
Schauspielstar Ulrich Tukur "Sie war nervös wie ein Schulmädchen"
SPIEGEL ONLINE: In dem oscarnominierten Film "Das weiße Band" waren Sie in der Rolle des Barons noch viel bösartiger als in Ihrem anderen Oscar-Film "Das Leben der Anderen". Was hat Regisseur Michael Haneke da mit Ihnen angestellt?
Tukur: Eigentlich ist der Baron kein Schurke, sondern eine todtraurige, versteinerte Figur. Bei seiner Arbeit besteht Michael Haneke noch auf dem letzten Ton, auf jedem winzigen Detail, bis alles seinen Vorstellungen genau entspricht. Er sah einen beim Spielen gar nicht an, er hörte nur zu. Er hörte jeden falschen Ton und wusste dann, dass auch das Spiel so nicht stimmte..
SPIEGEL ONLINE: Kann man so überhaupt noch befreit spielen?
Tukur: Wenn ich ihn persönlich nicht so hoch schätzte und seine Filme nicht so bewunderte, wäre ich da nicht besonders glücklich gewesen. Die Arbeit mit Haneke war eine große Herausforderung und Anstrengung. Er hat neben dem Text auch jede einzelne Bewegung, fast jeden Augenaufschlag vorgeschrieben. Es wird mitunter schwierig, so eine Choreographie abzutanzen, die nicht die eigene ist.
SPIEGEL ONLINE: War die Choreographie in Dieter Wedels missglücktem Betrügerfilm "Gier" vergleichsweise zu locker? Haben Sie irgendwann bemerkt, dass da etwas schief läuft?
Tukur: Im Prinzip fand ich ihn gut, aber etwas zu lang. Wenn man ihn auf 100 Minuten gekürzt und als längeren Einteiler gesendet hätte, wäre das der Sache sicher dienlich gewesen. Nur, das Quälende wollte Wedel eben zeigen, wie bei "Warten auf Godot", immer wieder dieses Hinhalten. Aber irgendwann hat man es als Zuschauer halt begriffen.
SPIEGEL ONLINE: Für ihre neue CD, für die Sie deutsche, französische und italienische Lieder teils mir großer Besetzung aufgenommen haben, zog es Sie jetzt ins Dunkle. Ihre Nachtlandschaften auf dem Album "Mezzanotte" machen allerdings einen überraschend heimeligen Eindruck
Tukur: Teils ja, teils nein. Es gibt da zum Beispiel dieses Lied "Nasse Lyrik", eine Momentaufnahme im nächtlich-zwielichtigen Berlin, eine unheimliche Atmosphäre, gar nicht heimelig. Wie eine groteske schwarz-weiße Filmszene.
SPIEGEL ONLINE: Werden Sie ärgerlich, wenn Ihre Musik mit dem Etikett "Nostalgie" bepflastert wird?
Tukur: Nostalgie heißt ja die Sehnsucht nach Heimkehr, nicht nach der Vergangenheit. Dazu kommt der Schmerz, dass diese Heimkehr nie wirklich stattfinden kann. Mir gefällt einfach dieses Abbild der zwanziger, dreißiger, vierziger Jahre, weniger die reale, historische Zeit - sondern wie die Menschen sich stilisiert und ihr Lebensgefühl in eine Form gebracht haben.
SPIEGEL ONLINE: Ihre Sammlung alter Schellack-Platten soll recht umfangreich sein, 2000 Stück, sagt man?
Tukur: 1500, ein Viertel Übertreibung ist immer dabei! Und tatsächlich sind es auch nur tausend. Aus meiner Sammlung habe ich für die CD nur das Stück "Hörst du das Meer?" ausgesucht.
SPIEGEL ONLINE: Wie haben Sie denn für dieses Lied die legendäre Schauspielerin und Chansonette Margot Hielscher noch einmal zum Singen überredet? Immerhin ist die Dame 91 Jahre alt!
Tukur: Ich kannte sie schon vorher, das half natürlich. Sie hält sich sehr wacker, und sie lebt in ihrer großen Münchner Villa, ganz allein. Wir sind natürlich für die Aufnahme zu ihr gefahren, mit einem kleinen Ton-Equipment. Margot war nervös wie ein Schulmädchen, es war einfach rührend. Wir haben verschiedene Tonarten durchprobiert, und dann hat's geklappt. Ich war unheimlich stolz, dass sie mitgemacht hat.
SPIEGEL ONLINE: Zarah Leanders "Nachts ging das Telefon" klingt mit Kirchenorgel und Bongos auch recht originell .
Tukur: Ich hatte eine Schellackplatte davon, auf der Hilde Hildebrandt das Lied singt. Die war für mich auch immer eine ganz Große. Wunderbar, wie sie in "Große Freiheit Nr. 7" mit Hans Albers diese traurige, desillusionierte Prostituierte spielt, und sie hatte stets einen herrlich ironischen Ton. Doch wir wollten bei dem Stück auf jeden Fall etwas Schräges machen, ohne den Kitsch des Originals.
SPIEGEL ONLINE: Sie singen auf ihrem Album auch französische und italienische Kompositionen. Ein Beitrag zum kulturell geeinten Europa?
Tukur: Daran glaube ich nicht. Es ist eigentlich ein Skandal, wie wenig man hierzulande zum Beispiel über französische zeitgenössische Musik weiß. Auch was aktuell in Italien passiert, wissen wir nicht. Und früher war's auch nicht besser, von Domenico Modugno etwa, einem der größten Poeten des Chansons, nahm man bei uns außer "Volare" nichts wahr. Umgekehrt hörten die Italiener auch keine französischen Chansons, die Franzosen interessieren sich nicht für unsere Popmusik, da wächst bis heute nichts wirklich zusammen.
SPIEGEL ONLINE: Ihre ersten Erfolge haben Sie am Theater gefeiert - als Schauspieler und als Intendant. Reizt Sie die Leitung einer großen Bühne heute nicht mehr?
Tukur: Ich hätte gern zusammen mit Ulrich Waller die Intendanz des Hamburger Schauspielhauses übernommen. Vor zehn Jahren. Aber man hat uns nicht gefragt. Es schmerzt, wie dieses Haus, das ich liebe und an dem ich groß geworden bin, langsam aber sicher den Bach runter geht.
SPIEGEL ONLINE: Würden Sie dann auch als Regisseur arbeiten?
Tukur: Hat sich bisher nicht ergeben. Aber Ich habe auch keinen großen Spaß daran, Leute zu führen.
SPIEGEL ONLINE: Sie verbringen privat viel Zeit in der Toskana. Zieht es sie gar nicht in die Hauptstadt? Wo doch jetzt alle Künstler Berliner werden wollen?
Tukur: Nein, ich bleibe in Italien. Ich bin gerne in Berlin, aber lieber noch in Hamburg. Alle sprechen nicht zuletzt auch deshalb von Berlin, weil es die preiswerteste Metropole Europas ist - als junger Mensch kann man sich ein Leben dort leisten. Und Berlin ist offen und in Bewegung, keine abgesteckten Claims. Das ist das Tolle im Gegensatz zu Hamburg.
Das Interview führte Werner Theurich