Sängerin Annette Humpe "Das ist doch alles Ego-Shit"

Früher war Annette Humpes Ego wild und gefräßig, jetzt ist es zahm - dem Buddhismus sei Dank. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE erklärt die ehemalige Ideal-Sängerin, warum sie bei Ich + Ich keine Rampensau ist und warum es deutsche Musik im Radio schwer hat.

SPIEGEL ONLINE: Frau Humpe, als Sie vor zwei Jahren gemeinsam mit dem Soulsänger Adel Tawil Ihr erstes Ich + Ich-Album herausgebracht haben, haben Sie in Interviews die Gegensätzlichkeit zwischen Ihnen betont: 26 Jahre Altersunterschied, die verschiedenen Hautfarben, die Herkunft. Das zweite Album, das am 29. Juni erscheint, heißt "Vom selben Stern". Sind die Gegensätze überwunden?

Humpe: Wir beschäftigen uns jetzt mehr mit dem Verbindenden als mit dem Trennenden. Aber damit meinen Adel und ich nicht nur uns selbst, sondern auch unsere Zuhörer, die vom selben Stern sind wie wir. Beim ersten Album haben wir diese Unterschiede betont, um den Journalisten zuvor zu kommen, die wissen wollten, wieso die ältere Dame Annette Humpe mit so einem jungen Ägypter Musik macht. Die Frage haben dann trotzdem alle gestellt, und wir haben darüber gesprochen, bis wir es nicht mehr hören konnten. Wenn ich Musik mache, frage mich doch nicht, ob ich in diesem Moment als Frau, als Weiße oder als 56-Jährige gerade ein Stück schreibe. Solche Aspekte spielen für mich gar keine Rolle.

SPIEGEL ONLINE: Aber für die Vermarktung, denn so ein Duo zieht automatisch die Aufmerksamkeit auf sich. Das erste Ich + Ich-Album war jedenfalls ein Charterfolg.

Humpe: Ja, aber damit konnte ich nicht rechnen. Mein letztes Soloalbum war ein richtiger Flop. Deshalb hatte ich trotzdem keine Angst vor einem möglichen Scheitern mit Ich + Ich. Ich mache nämlich Fortschritte in meinen buddhistischen Studien, ich identifiziere mich nicht mehr mit Erfolg und Misserfolg. Wenn "Vom selben Stern" sich nicht so gut verkaufen sollte, was ich nicht hoffe, dann macht mich das nicht zu einer schlechteren Musikerin.

SPIEGEL ONLINE: Wie viel Mühe hat es gemacht, dieses Stadium der Gelassenheit zu erreichen?

Humpe: Viel. Man muss üben und üben. Ich habe mein Ego unter der Lupe und sehe, wenn es wild und gefräßig wird und sich wichtig macht. Und dann sage ich meinem Ego, lass mal die Luft raus und komm wieder auf den Boden.

SPIEGEL ONLINE: In Ihrem Lied "Schütze mich" heißt es: "Ich wär’ gern besser als ich bin, ich kriegs nicht hin".

Humpe: Sie haben die Zeile unterschlagen: "Ist nicht schlimm".

SPIEGEL ONLINE: Aber ein bisschen schlimm ist es mit dem Ego trotzdem?

Humpe: Natürlich wäre ich in meiner buddhistischen Haltung gerne schon weiter und könnte egofrei leben. Ich glaube, die Menschen basteln sich mindestens 80 Prozent ihres Leids selbst, indem sie sich in Gedankenschleifen damit beschäftigen, wie andere sie finden, ob sie auch genug Anerkennung bekommen. Das ist doch alles Ego-Shit, der schlechte Laune macht. Man sollte so etwas wegschieben und nach vorne schauen, anstatt Zeit damit zu verschwenden, sich zu ärgern.

SPIEGEL ONLINE: Vermutlich war es leichter, diese Distanz zum Urteil anderer zu haben, als Sie als Produzentin der Prinzen oder von Lucilectric im Hintergrund gearbeitet haben und nicht selbst als Sängerin aufgetreten sind?

