Rolling Stones in Paris It's only capitalism, but I like it
Im Juli 2012 schrieb Edouard Carmignac einen offenen Brief an den französischen Staatspräsidenten Francois Hollande, groß platziert im Rahmen einer internationalen Anzeigenkampagne in Tageszeitungen in Frankreich, Deutschland und Italien. Von "einer Anhäufung von verhängnisvollen Drohungen" war dort die Rede. Anlass: die Fiskalpolitik des im Mai vereidigten Sozialisten. Die verurteilte Carmignac als "enteignendes Steuerwesen", das die Unternehmen aus dem Land treibe. Hollande hatte angekündigt, Einkommen über einer Million Euro im Jahr mit 75 Prozent zu besteuern und den Verdienst über 150.000 Euro mit 45 Prozent.
Carmignac wäre davon wohl persönlich betroffen. Über sein Investment-Unternehmen Carmignac Gestion schrieb das "Handelsblatt" kürzlich: "Selten war ein Fondshaus so erfolgreich. In wenigen Jahren sammelten Gründer Edouard Carmignac und sein Team über 50 Milliarden Euro ein."
Nun macht Carmignac Gestion auf andere Art Schlagzeilen. Wie das französische Nachrichtenmagazin "Le Point" mitteilte, veranstaltet der Vermögensverwalter Ende Oktober in Paris "the biggest secret event of the year" - es dauerte nicht lange, bis die Presseagentur AFP meldete, um was es sich handelt: ein Privatkonzert der Rolling Stones.
Zynischer Gag

Rolling Stones: Die Stones zum Spottpreis
Es wäre wohl naiv, daran zu erinnern, dass die Band irgendwann mal, vor über 40 Jahren ein Album aufgenommen hat, das "Beggars Banquet" (Bankett der Bettler) hieß, dass darauf ein Song mit dem Titel "Street Fighting Man" zu hören war - und dass die Straßenkämpfer damals, auch in Paris, nicht gegen zu hohe Steuersätze protestiert hatten. Wir alle werden schließlich älter, arrangieren uns mit dem System, und nicht jeder Rockstar entdeckt mit fortschreitenden Jahren die Segnungen des Postmaterialismus. Rockmusik ist längst ein globaler Marken-, wenn nicht Luxusartikel, bei dem es nicht um Rebellion geht, sondern darum, welcher Auftraggeber am besten zahlt.
Im Fall von Beyoncé Knowles war dies 2009 ein Sohn des libyschen Staatschefs Muammar al-Gaddafi, der für einen Auftritt der R'n'B-Königin zwei Millionen Dollar zahlte. Auch Mariah Carey, Nelly Furtado oder der Rapper 50 Cent traten vor dem Gaddafi-Clan auf. Der Schwiegersohn des kasachischen Autokraten Nursultan Nasarbajew beauftragte Elton John. Michael Jackson ließ sich vom Sohn des Königs von Bahrain aushalten. Was ist dagegen ein Investmentfonds in einem demokratischen Land?
Zynisch ist das Gastspiel der Rolling Stones in Paris nicht, weil die Band damit vollends mit dem Rebellengestus der Rock- und Gegenkultur der Sechziger bricht. Der mag sie weltberühmt gemacht haben. Wahrscheinlich aber hat sie niemals daran geglaubt.
Zynisch ist das Gastspiel, weil die Band mit einem anderen, als "Überraschungskonzert" inszenierten Auftritt am Donnerstagabend deutlich gemacht hat, welche Rolle dem weniger zahlungskräftigen Publikum im weltweiten Rock'n'Roll-Zirkus 2012 überhaupt noch bleibt: die der Staffage eines klug orchestrierten Marketing-Gags.
Markenpflege
Eine Karte für das Clubkonzert am Donnerstag kostete zwar nur 15 Euro, dafür aber waren den Rolling Stones die Schlagzeilen, auch der internationalen Presse, sicher - der herrschende Tenor war dabei denkbar arglos: als hätten die vier sich aus bloßer Rock'n'Roll-Romantik zu diesem Auftritt hinreißen lassen.
Die Kalkulation hinter dem Konzert dürfte deutlich kühler sein: Bei den regulären Konzerten im Herbst, mit denen die Band sich, wie Gitarrist Keith Richards im Gespräch mit dem US-amerikanischen Musikblatt "Rolling Stone" andeutete, für eine größere Tour warmspielt, kosten die besseren Plätze in den USA über 800 Dollar.
Was die Rolling Stones mit ihrem Clubkonzert in Paris betrieben haben, nennt man Markenpflege: Mit einer spontan und unkommerziell wirkenden Aktion wird für die nötige Street Credibility gesorgt, mit der sich das Produkt dann um so besser und teurer verkaufen lässt - schließlich zehren die Rolling Stones vor allem von ihrem Ruf. Auch wenn die Superstars der Popkultur als Markennamen mindestens ebenso wertvoll sind wie die im Interbrand-Luxusartikler-Ranking derzeit vorn liegenden Louis Vuitton, Gucci und Hermès - den Ruf, eine Band für Investmentbanker zu sein, können sich selbst die Rolling Stones nicht leisten.
Vieles hat sich geändert seit den sechziger Jahren, zu Rockkonzerten aber geht man zumindest als Stones-Fan noch immer, weil man sich jung, wild und rebellisch fühlen möchte. Vor vier Jahrzehnten war dieses Gefühl fast umsonst zu haben. Heute ist es nahezu unbezahlbar - wenn man denn nicht in den äußerst seltenen Genuss eines 15-Euro-Auftritts kommt.
Für alle anderen Stones-Fans gilt: Was sind schon ein paar hundert Euro für eine Eintrittskarte, wenn man dafür endlich mal vom harten Alltag abschalten kann, und sei es von dem als Investmentbanker? Vielleicht vergisst man dabei sogar die Steuerpolitik der Sozialisten.