Salzburger Festspiel-Misere Wenn Stars einfach nicht ankommen

Angesagte, die absagen – ein Trauerspiel, dieses Jahr vor allem in Salzburg aufgeführt. Bei den Festspielen kamen viele Stars erst gar nicht – der Intendant nahm’s jetzt zum Anlass für Fundamentalkritik.

Salzburg - Superstar Anna Netrebko war auch dieses Jahr wieder die Hauptperson der Salzburger Festspiele. Allerdings in anderer Weise, als es sich die Diva und die Festspielleitung gewünscht hätten. Denn die Sängerin musste ihren einzigen Auftritt, der wegen des enormen Andrangs vom Dom ins Haus für Mozart verlegt worden war, kurzfristig stornieren. Offizielle Begründung: eine Kehlkopfentzündung.

Überhaupt traf es Salzburg, was die Stars angeht, besonders hart. Neben Netrebko ließen sich Rolando Villazón, Neil Shicoff, Elina Garanca, Vesselina Kasarova und Pianist Mikhail Pletnev mehr oder weniger kurzfristig entschuldigen, was an der Salzach einer mittleren Katastrophe gleichkam.

Festspielintendant Jürgen Flimm reagierte ungewöhnlich verschnupft auf die Absagen. Was da passiert sei, sei den Zuschauern, die für manche Auftritte von weit her anreisten, nicht mehr zuzumuten. Grimmig kündigte er "ernsthafte Gespräche" mit Sängerinnen und Sängern an, in denen zu klären sei, was den Herrschaften eigentlich noch an Salzburg liege.

In seinem Furor stellte Flimm sogleich den ganzen Starbetrieb in Frage und sah in den Absagen "nun eine gute Gelegenheit, die Grundfrage neu zu stellen und wieder mehr über Kunst und Kommerz nachzudenken". Aus dem Munde Flimms klang dies allerdings ein wenig wie das Rufen im dunklen Wald. Denn der umtriebige Theatermacher, der dieses Jahr in Salzburg seine erste Intendantensaison zu verantworten hatte, steht selbst zuweilen im Verdacht des "Anything goes", einer gewissen Verflachung beziehungsweise Verbreiterung des Programms zugunsten der Massenkompatibilität.

Eine Öffnung der Festspiele zum Populären hatte sich schon in der Ruzicka-Ära angekündigt, als Harald Schmidt im Fernsehen eine Mozart-Oper live moderieren durfte und Allround-Entertainer Thomas Gottschalk mit einer illustren Schauspielerrunde über den Festspiel-Dauerbrenner "Jedermann" diskutierte. Auch diesen Sommer witterten Kritiker die Gefahr, die hehre Kunst könne in Salzburg allmählich unter die Räder kommen, und sahen sich durch einige der aktuellen Opern- und Theater-Inszenierungen hinreichend bestätigt.

Allen voran durch die Inszenierung von Hector Berlioz' Künstleroper "Benvenuto Cellini" des Münchner Regisseurs Philipp Stölzl, der schon Madonna und Rammstein ins rechte Licht gerückt hatte. Seine opulente Bühnenshow im Batman-Look, eine der aufwendigsten Produktionen der Festspiele überhaupt, war zwar ein veritabler Publikumserfolg, fand aber bei der professionellen Kritik keine Gnade. Zu viel Brimborium, zu wenig Substanz, lautete der Vorwurf. Auch Carl Maria von Webers "Freischütz" von Regisseur Falk Richter Christian Weises Sicht von William Shakespeares "Sommernachtstraum" fielen unter den Generalverdacht einer angeblichen Rückkehr des "undialektisch-kulinarischen Theaters".

Allerdings gab es auch Überraschungen jenseits der Zeitgeist-Norm, vor allem in dem erstmals von Markus Hinterhäuser gestalteten Konzertprogramm. Sein Schwerpunkt "Kontinent Scelsi", in dem er den verschrobenen italienischen Komponisten Giacinto Scelsi (1905-1988) präsentierte, wurde zu einem unerwarteten Erfolg.

Und auch dank des feinsinnig-skurrilen Scelsi-Musiktheaterprojekts "Sauser aus Italien", das Christoph Marthaler auf die Bühne der Perner-Insel in Hallein bei Salzburg zauberte. Die viel beachtete Orchesterresidenz von Daniel Barenboims "West-Eastern Divan Orchestra", einem völkerverbindenden Klangkörper, in dem junge Israelis mit Musikern aus Palästina und anderen arabischen Staaten miteinander musizieren, war ebenfalls andere als ein Mainstream-Event.

Die Gratwanderung zwischen Kunst und Kommerz wird den Festspielen aber auch in Zukunft nicht erspart bleiben. Schließlich liegt der Eigenanteil aus Kartenverkäufen bei mehr als 50 Prozent, was bei stagnierenden öffentlichen Zuschüssen besonders wichtig ist. Um den zu halten oder sogar noch auszubauen, braucht es eben klingende Namen, die mühelos größte Säle füllen können.

Natürlich will man es sich mit Anna Netrebko nicht verscherzen. Alsbald, so verlautet aus der Pressestelle, werde es wieder Verhandlungen mit der Diva geben. Und zum Glück gibt es, neben hoch gehandelten "Entdeckungen" wie der Sopranistin Annette Dasch, die in der Opern-Eröffnungspremiere mit Joseph Haydns "Armida" brillierte, immer noch Placido Domingo. Der Altmeister ist stimmlich gut in Form, wie er bei einem Konzert mit spanischen Volksliedern eindrücklich unter Beweis stellte.

Bei der Verleihung einer goldenen Ehrennadel an den Künstler konnte es sich Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler nicht verkneifen, Domingo zum "Fixstern" unter lauter "Sternschnuppen am Starhimmel" auszurufen. Vielleicht etwas ungerecht gegenüber Netrebko, die ihre Karriere in Salzburg begann und seither in nur drei Jahren 30 Auftritte an der Salzach absolvierte.

Georg Etscheit, ddp

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