Schwuler Pop Schunkeln im Pralinen-Hagel

Alle wollen den Sänger Rufus Wainwright – mit Disco-Quietsch und Schwänzeltanz ist schwule Popmusik so beliebt und erfolgreich ist wie nie zuvor. Allerdings nur, solange sie diese alten Klischees bedient.
Von Joachim Hentschel

Judy Garland, Queen des Hollywood-Musicals, hat 38 Jahre nach ihrem Tod noch überraschend beißwütige Fans. Geckenhafte Selbstüberschätzung sei das, bei der Garland im Grab rotiert hätte, schrieben Erzürnte ins Internet, als der junge Sänger Rufus Wainwright letzten Juni sein Doppelkonzert in der New Yorker Carnegie Hall gab. Auf dem Programm: die Lieder von Garlands spektakulärem Carnegie-Auftritt vom April 1961, dieselbe Reihenfolge, derselbe Orchester-Aufwand. Zu gleichen Teilen Hommage, Kunst-Happening und Karaoke.

Ohne irgendjemandem Homophobie zu unterstellen: Möglicherweise war einigen Leuten Wainwrights Garland-Auftritt einfach zu schwul. Im Leopardenanzug von Viktor & Rolf, mit Hüftschwung, Schwänzeltanz und angewinkeltem Händchen. Auf der ersten großen Deutschland-Tour hatte Wainwright seinerzeit das Publikum erfreut, wenn er die Zugabe als liebliche Fee sang, bekleidet nur mit Slip und einem Paar Flügel. Zuhörer werfen ihm oft Ferrero Rocher auf die Bühne.

Es ist ein kleines rosa Wunder, dass Rufus Wainwright trotzdem nicht den Ruf des bunten Schrägvogels hat, der Elton John nach Las Vegas trieb. Das Düftchen des Wichtigtuers umweht auch Wainwright, aber sein neues, fünftes Album "Release The Stars" wird vor allem als musikalisches Ereignis rezipiert: bernsteinfarbene Kunstlieder, schunkelige Show-Nummern, dramatisch orchestrierte Poeme. Wainwright lässt sich nach dem Vorbild des reisenden Renaissance-Menschen von Orten inspirieren, diesmal von Berlin. Eben hat er für die Deutsche Grammophon eine Klassik-CD kompiliert, schreibt sogar an einer Oper, die die New Yorker Metropolitan bei ihm bestellt hat. Spott und Manierismus-Vorwürfe sind willkommen: Es gibt keine Selbstironie bei ihm.

Entziehungskur mit 29

"Wir leben in einer Zeit, die in gewisser Weise so schwer ist wie die Zeit der großen Depression oder die Weltkriege", sagt Rufus Wainwright. "Aber gerade die Apathie hält uns auf Trab. Die Lieder, die Architektur, die Kunst, alles hatte damals vor allem die Funktion, den Menschen zu beweisen, dass es noch Hoffnung für sie gibt. So etwas brauchen wir heute auch!"

Wainwright ist der Sohn des Folksänger-Ex-Paars Loudon Wainwright und Kate McGarrigle, übte als Siebenjähriger für die weibliche Hauptrolle des Musicals "Annie", verbrachte mit 14 die meiste Freizeit in Schwulenbars, machte mit 24 die erste Platte, mit 29 die erste Entziehungskur. Und jetzt, mit 33, hat er – wie Tom Waits, wie Adam Green – den Schritt vom Pop-Liebling zum Bildungsbürger-Favoriten geschafft. Zumindest in Europa. Coole Fans nehmen solche Transformationen oft schwer, den Künstlern bringt es CD-Verkäufe und tolle Auftritte in Theatern, Kirchen und Burghöfen.

Daheim in den USA gilt Wainwright als zu schwul, um je beim größeren Publikum anzukommen. In Deutschland dagegen bringt gerade das Verzärtelte, Kunstsinnige, Patinierte den meisten Applaus. Und wenn der sexhungrige Rufus auf Englisch "Der schwule Messias kommt!" singt, verstehen nur wenige sofort, was für eine Sauerei das ist.

