Soulpoet Gil Scott-Heron Guck mal, wer da grollt!

Der Jahrhundertsong "The Revolution Will Not Be Televised" stammt von ihm - später versackte Gil Scott-Heron im Zwielicht von Drogen und Knast. Jetzt hat der große Soulpoet ein neues Album aufgenommen, das beweist: Auch lebende Legenden können brennen.
Von Uh-Young Kim
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Gil Scott-Heron: Der Soul-Donnerer

Foto: Mischa Richter / XL

Erst ist nur ein kurzer Clip auf YouTube aufgetaucht. Grobkörnige Schwarzweißaufnahmen, durchzogen von Bildstörungen, wie aus einem Geheimversteck. Sie zeigen einen ergrauten Gil Scott-Heron bei dem, was er kann wie kaum ein anderer: mit donnernder Stimme ins Mikrofon sprechen. Ein Puls aus verzerrten Bässen begleitet das erste Lebenszeichen des Soulpoeten seit langem. Keiner hat mehr mit ihm gerechnet. Und erst recht nicht so.

Gil Scott-Heron kehrt zur richtigen Zeit am richtigen Ort zurück. Das Hipsterlabel XL Recordings bringt sein neues Album heraus, das augenzwinkernd "I'm New Here" heißt. Labelchef und Produzent Richard Russell, sonst ganz zurückhaltender Brite, kommt im Gespräch ins Schwärmen: "Damit geht ein Traum für mich in Erfüllung. Ich wollte den Hörern einen intensiven Eindruck von Gil vermitteln - als Künstler und Persönlichkeit."

XL Recordings ist eher für Dancefloor-Hüpfer wie The Prodigy und Dizzee Rascal oder Indie-Ikonen wie Radiohead und The White Stripes bekannt. Die Verpflichtung des Veteranen der afroamerikanischen Musik stellt ein Wagnis für das Indielabel dar. Vieles an Gil Scott-Heron geht am Zeitgeist vorbei.

Während sich Musiker heute bedingungslos auf den Markt werfen müssen, hat sich Scott-Heron äußerst rar gemacht. Sein politisierter Jazzfunk hat ihm zwar den Ruf als Urvater des HipHop eingebracht. 1971 gab er den Jahrhundertslogan "The Revolution Will Not Be Televised" aus und verewigte sich als Chronist des entrechteten Amerika. Rapper haben seine Musik gesampelt, seinen Stil imitiert, die sozialkritischen Botschaften kopiert - und wieder verworfen. Sein letztes Album stammt jedoch aus einer Zeit , als das Internet kaum bekannt und der iPod noch längst nicht erfunden war.

Mächtig schwingende Beats

Und dann waren da die ständigen Probleme mit dem Betäubungsmittelgesetz. Richard Russell traf Gil Scott-Heron das erste Mal im Gefängnis auf Rikers Island: "Gil saß wegen einer kleinen Menge Drogen. Schon merkwürdig, jemanden dafür gleich ein paar Jahre wegzusperren. Trotz der Umstände hat er ausgeglichen auf mich gewirkt. Wir haben uns auf Anhieb gut verstanden."

Lebenden Poplegenden bleiben ja im Grunde nur zwei Wege zum Weitermachen. Die meisten verwalten ihr Erbe als wandelnde Mumien auf unterirdischem Niveau, siehe Paul McCartney. Wenige haben das Glück, ihren Stil im Geiste der glorreichen Vergangenheit zu verfeinern, sofern sie den richtigen Produzenten treffen, siehe Johnny Cash.

Richard Russell ist bei weitem kein Studiogott wie Rick Rubin, dem dieses Kunststück mit Cash gelang. Dafür beschreitet der Brite nun einen dritten, bislang weniger erkundeten Weg: Er holt den alten Helden musikalisch in die Gegenwart. "I'm New Here" ist kein Retro-Album, kein Stillstand auf hohem Niveau. Basslastige Dubspuren, mächtig schwingende Beats und elektronisches Soundgefrickel verpflanzen Gil Scott-Heron in eine völlig neue Klangwelt.

In der außergewöhnlichen Umgebung ragt besonders eine Qualität von Gil Scott-Heron heraus, die wegen seiner textlichen Radikalität oft übersehen wurde: seine Stimme, dieser grollende Bariton, überträgt sich vor allem als physisches Erlebnis auf den Hörer. Gil Scott-Heron klang schon mit 20 Jahren, als ob er ein Mikrofon verschluckt hätte. Verwoben in dystopisch wirkende Klanglandschaften landen die Punchlines von "Where Did The Night Go" nun direkt in der Magengrube. Die erste Single "Me And The Devil" ruft Bilder von gepeinigten Seelen in geisterhaften Zivilisationsruinen hervor. Scott-Herons Wortkaskaden erschüttern dabei Mark und Bein.

"Ich würde mich nicht wählen"

Den progressiven Tracks stehen sparsam arrangierte Songs gegenüber. Das Titelstück kommt mit einer akustischen Gitarre als Begleitung aus. Die Ballade "I'll Take Care Of You" knüpft an den epischen Klassiker "Winter In America" an. Und der Albumhit "New York Is Killing Me" vermählt Blues und Dancehall-Rhythmen.

Inhaltlich ist Gil Scott-Heron mit dem Alter zahmer geworden. Die Sturm-und-Drang-Zeit der Siebziger, als die Revolution noch greifbar war, war einmal. Er ist heute 60 Jahre alt. Auf dem neuen Album blickt der Sohn eines Profifußballers und einer Sängerin auf sein Leben zurück, erzählt in berührenden Bildern von seiner Großmutter Lillie Scott, die ihn in Tennessee großgezogen hat. Mit düsterer Poesie und trockenem Humor sieht er seinem Lebensabend entgegen.

"Während der Aufnahmen sagte Gil zu mir: Wenn ich Präsidentschaftskandidat wäre, würde ich mich nicht wählen", erinnert sich Richard Russell. Weitere Einsichten und Weisheiten hat Russell im Studio eingefangen und streut sie auf dem Album zwischen die Songs ein. Sie lassen das enorme Ausmaß der Songs erahnen, die Gil Scott-Heron noch in sich trägt.

Nach weniger als 30 Minuten ist das Album vorbei. Es ist die intensivste halbe Stunde Musik zurzeit.

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