Sängerin Annett Louisan "Viele Frauen mögen das nicht"
Was ist schon ein Jahr? Wenn man Pech hat, ist fast nichts passiert. Hat man Glück, wurde das ganze Leben auf den Kopf gestellt. Wie bei Annett Louisan. Dafür allerdings guckt die Hamburgerin noch recht entspannt aus der noch immer total normalen Wäsche. Kein deutscher Pop-Act, nicht einmal Wir sind Helden oder Juli, hat mit dem Debüt-Album einen vergleichbaren Start hingelegt: "Bohème" verkaufte sich über 400.000 Mal und lief in sogar im Formatradio in Heavy Rotation. Louisan heimste lächelnd Preise ein, saß ebenso süß lächelnd in beinahe jeder nennenswerten Talkshow - und überrascht die Leute nun fast genau ein Jahr nach "Bohème" mit dessen Nachfolger "Unausgesprochen".
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt: An die Kandare genommen, übers Feld getrieben, abgekocht wird der Erfolg, solange er noch einer ist. Annett Louisan lächelt schon wieder. "Klar denken das jetzt viele. Aber ich hatte die Songs im Grunde schon fertig, als ich im Frühjahr auf Tournee ging." Weshalb immerhin fünf davon dort auch schon zu hören waren. Der Applaus für die neuen Lieder hat ihr Mut gemacht, sagt sie im Interview: "Ich weiß genau: der Welpenschutz ist weg, ich konnte mich nicht einfach mit irgendeinem zweiten Album dahin stellen. Dass alles in so kurzer Zeit geklappt hat, fand ich dann aber doch erstaunlich."
Mit ihrem Co-Autor Frank Ramond, der Louisans Song-Ideen in Verse gießt, hat die kleine Blonde jetzt einiges gewagt. Zwar setzen die neuen Songs fort, was ihre Vorgänger trotz manchmal dünner Stimme zu Unikaten werden ließ, aber "Unausgesprochen" sucht hörbar nach neuen Themen. Noch immer wurzeln die Lieder im französischen Chanson und beschwören den Geist des Berliner Kabaretts der zwanziger Jahre, aber das Lolita-Image will einem erwachseneren Ton weichen. Die Texte sind weniger verspielt, die Musik jazziger, schwerer, Louisans Stimme klingt dunkler und verkratzter.
Angst vor verschreckten Zuhörern hat sie dabei nicht: "Normalerweise freuen sich die Menschen ja vor allem dann, wenn sie einen Song wiedererkennen," weiß Louisan zu berichten, "bei mir aber scheint das anders zu sein. Vielleicht ist das auch ein Zeichen dafür, dass die echt zuhören. Das ist natürlich geil für eine Sängerin."
Der Alanis-Effekt
Normalerweise aber bringen Über-Nacht-Erfolge wie Louisans aber auch Phänomene hervor, die überhaupt nicht geil für eine Sängerin sind. Nachdem etwa Alanis Morissette dereinst ihr Debüt "Jagged Little Pill" binnen kurzer Zeit mehr als 20 Millionen Mal verkauft hatte, hetzten die großen Plattenfirmen deren vermeintliche Nachfolgerinnen fast wöchentlich auf die Journalistenmeute. Nach Norah Jones' Debüt Erfolgs-Debüt "Come Away With Me" wurden zarte Jazz-Sängerinnen gleich massenweise unter Vertrag genommen.
Doch auf diesen Kopiereffekt wartet Annett Louisan bis heute, "dabei hatte man mich sogar vorgewarnt: Wart' mal ab, ein Vierteljahr, und sie stehen alle mit der neuen Annett Louisan da. Aber es kam dann doch kein Aas. Wahrscheinlich ist das auch nicht so ohne Probleme, diese Konstellation zu kopieren. Die Stimme, die Optik, die Texte, der Sound, das ist nicht so leicht."