Humpe: Viel leichter. Jetzt verkaufe ich auch mich selbst, und das finde ich sehr mühsam. Aber es gehört dazu, und ich will deshalb nicht jammern.

SPIEGEL ONLINE: Sie sind also keine Rampensau.

Humpe: Nein, das war ich auch damals bei Ideal nicht. Ich beneide und bewundere Leute wie Nina Hagen, die großen Spaß haben auf der Bühne.

SPIEGEL ONLINE: Kann man das nicht lernen?

Humpe: Leider nicht. Ich würde am liebsten mit dem Rücken zum Publikum stehen wie Bob Dylan und mit den besten Kumpels Musik machen.

SPIEGEL ONLINE: Für Ihr neues Album hatten Sie Protestsongs angekündigt – und diese Ankündigung mit dem Anti-Konsum-Lied "Junk" auch wahr gemacht. Es ist Ihnen also ernst mit dem Protest?

Humpe: Ja, ich finde, es gibt heute zu wenige Protestbands. In den sechziger Jahren waren 80 Prozent der Songs Protestlieder.

SPIEGEL ONLINE: Ist an dieser Entpolitisierung und inhaltlichen Verflachung die Neue Deutsche Welle schuld, an der Sie auch beteiligt waren?

Humpe: Nein, das kann man uns nicht in die Schuhe schieben. Obwohl das Urteil der Geschmackspolizei damals lautete: zu kommerziell, zu glatt, zu erfolgsorientiert. Als wäre es so einfach, Erfolg zu haben. Ich bin von der Zeitschrift "Spex" immer schwer beleidigt worden als uncool, aber die protegieren bis heute am liebsten Bands, die nicht bei Majors unter Vertrag sind. Wenn man überhaupt einen Schuldigen benennen will für den Niedergang der Neuen Deutschen Welle, dann waren es die gierigen Plattenfirmen. Die haben damals jeden Schrott unter Vertrag genommen, anstatt innezuhalten und zu überlegen, was Qualität in Musik und Texten ist, und diese Bands zu fördern. Aber nein, da wurde alles auf den Markt geworfen, was drei Akkorde hatte und deutsche Texte.

SPIEGEL ONLINE: Was macht Ihrer Meinung nach Qualität aus?

Humpe: Wenn Text und Musik zusammen passen und den Hörer wirklich berühren, wenn die Leute weinen, sich angesprochen fühlen. Es geht nicht darum, den Musikstil zu imitieren, der gerade angesagt ist. Trotzdem bin ich beeinflusst davon, wie das Schlagzeug gerade klingt. Früher war es mir viel wichtiger, was fashionable ist. Aber wenn ich heute einen Blues machen will, dann mache ich einen. Ich würde jeder Band raten, auf das eigene Gefühl zu hören und nicht auf Zeitgeschmack oder auf die Plattenfirmen. Wahrscheinlich würde die Plattenfirma mir heute raten, wieder englische Texte zu schreiben.

SPIEGEL ONLINE: Wieso das?

Humpe: Ein großer Radiosender spielt unsere Single "Vom selben Stern" nicht mit der Begründung, die Werbekunden bestünden darauf, dass ihre Spots zwischen zwei englischsprachigen Titeln gesendet werden. Wenn alle ein englisches Sandwich haben wollen, ist es vorbei mit deutschen Texten.

Ist der Boom deutschsprachiger Bands vorbei?

SPIEGEL ONLINE: Der Boom des deutschsprachigen Poprocks mit den Bands Wir sind Helden, Juli und Silbermond ist doch gerade mal drei Jahre alt. Haben Sie eine Erklärung für diesen Umschwung?

Humpe: Überdruss vielleicht? Nein, ich verstehe die Werbekunden in Wahrheit nicht, den Sender nicht und die Redakteure nicht, die hinter vorgehaltener Hand sagen, sie fänden es auch grottig, was sie spielen müssten, aber sie könnten leider nicht anders. Was ist das denn für ein Leben? Ich will nur das machen, was ich wirklich gut finde.

SPIEGEL ONLINE: Also "Ich+Ich".

