tanzte mit seinen natürlich weniger affenartig als vielmehr exaltierten Moves mal zwischen Ronnie Wood und Keith Richards hindurch oder schnappte sich (bei "Gimme Shelter") Background-Wuchtbrumme Lisa Fischer zum Gesangsduell auf der ins Publikum ragenden Plattform. Das Berliner Publikum charmierte er mit rudimentären Deutsch-Kenntnissen ("Am Sch-lage-seug: Charlie Watts!") und wischte nebenbei dem - anwesenden - Scorpions-Sänger Klaus Meine eins aus. Die Band habe nämlich überlegt, so Jagger, den Friedenshit "Wind of Change" einzuüben, vielleicht als Versöhnung für den wüsten Waldbühnenabend vor 49 Jahren? Lakonische Pointe: "But it didn't work out." Also nix Gastauftritt Meine, der sich vielleicht schon in der Rolle des Überraschungsgasts Bruce Springsteens beim Stones-Konzert in Lissabon gesehen hatte. Nein, das wäre der Umarmung des Uncoolen dann doch zu viel gewesen.

Und auch die Bundeskanzlerin wurde in dieser Zeit britisch-deutscher Europa-Spannungen subtil geschnitten: Während überall auf der Tournee als fünfter Song "Angie" gespielt wurde, gab es in Berlin kein Ständchen für Merkel, so viel politische Spitze ist dann doch drin in diesem Multimillionen-Euro-Spektakel reicher alter Männer.

It's still only Rock'n'Roll. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

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