
Schleswig-Holstein Musik Festival: Kühl die Hitze schlagen
Schleswig-Holstein Musik Festival Kühl die Hitze schlagen
Alles fließt, und manchmal wird die Trave zum Rhein: Zur Eröffnung des diesjährigen Schleswig-Holstein Musik Festivals erklang in Lübeck s dritte Symphonie, die "Rheinische", und die Musiker des NDR-Symphonieorchesters trafen Ton und Stimmung mit traumwandlerischer Sicherheit - unter erschwerten Bedingungen, denn an diesem backofenheißen 10. Juli konnte Lübeck es locker mit der üblichen Hitze an den Rheinufern aufnehmen. Bei mindestens 35 Grad köchelten die Konzertbesucher vor der Halle und schwitzten tapfer auf dem Rang, Parkett und Podium der Kongresszentrums hingegen waren gnädig klimatisiert.
Dennoch spürte man bei den NDR-Musikern von Beginn an eine sympathisch-rheinländische Lässigkeit. Die war auch nützlich. Kurzfristig musste Christoph Eschenbach als Dirigent übernehmen, denn Orchesterchef von Dohnányi hatte aus persönlichen Gründen abgesagt. Getreu dem rheinischen Motto "Et hätt noch immer jot jejange!" kamen sich Einspringer Eschenbach und die Symphoniker auf halben Weg entgegen und schaukelten sich mit professioneller Gewandtheit nach kurzen Anlaufschwierigkeiten zu feiner Schumann-Harmonie auf: Die Damen und Herren Musiker vom NDR unterstrichen mit Bravour, weshalb man sie zum künftigen "Hausorchester" der Hamburger Elbphilharmonie erkoren hat - wann immer sie auch dieses ehrenwerte Haus erstmals bespielen werden.
Glühende Begeisterung
Da war denn nach der Pause s populäre vierte Symphonie schon beinahe ein kapitaler Klotz, denn die vielen Schichten der musikalischen Ironie und der verfremdeten Stile des Werkes verlangten subtilere Mittel. Sogar Mahler-Fans pfiffen 1901 nach der Premiere, vor allem wegen der schlichten und rustikalen Melodien - nach den symphonischen Monumentalwerken Nummer eins bis drei konnte das damalige Publikum mit diesen scheinbar verspielten Klängen wenig anfangen. Dabei passiert eine Menge: Der Konzertmeister der NDR-Musiker hatte mit den folkloristischen Soli viel Hübsches unterm Bogen, und auch die gewohnt soliden Blechbläser brillierten pannenfrei und jubilierend. Im Schlusssatz wurde es fast heilig: Christiane Oelzes Sopran - eher kellerkühl in den tiefen Passagen - trieb mit teils metallischer Schärfe das lyrische Finale der Symphonie zu einem aufrauschenden, doch entspanntem Höhepunkt. Auch der manchmal etwas spröde Maestro Eschenbach strahlte nach diesem wohltemperiertem Abend: kein Hitzschlag in der Hansestadt, dafür glühende Begeisterung beim Premierenpublikum.
Was Justus Frantz 1986 begann, kann sich heute wieder sehen und hören lassen. Auch der Festival-Geburtshelfer Leonard Bernstein muss angesichts des erwachsen gewordenen "SHMF" nicht im Grabe rotieren. Nach ein paar Krisenjahren ist das regelmäßig zwischen Juli und August veranstaltete Event wieder in aller Munde und bestens besucht. Der Charme der Scheunen- und Reithallen-Konzerte hat sich als wetterfest erwiesen, und auch in diesem Sommer laufen wieder Stars wie Hilary Hahn, Thomas Hampson, Philippe Jaroussky, Valery Gergiev oder Vadim Repin zu Gastspielen ein. "Polen" ist zum Jubiläumsjahr der Festspielschwerpunkt, wozu das Polnische Radioorchester Katowice, gefeierte Pianisten wie Rafal Blechacz und Piotr Anderszewski und viele weitere Künstler des Gastlandes Beiträge liefern.
Avantgarde und Dorfpunks
Natürlich weiß Rolf Beck, der derzeitige Intendant des Festivals, dass Genre-Scheuklappen in Zeiten eines überalterten Klassikpublikums tödlich für jedes Festival sein können. Und bei fast 140 Konzerten sollte sich Vielfalt von selbst verstehen. Mainstreamige Sympathieträger des Studienrats-Jazz wie der stilistisch vielseitige Stimmkünstler Bobby McFerrin oder die Gospel-Vokalvirtuosen von Take 6 kuscheln mit dem Pop, doch wer Ungewohntes erleben will, sollte sich die Konzerte des jungen österreichischen Top-Schlagwerker Martin Grubinger herauspicken oder den Auftritt der als "Warschauer Dorfpunks" apostrophierten Folktruppe Warsaw Village Band. Und dann kreuzt ja noch der altgediente Geigen-Libero und Polen-Liebhaber mit der östlichen Jazz-Avantgarde die Saiten. Kennedy, der einen Wohnsitz in Krakau unterhält, weiß seit Jahren, welche kreative Impulse aus Polen kommen: Das Festival "zwischen den Küsten" hat hier 2010 bei der Themenwahl ein sicheres Händchen gehabt.
Noch bis 29. August. Schleswig-Holstein Musik Festival. Alle Daten zu Konzerten, Spielstätten und Künstlern.