Digitale Liveshow von Dua Lipa
Bin ich jetzt in der Disco? Oder ist das Science Fiction?
Die britische Popsängerin Dua Lipa lud zum Tanzen in ihr »Studio 2054« ein. Mit dabei: Kylie Minogue und Elton John. Und tatsächlich: Es stellt sich dieses euphorische Ich-bin-auf-einem-Konzert-Gefühl ein.
Dua Lipa bei den American Music Awards 2020 (Archivbild)
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Gareth Cattermole / Getty Images
Menschen tanzen. In einem Klub. Nah aneinander.
Ist nicht die Gegenwart, oder?
»Studio 2054« steht da. Das klingt, als hätte jemand einen Science-Fiction-Film über den vor über 30 Jahren geschlossenen New Yorker Discoklub Studio 54 drehen wollen. Und das passt irgendwie zu den tanzenden Menschen, die wirken, als könnten sie aus der Vergangenheit und aus der Zukunft gekommen sein.
Es ist das Intro zu einer online übertragenen Show des Londoner Popstars Dua Lipa, die jeden Moment losgehen soll. Angekündigt war »Studio 2054«, für das ein digitales Konzertticket 14,99 Euro kostet, als »multidimensionale Live-Experience«. Was das heißen sollte, war im Voraus nicht klar. Was klar war: Wenn die 25-jährige Sängerin, die gerade erst für sechs Grammys nominiert worden ist, Freitagnacht zum Tanzen einlädt, dann gewiss nicht in die Dorfdisco.
Vorab postete Lipa auf Instagram Fotos von Konzertplakaten, was zugleich seltsam und schön anmutete in einer Zeit, in der viele Konzertplakate sich die Sinnfrage stellen müssen. Auf den Plakaten stand die Gästeliste fürs »Studio 2054«. Die las sich wie eine Taskforce im Kampf gegen den Novemberblues: Miley Cyrus über FKA Twigs, Elton John neben Kylie Minogue. Letztere hat, neben Lipa, eines der zwei pandemietrotzendsten Tanzalben des Jahres rausgebracht. Es heißt, logisch, »Disco«.
Bilder von coronabedingten Sehnsuchtsorten
Lipas Album, das im März erschienen ist, trägt den Namen »Future Nostalgia«. Mit dem Titelstück der Platte startet die Show, nachdem das »Studio 2054«-Intro vorbei ist: Lipa glitzert inmitten einer Fabrikhalle, die mit Neonröhren ausstaffiert ist, neben ihr Tänzer, hinter ihr die Band, und schnell stellt sich dieses euphorische Ich-bin-auf-einem-Konzert-Gefühl ein. Gehirn erfolgreich ausgetrickst.
Als wollte Lipa das Gefühl verstärken, liefert sie gleich ein Best-of der Popstargesten. Sie räkelt sich am Mikrofonständer, geht in die Hocke, reißt die Arme hoch. Singt sie »you«, zeigt sie mit einem Finger auf die Kamera. Kommt ein Gitarrensolo, headbangt sie vor dem langhaarigen Gitarristen. Ihre Tänzerinnen und Tänzer tragen erst Schulterpolster, später Spandex, machen auf »Saturday Night Fever«, und das Freitagnacht, aber es passt. Die ersten Augenblicke von Lipas Show sind die besten, was schlicht daran liegen mag, dass Anfängen von Konzerten – die Musik dröhnt los, die Lichter gehen an, der Star ist da – oft die größte Magie innewohnt.
Kontrast zwischen Fantasie und Wirklichkeit
Lipa wechselt die Kulissen, die in ihren Details Bilder von coronabedingten Sehnsuchtsorten heraufbeschwören: Mal sind es Spinde im Hintergrund, die ans geschlossene Fitnessstudio denken lassen, mal eine Art Pyjamaparty, die Lipa mit ihren Tänzerinnen veranstaltet, mal eine Bar. Meist sind es Simulationen von Klubbesuchen. Simulationen, auch weil im »Studio 2054« alle gut tanzen können.
Eine dieser Klubkulissen leuchtet grün, während an der Wand in Rot die Namen von Städten entlanglaufen: Budapest, Dublin, Split, Philadelphia, Jakarta. Als stünde der Kontrast der Farben auch für den Kontrast zwischen der tanzwütigen Fantasie, die Lipa zeichnet, und der wirklichen Lage in den Städten, deren Klubs tanzfreie Zonen sind.
Plötzlich jubeln die zu gut tanzenden Klubbesucher: Kylie ist da. »Great timing«, ruft Lipa, und Minogue singt los. Sie setzt sich aufs DJ-Pult, hinter dem Lipa tanzt, stellt sich hin, weist die Tanzenden an, legt sich hin, räkelt sich, spielt das DJ-Pult-Spiel einmal durch, und dann ist der Kylie-Moment auch schon vorüber.
Die Gastauftritte sind alle eher kurz, was man Lipa entweder als understated oder als egozentrisch auslegen kann, jedenfalls ist das vor allem bei Elton John einfach schade: Der gibt, an eine Wand gebeamt, eine altersweise Version seines »Rocket Man« und ist dann wieder weg. Auf die Wand blicken derweil, ziemlich kitschig, Tänzer in Kleingruppen, die distanziert voneinander stehen; wie die voneinander getrennten Haushalte, die sich zeitgleich dasselbe Konzert angucken.
Am Ende singt Dua Lipa ihren »Future Nostalgia«-Hit »Don’t Start Now«, läuft noch mal alle Kulissen ab, während sich ihr Song mit einem Abba-Sample paart, die Kamera zoomt raus, der Zuschauer blickt von oben auf die Halle und fragt sich: War ich jetzt in einer Disco oder in einem Science-Fiction-Film? Stimmt beides.