Spice Girls in Köln Engel an der Striptease-Stange

Die Megazicken des Casting-Betriebs haben sich selbst besetzt: für eine Revival-Tournee der Superlative. Beim einzigen Deutschland-Auftritt glitzerten die Spice Girls als Hyperdiven für die Postmoderne - und blieben gerade deshalb blass.
Von Uh-Young Kim

Einen Augenblick lang schien es, als hätten sie wirklich Spaß auf der Bühne. Nach einem bombastischen Einzug in die Kölnarena gestern Abend gaben die Spice Girls ein Intermezzo als gereifte Broadway-Divas – und gefielen sich in der Rolle sichtlich gut. Welche gestandene Frau hat schon Lust, ewig das Girlie zu mimen?

Doch dann fielen sie wieder in den alten Modus: Kichernd, tuschelnd und Hits wie "Wannabe" singend hüpften die Sängerinnen um Victoria Beckham über die Bühne, als ob die letzte Dekade nie stattgefunden hätte. Und so zogen sie auch auf der fünften Station ihrer nicht ganz so rund laufenden Welttournee das Programm derart professionell durch, wie es wohl nur die Mütter aller Castingbands können.

Alles musste glitzern: von den Kleidern über die Blitzeffekte bis zu den Turnschuhen von Mel C. Zum Finale, als man schon völlig kirre vom funkelnden Dauerbeschuss war, schneite silbernes Konfetti in den Innenraum, als gelte es, von der Überflüssigkeit dieses Spektakels abzulenken.

Doch warum sollten die fünf versöhnten Freundinnen nicht auch ein Revival feiern wie Led Zeppelin? Schließlich hat die erfolgreichste Frauenband der neunziger Jahre weltweit Millionen von Fans begeistert. Schaute man sich in den Rängen der nicht ganz ausverkauften Mehrzweckhalle um, waren vor allem ihre weiblichen Anhänger gekommen, um in Grüppchen oder mit dem Freund im Schlepptau noch einmal in ihren Teenie-Träumen zu schwelgen. Posh-Lookalikes saßen neben Spätgeborenen, schwule Pärchen neben Familien.



Als mit dem Dancekracher "Who Do You Think You Are" der Hallen-Rave eingeläutet wurde, kamen endlich die Spice Girls der Kinderzimmerwände zum Vorschein: Sporty Spice im Trainingsanzug, Scary Spice im exotischen Leopardenlook, Baby Spice im rosa Kleidchen, Posh Spice im sexy Nachthemd und Ginger Spice im bekannten Union-Jack-Dress - welches Spicerl hätten S' denn gern? In dieser Aufstellung deckten sie schon bei ihrem Durchbruch 1996 eine Bandbreite an Teenie-Modellen ab, die bis dato nur von amerikanischen Boybands angeboten wurde. Bewaffnet mit dem Schlachtruf "Girl Power" herrschten sie bis zur Jahrtausendwende über die Charts, um fortan mehr oder weniger erfolgreiche Solokarrieren zu starten.

Gucci für Gören

Dem zuckerfreien und fettarmen Feminismus der "Power Girls" fielen gestern vor allem die Tänzer zum Opfer: Sie wurden von den Damen geschubst, ausgepeitscht, mit Absätzen traktiert und an der Hundeleine geführt. Die sexualisierte Frauenbefreiung nahm surreale Züge an, als sich die Girls beim Megaschmachtfetzen "2 Become 1" als fleischgewordene Engel an Striptease-Stangen rieben. Ansonsten erschöpfte sich die eingeforderte Selbstermächtigung und Solidarität in Simulationen kollektiven Shoppings mit gegenseitiger Style-Beratung: Gucci für Gören.

Heute ist ihre Hinterlassenschaft in jeder Castingshow zu sehen, wo unter dem Druck der Austauschbarkeit Leistung gepredigt wird. Und so ist es nicht verwunderlich, dass sie sich just in dem Jahr trennten, als der internationale Aufstieg eben jener Castingshows begann, die der Spice-Girls-Macher Simon Fuller aus der Taufe hob. Nur dort werden ihre Songs heute noch gewürdigt. Und manchmal darf Mel C vor den Möchtegernstars auftreten, als eine, die es geschafft hat.

Melanie Chisholm ist zwar die einzige im Bunde mit erfolgreicher Solokarriere dank ihrer vergleichsweise charaktervollen Stimme. Doch Posh Spice überstrahlte sie wieder einmal alle, denn es ging ja nicht um Musik oder Talent, sondern einzig und allein um das Spektakel der Celebrity-Kultur. Für ihre Soloeinlage verwandelte Königin Victoria das Konzert kurzerhand in eine Fashion-Show und schritt wortlos die Bühne entlang. Das Publikum schrie vor Begeisterung. Da konnte Sporty noch so mit ihren Gliedern um sich werfen. Die minimalistischen Gesten der Beckham magnetisierten die Blicke der knapp 14.000 Zuschauer. Wenn auch mit der dünnsten Stimme und den wenigsten Gesangsanteilen ausgestattet, hat sich Victoria Beckham damit als das klügste Spice Girl erwiesen. Sie hat das Girlgroup-Konzept individualisiert und sich als Marke etabliert, die die Schlagzeilen füllt.

Gigantomanische Leistungsshow

Der Klatsch, der seit jeher existentiell für die Spice Girls gewesen ist, birgt aber auch ein Problem: Die geschürten Erwartungen können nur enttäuscht werden. Und so war auf der Bühne nichts vom sogenannten Zickenkrieg zu spüren. Vergeblich suchte man den Verband um das verstauchte Gelenk von Baby Spice. Und zur Erkennungsmelodie von "Mama" kamen nicht die eigenen Kinder auf die Bühne, um wie beim Heimspiel in London vielleicht doch noch ein Stück Entwicklung und Bodenhaftung anzuzeigen.

Was blieb, war eine größenwahnsinnige Leistungsschau des Konzertbetriebs nach dem Zusammenbruch der Musikindustrie. Wenn schon keiner mehr CDs kauft, müssen die Leute für das diebstahlsichere und Echtheit versprechende Live-Erlebnis geschröpft werden. Dabei wird auf Bands gesetzt, die ihren Zenit zwar längst überschritten haben, aber immer noch eine sichere Bank sind.

Kritische Meinungen werden dabei nicht zugelassen: Die Spice Girls hatten für ihr Deutschland-Konzert den Medien erhebliche Beschränkungen auferlegt, so dass einige Presseagenturen darauf verzichteten in Wort und Bild zu berichten.

Ob den Spice Girls unter diesen Bedingungen noch einmal solch ein Kraftakt gelingen würde, ist fraglich. Es soll aber auch ihre letzte Tour gewesen sein. Andere werden ihrem Beispiel folgen. Und so sieht die Zukunft der Popmusik schon jetzt ziemlich alt aus.

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