Warum das so ist, belegen nach Ansicht Louisans die Reaktionen ihres Publikums. Nicht wenige Rezensenten hatten ja geglaubt, die junge Hanseatin schreibe und singe vor allem für eine Klientel aufgeklärter Emanzen, "dabei war ich zum Beispiel total verwundert, wie viele Frauen wir mit dem Lied vergrault haben und wie viele Männer es mochten." Louisan lächelt durch den Rauch ihrer Zigarette. "Einige Frauen nehmen mir dieses Zusammenspiel von Emanzipation und femininem Auftreten übel, das Kätzchen mit Selbstbewusstsein. Aber ich mag diese Mischung sehr und finde sie auch wichtig. Wenn ich emanzipiert bin, muss ich nicht hart sein und jedes frauliche Empfinden verleugnen. Ich mag es, sexy zu sein, aber das mögen viele Frauen nicht."
Ein Blick gen Boden. "Auch nicht alle Männer übrigens. Denen hat man schließlich jahrelang erzählt, dass beides nicht geht, und jetzt, wo sie sich damit abgefunden haben, komme ich. Da hagelte es unglaublich moralisch angehauchte Briefe, ich dachte irgendwann nur noch, wow, meine Güte, das musste aber echt mal sein, so ein Song wie 'Das Spiel'".
Verstecken hinter dunklen Gläsern
Auf andere Begleiterscheinungen des Ruhms hätte Louisan noch lieber verzichtet. "Ich bin eine öffentliche Person geworden, und alles was ich mache, höre ich irgendwann mal wieder. Alles Tun hat jetzt Konsequenzen, das engt dich in deiner Person ein. Ich komme damit noch nicht so gut klar und habe mich erstmal ein Stück weit zurückgezogen." Ihre Heirat mit einem jungen Türken fand lediglich als kurze Meldung für die hungrige Fangemeinde statt, "und wenn ich nachts kurz zu McDonald's gehe und merke, wie mich alle anstarren, dann will ich das vielleicht nicht. Da muss man sich zusammenreißen, um dann nicht auch noch was Falsches zu tun. Auszurasten oder aggressiv zu werden, sowas."
Ein Mal, ein einziges Mal nur in dieser Interview-Stunde, verliert sie ganz kurz die Contenance, gerät das Lächeln aus den Fugen. Ob ihr denn in diesem turbulenten Jahr irgend etwas richtig Angst gemacht habe? "Doch, ich glaube ja. Vielleicht als es anfing, dass mich Leute auf der Straße erkannten. Da gab es so Phasen, nach Fernsehshows zum Beispiel, wo das immer mehr wurden und ich mir oft versuchte auszumalen, wo das alles noch hingehen soll. Da hatte ich schon kurzatmige Momente."
Aber Versteckt hat sie sich deshalb nicht. Annett Louisan holt eine riesige dunkle Sonnenbrille aus der Tasche. "Ich habe mir wirklich die hier gekauft. Aber nur zum Schutz und ein bisschen aus Eitelkeit. Es gab halt ein paar Fotos, die waren echt unbarmherzig. Als ich die sah, wusste ich wieder, wie oberflächlich diese Welt ist, und dass ich mich davor wenigstens manchmal bewahren muss. Mich und meine Familie. Die will zum Beispiel nicht ständig ihre Gesichter in der Presse entdecken, aber es gibt halt Menschen, die solche Wünsche für Quatsch halten und glauben, jeder sei geil darauf, in den Gazetten so oft wie möglich vorzukommen."
Wie schön, dass Annett Louisan solche Aufmerksamkeit notfalls allein durch ihre Songs bekommt. Wir wetten schon jetzt, dass ein Mann namens Thorsten Schmidt, Protagonist eines bösen, kleinen Beziehungssongs auf "Unausgesprochen", in kaum sechs Monaten zum geflügelten Charalter geworden sein wird.
Annett Louisan: "Unausgesprochen" (105 Music/Sony) ist am 21. Oktober erschienen