Opernhafte Fistelstimmen

Thomas Gottschalk verstand das wohl auch nicht, als er letzten November bei "Wetten, dass?" die New Yorker Band Scissor Sisters zu Gast hatte und fröhlich verkündete, wie gerne er die Ober-Scissor-Sister wäre. Eigentlich bezeichnet der Name eine lesbische Liebestechnik.

Wie Rufus Wainwright haben die halb-schwulen Sisters in den USA kaum Erfolg, wurden wegen ihrer expliziten Texte aus dem Wal-Mart-Sortiment verbannt. Sie verkauften im Rest der Welt aber schon vom ersten Album über drei Millionen. In Deutschland kam der Fistelstimmen-Disco-Fox "I Don’t Feel Like Dancin’" bis Platz eins. Und teilte sich die Top Ten zeitweise mit "Grace Kelly", einem Song über Kleider- und Geschlechtertausch, ebenso eunuchenhoch gesungen vom ebenso schwulen Mika aus London.

"Für mich wäre es ein Rückschritt, bei reinen Gay-Veranstaltungen aufzutreten. Weil ich nicht will, dass irgendjemand im Publikum sich ausgeschlossen fühlt", sagt Scissor-Sisters-Sänger Jake Shears provokant im Interview, das Elton John für den "Observer" führte. Tatsächlich hat – nachdem der metrosexuelle Typ große Marketingerfolge feierte – der dezidiert schwule Pop noch nie so viel Mainstream-Erfolg gehabt wie im Moment. Zumindest, solange er sich in der Erfüllung der Klischees selbst übertrifft: im Disco-Quietsch, im Opernhaften. Das muss gar nicht schlecht sein. Es heißt bloß, dass die fantasievolleren, subversiveren Gay-Künstler auch in Europa wenig gehört werden.

Hotpants mit Hosenträgern

Patrick Wolf zum Beispiel, 24-jähriges Ex-Wunderkind aus London, optisch eine Mischung aus viktorianischem Bauernburschen, Comic-Pinocchio und knabenhaftem Dior-Model. Er wird richtig wütend, wenn man ihn mit Rufus Wainwright zusammensteckt. "Das ist, als ob man einen Vampir mit einem Osterhasen vergleicht. Ich finde ihn etwas langweilig. So was konnte man 1974 machen, aber jetzt ist 2007."

Immerhin hat Wolf ähnlich jung angefangen, spielt noch mehr Instrumente, war schon mit 16 Jahren Lebenskünstler ohne festen Wohnsitz oder Sexualpartner. "The Magic Position", Wolfs dritte Platte, ist eine Sammlung von märchenhaftem Pop, elektronischen Spinnennetzen, folkloristischen Tanzschritten. Hüpfende Melodien, zwielichtige Waldgeheimnisse, vom bekennend bisexuellen Wolf mit schieferdunklem Bariton gesungen. Bei der kleinen, aber triumphalen Deutschland-Tour im April trat er mit Perücke auf, trug am Ende bloß noch Hotpants mit Hosenträgern. Und wirkte trotzdem angriffslustig und kaum niedlich.

"Ich bin einer, der männliche und weibliche Geliebte hatte, der auch mal lange allein war", sagt Patrick Wolf. "Ich hatte schon mindestens 6000 verschiedene Identitäten, und keine von ihnen ist wahr. Dieses Gerede über maskulin, feminin, schwul und straight... Wenn ich Sonnenbrand kriege, heißt das dann, dass ich plötzlich schwarze Musik mache?"

Das bedeutet: Erfolgreich ist die schwule Mission erst, wenn kein Zuschauer mehr über Rufus Wainwrights Feenflügel lacht. Weil sie etwas ganz Selbstverständliches sind. Ob er da nicht ziemlich enttäuscht wäre?

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