Humpe: Ja. Beim zweiten Album waren wir auch mutiger und haben mehr Geld ausgegeben für ein Streichquartett oder für Bläser. Das haben wir uns gegönnt, so, wie man mal teuer essen geht. Ich finde, jeder ist selbst dafür verantwortlich, wie viel Spaß er im Leben hat. Es liegt genug Spaß herum, man muss ihn sich nur nehmen. Auch der DÖF-Song "Ich düse, düse im Sauseschritt" hat mir Spaß gemacht, es war, was es war, nämlich Comedy. Von mir stammte damals der Satz "Hässlich, ich bin so hässlich".

SPIEGEL ONLINE: Das klingt, als ob es ziemlich lustig sein kann, Texte zu schreiben.

Humpe: Unterschiedlich. Manchmal ist es tatsächlich ganz leicht, so wie bei "Wo die Liebe hinfällt". Da hatte ich einen Mann kennen gelernt, kam nach Hause und dachte, wenn ich mich in den verlieben würde, dann hätte ich eine Menge Probleme. Da floss der Text nur so aus mir heraus.

SPIEGEL ONLINE: Wie muss ein Text sein, damit er auch zu dem Sänger Adel Tawil passt und glaubwürdig klingt?

Humpe: Ich suche nach Bildern, die jenseits der Merkmale Mann-Frau, alt-jung funktionieren. Wenn Adel meine Texte singt, bekommen sie sogar noch eine Ebene dazu. Nur aus "Wenn ich tot bin" habe ich die Zeile "Ich bin wie der April" herausgenommen. Wie der April sind nur Frauen. Oder Schwule.

SPIEGEL ONLINE: War eine Motivation, das Ich+Ich-Projekt zu beginnen, der Erfolg Ihrer jüngeren Schwester Inga mit 2raumwohnung?

Humpe: Ja, ich dachte damals schon, ich könnte vielleicht auch noch mal loslegen. Aber ich bin sehr froh über ihren Erfolg, denn der hat unser Verhältnis sehr entspannt.

SPIEGEL ONLINE: Spielen Sie sich heute Ihre Musik gegenseitig vor?

Humpe: Ja, und dann diskutieren wir über dieses oder jenes Wort. Sie ermutigt mich auch, wieder ein Soloalbum zu machen. Aber sie steht sehr gerne auf der Bühne und lässt sich feiern und ich eben nicht. Das entspricht der typischen Geschwisterfolge: Ich musste mir alles erkämpfen und habe gelernt, ohne Fleiß kein Preis. Meine jüngere Schwester war viel entspannter als ich und hat gelernt: Man bekommt auch mal etwas geschenkt.

SPIEGEL ONLINE: Hat Ihre Schwester nicht auch ein bisschen recht?

Humpe: Sicher. Aber ich habe neulich gelesen, wenn 13-Jährige Gitarre lernen, dann bleiben die Jungs dabei und üben, und die Mädchen legen sie zur Seite und wollen entweder vorne stehen und singen oder aber einen Jungen kennen lernen, der Gitarre spielt. Ich war zum Glück so ein hässlicher Teenager, dass ich weiter Klavier geübt habe. Von dem Moment an, als ich die Beatles gehört hatte, wusste ich, ich wollte irgendwann auch Stücke schreiben und von der Musik leben.

SPIEGEL ONLINE: Müssen Sie sich eigentlich noch dieses ganze Musikgeschäft antun oder könnten Sie von den Ideal-Tantiemen leben?

Humpe: Von denen könnte ich noch nicht einmal die Nachhilfe für meinen Sohn bezahlen. Wenn ich "Paloma Blanca" geschrieben hätte, sähe die Sache wahrscheinlich anders aus. Ideal wird nicht bei jedem Schützenfest gespielt, aber das ist andererseits auch gut so. Ich gönne mir allerdings, dass ich mit Ich+Ich nicht live auftreten werde, sondern überlasse das alles Adel. Ich habe mich von der Bühne verabschiedet, bevor irgendjemand fragt: Was macht denn die Alte da auf der Bühne? Aber Lieder will ich schreiben, bis ich sterbe.

Das Interview führte Marianne Wellershoff

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