Spears-Konzert in Berlin Britney im Freak-Zirkus
An den Berliner Litfaßsäulen hängen die Plakate zu "Thriller". Nein, nicht zum Album, sondern zu einem Musical, das die "größten Hits und den unverwechselbaren Tanzstil" von Michael Jackson "auferstehen" lassen soll. Die Show läuft schon seit 2006 in London, doch nach dem Tod des "King of Pop" wurde flink eine Welttournee organisiert. Auch Britney Spears ist mittlerweile seit dem 11. März auf Welttournee - das erste Mal in fünf Jahren. Auch bei ihr geht es um eine Auferstehung.

Hey Britney, warum sagst du denn nichts? Wachs-Spears bei Madame Tussaud's in London
Foto: PHIL McCARTEN/ REUTERSSchließlich reihte der Popstar seit 2004 einen Absturz an den nächsten. In einem Friseursalon rasierte Britney sich den Schädel. Auf Partytour mit Paris Hilton stieg sie ohne Schlüpfer aus einer Limousine. Mit dem Paparazzo Adnan Ghalib verbrachte Britney eine Nacht - und wunderte sich, dass dieser später die Videoaufnahmen der Liaison über das Internet verscherbelte.
Britney ließ sich scheiden, verlor das Sorgerecht für ihre Kinder an ihren Mann Kevin Federline, die eigene Mündigkeit an ihren Vater, und irgendwann zwischen diesen ganzen Schicksalsschlägen kam ihr kurzzeitig auch noch der Verstand abhanden. Nachdem sie Anfang 2008 zweimal in die geschlossene psychiatrische Abteilung des UCLA Medical Center in Los Angeles zwangseingewiesen worden war, setzte die mediale Leichenfledderei ein.
Die Nachrichtenagentur AP geriet in die Schlagzeilen, weil sie bereits einen Nachruf für die gerade mal 26-Jährige vorbereitet hatte. Ein US-Radiosender lobte sogar 1000 Dollar für denjenigen aus, der Britney Spears' Todestag richtig schätzt. Nun ist sie zurück auf der Bühne.
"Heute Abend sind wir alle Freaks", ruft eine überdrehte Gestalt ins Publikum. Es ist Perez Hilton, Amerikas bissigster Promi-Blogger. Aufgedonnert wie die Herzkönigin aus "Alice im Wunderland" kreischt er von den gigantischen Videoleinwänden in der O2-Arena in Berlin herab. Zu einem taumelnden Walzerrhythmus kündigt er Britney Spears und ihre unvergleichliche "Freakshow" an.
Minuten vorher stürmte schon ein Kleinwüchsiger im nietenverzierten Frack auf die Bühne, die wie eine Manege in der Mitte der Halle plaziert wurde. Zu James Browns "Sex Machine" feuerte er mit zuckenden Hüftbewegungen die Menge an. Keine Frage, hier wird Zirkus gemacht - mit Britney Spears als Direktorin und Hauptattraktion in Personalunion.
Wir sind ja nicht bei Tokio Hotel
Dann beginnt die Show. Zum Titelsong des aktuellen Albums, fährt Britney im Glitzerkostüm mit einem Fahrstuhl aus dem Boden der Bühne und lässt eine Peitsche knallen. Die Freaks im Publikum reagieren relativ verhalten. Niemand kreischt, Banner mit Liebeserklärungen werden auch nicht ausgerollt. Der Anteil an Teenagern, an neuen Fans, die durch die letzten beiden Alben "Blackout" und "Circus" angefixt wurden, ist verschwindend gering. Der Charakter Britney Spears scheint nach allem, was geschehen ist, zu widersprüchlich, um noch Teenie-Pop zu sein. Schon jetzt ist klar: In der O2-Arena wird heute Abend niemand vor lauter Glück und Ekstase kollabieren, wir sind ja nicht bei Tokio Hotel. Den größten Teil der Menge scheinen Fans von früher und Schaulustige zu stellen, die live sehen wollen, was die letzten Jahre aus Britney gemacht haben.
