Jubiläumskonzert der Rolling Stones Tanz auf der Zunge

Jubiläumskonzert der Rolling Stones: Tanz auf der Zunge
Foto: TOBY MELVILLE/ REUTERSMan könnte meinen, die Rolling Stones hätten es nicht nötig, ein Publikum von ihren Qualitäten zu überzeugen, das drei- bis vierstellige Euro-Beträge dafür hingeblättert hat, die erste ihrer fünf Shows zum 50. Jahr ihres Bestehens im Londoner O2 Centre zu sehen. Doch in einem einleitenden Filmchen preisen Persönlichkeiten wie Elton John, Nick Cave, Iggy Pop oder Pete Townshend vollmundig ihre Kollegen, bevor jene - von einem durchs Publikum marschierenden Heer schwarz gekleideter maskierter Trommler effektvoll angekündigt - endlich die Bühne betreten.
Vielleicht hätten die Stones sich das Lob der Konkurrenz besser selbst in der Garderobe ansehen sollen. Eine etwas schleppende Version ihrer (von Lennon-McCartney geschriebenen) zweiten Single "I Wanna Be Your Man" klingt jedenfalls nicht so recht von sich selbst überzeugt. Schon besser gehen "Get Off My Cloud", "It's All Over Now" und "Paint It Black" von der Hand, den vollen Schwung erreicht aber erst der fünfte Song "Gimme Shelter" - nicht zuletzt dank eines elektrisierenden Gastauftritts von Mary J. Blige. Die Sängerin inspiriert Mick Jagger dazu, Silber-Jackett und Silber-Krawatte abzuwerfen und den Blick der Menge auf seinen für einen 69-jährigen geradezu unfassbar knabenhaften Oberkörper zu lenken.
Aus der unterhalb einer gigantischen roten Oberlippe samt weißen Zähnen im Rachen des charakteristischen Markenzeichen-Schleckermunds platzierten Bühne ragt ein Laufsteg in Form der herausgestreckten Zunge hervor, auf dem Jagger, Ron Wood und Keith Richards nach spontaner Laune herumparadieren. Je länger das Konzert dauert, desto öfter.

Rolling Stones: Jubiläums-Show in London
Vor dem Auftritt hatte die britische Presse gelästert, dem Sänger sei bei den Proben die Luft ausgegangen, aber davon ist in diesen zweieinhalb Stunden nichts zu merken. Dass Jagger die Dauerläufe seiner athletischen Frühachtziger-Periode weitgehend bleiben lässt, tut seiner Stimme gut und der Show keinen Abbruch.
Der wahre Held des Abends
Jagger zappelt heutzutage nicht, er tanzt wie ein Mann, der ehrliche Freude am Song um Song unwiderstehlicher einherrollenden Sound seiner Band hat. Ihrem zu etwa gleichen Teilen älteren und sehr jungen Publikum rufen die Stones spätestens mit "It's Only Rock'n'Roll" und "Honky Tonk Women" ins Gedächtnis, wie sinnlich und soulig Rockmusik einmal klingen konnte. Daran kann auch die eher demotivierte Miene des in erwähnten Songs gastierenden Originalbassisten Bill Wyman nichts schmälern. Der omnipräsente Sex in der Musik dieser ihren leiblichen Instinkten sichtlich nicht entwachsenen Herren kippt bezeichnenderweise nur einmal ins Plumpe, nämlich als ein anderer Gast, der ebenfalls erstaunlich gut erhaltene Jeff Beck, den Blues-Rock-Standard "Going Down" unerbittlich niedersoliert.
Auch Ronnie Woods Vorgänger Mick Taylor, der in "Midnight Rambler" auf die Bühne kommt, um die Stones der frühen Siebziger wieder aufleben zu lassen, trägt an diesem Abend mit seinen Versuchen zu blenden nichts Wesentliches zur instinktiv harmonierenden Kernbesetzung bei. Im Gegenteil: Es ist Wood, der - von kolportierten Alkoholproblemen scheinbar unbeeinträchtigt - in "Wild Horses" und der von einem 24-köpfigen Chor begleiteten Zugabe "You Can't Always Get What You Want" die wohl besten Soli einer an inspirierten Einlagen alles andere als armen Nacht spielt.
Sicher, auch Keith Richards, der gefühlte dreißig Jahre älter aussieht als der um fünf Monate ältere Jagger, hat seine großen Momente, wie etwa das klirrend scharfe Solo am Ende von "Sympathy For The Devil" oder seine alte Gesangsnummer "Happy" aus "Exile on Main Street". Der wahre Held bleibt aber Charlie Watts, dessen zielsicher hinter den Beat schnalzende Snare-Trommel auch das Jubiläum der Stones um den für ihren Groove so entscheidenden Sekundenbruchteil später feiert als der Rest der Band.
Nach der endgültigen Schlussnummer "Jumpin' Jack Flash" hängt zwar "Satisfaction" ungespielt in der Luft, aber es wird vermutlich noch genug Gelegenheiten geben, dieses Versäumnis nachzuholen. In solcher Spiellaune werden die Stones sich wohl kaum auf ihre fünf vorgesehenen Konzerte beschränken.