Wie viel kann nach all den Skandalen noch von dem 17-jährigen Mädchen übrig sein, das sich vor zehn Jahren im Video zu seiner ersten Single die Schuluniform vom Leib riss und "Hit me baby one more time" sang?
Ihre Outfits haben sich jedenfalls kaum verändert. Von Song zu Song wird der Zwirn gewechselt. Vom superknappen Glitzerkostüm schlüpft sie in ein superknappes Lackkostüm, dann in ein superknappes Lederkostüm, und dann kommt wieder Glitzer dran.
Natürlich wird auch getanzt. Wobei Britney dabei eher wirkt wie der Star des örtlichen Schulmusicals - nicht wie eine weltweit berühmte Entertainerin. Als Ausgleich dafür lässt sie immer ein gutes Dutzend Tänzer um sich herumtanzen. Die haben die laszive Choreografie allesamt ein bisschen besser drauf als Britney.
Die Chefin lässt sich stattdessen lieber auf Sofas oder in Käfigen auf Rollen über die Bühne kutschieren oder reibt sich Song für Song an den unvermeidlichen Stripper-Stangen, die aus dem Boden wachsen, sobald Britney vorbeikommt. Zwischendurch hüpft die Popprinzessin dann über die Bühne und verpasst bösen Buben mit unkeuschen Gedanken eins mit einem rosafarbenen Plüschhammer oder - als sexy Politesse verkleidet - mit einem Schlagstock. Und natürlich darf in keinem Zirkus der Zauberer fehlen. So wird sie von einem Magier innerhalb von Minuten aufgespießt, zerteilt und schließlich weggezaubert, um an anderer Stelle sofort wieder aufzutauchen.
Buhei auf der Bühne
Aber der beste Verschwindetrick der Show ist ein anderer. Denn die Macher der Show haben dafür gesorgt, dass Britney vor Tausenden Menschen auftreten kann, ohne wirklich anwesend zu sein. Es beginnt mit dem Gesang: Keine Sekunde hat man das Gefühl, dass Britney Spears selbst einen Ton von sich gibt - viel zu glatt und synthetisch fügt sich ihre Stimme in den Sound. Wie soll man auch glauben, dass sie selbst ihre Lieder singt, wenn man nicht sehen kann, wie sich ihre Lippen bewegen?
Die riesigen Videoleinwände zeigen nicht ein einziges Mal das Geschehen auf der Bühne. Auf den Flächen, über die normalerweise auf Großkonzerten wie diesem mit Close-ups die Nähe zum Star suggeriert wird, laufen nur vorgefertigte Videoschnipsel. So muss man bei all dem Buhei auf der Bühne immer wieder kurz überlegen, welche von den vielen Tänzerinnen nun Britney ist. Doch selbst wenn man das herausgefunden hat, wird der Star auf der Bühne kaum menschlicher. Man kann nicht sehen, ob Britney vielleicht schwitzt oder schwer atmet, und nur in wenigen Augenblicken ist erkennbar, ob sie lächelt, mit den vordersten Reihen schäkert oder die Lippen synchron zur Musik bewegt.
Da ist es nur folgerichtig, dass Britneys Management die Anwesenheit von Pressefotografen untersagt hat. Ausschließlich die Fotoagentur Ginsberg Spaly darf knipsen - im Auftrag und unter strenger Kontrolle des Managements. Nur die perfektesten Momente sollen nach außen dringen. Vielleicht will man den labilen Star, der voraussichtlich noch bis Ende des Jahres unter der Vormundschaft seines Vaters stehen wird, durch dieses Vorgehen davor bewahren, bei einem Fehltritt - und sei es nur in der Choreografie - wieder am nächsten Tag auf allen Titelseiten lächerlich gemacht zu werden.
So bekommen auch die Konzertbesucher nur in zwei Momenten des Abends ein Stück echte Britney. Beim ersten Mal gratuliert sie dem Magier aus ihrer Crew zum Geburtstag - und am Ende ringt sie sich zu einem "Thank you Berlin" durch. Der Rest der Show hätte auch das Musical sein können, das Britney nach ihrem Tod auferstehen lässt.