Album der Woche mit Symba Supersofter Deutschrap-Supermann

Huch, alles ganz schön emo hier: Der Berliner Rapper Symba demontiert auf seinem lässigen Debüt die härtesten Deutschrap-Klischees: »Symba Supermann« ist unser Album der Woche. Außerdem: Neues von Sam Smith und Samia.
Rapper Symba auf dem Cover seines Debütalbums

Rapper Symba auf dem Cover seines Debütalbums

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Album der Woche:

Symba – »Symba Supermann«

Wattebäusche statt Wortgefechte: Auf diesem ungewöhnlichen und deshalb so unterhaltsamen Deutschrap-Debüt wird gleich zu Beginn klargestellt, dass es hier emphatischer zugeht als bei anderen Vertretern des Genres: »Schreib mir hdgdl, vielleicht schick ich dann ein Herz«, singt Symba in »Hdgdl« zu sommerhittauglichen Afro-Rhythmen und lustigen Quietschgeräuschen. Für alle älteren Semester: Die Abkürzung hdgdl steht im WhatsApp-Slang für »Hab dich ganz doll lieb«, das Herz-Emoji ist eine gängige Replik, wenn man die SMS-Nachricht sehr mag: Love it.

Schon beim grandiosen Cover-Artwork seines Albums möchte man verzückt »Awww!« ausrufen, denn der 23 Jahre alte Berliner Rapper trägt darauf zwar ein Supermann-Kostüm und sieht so muskulös aufgepolstert aus wie gewisse ultrasexistische und machistische Battle-Rap-Kollegas aus Friedberg oder Düsseldorf, guckt aber reichlich schüchtern und verdattert aus dieser martialischen Wäsche: Der titelgebende Supermann Symba ist supersad – und entsprechend emo präsentieren sich auch die elf neuen Tracks seines Albums. »Manche Leute tragen Waffen, andere Leute tragen Schmerz«, rappt er in seinem lakonisch-melodischen Singsang.

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Auf ein Album des 1999 als Sylvain Mabe geborenen Rappers, Schauspielers und Regisseurs (unter anderem »Bibi & Tina«, »Sløborn«) haben seine Fans lange warten müssen. Seit 2018 hat der Berliner mit Wurzeln in Kamerun aber bereits 21 Singles veröffentlicht. 2020 hatte er mit dem Trap-Rap-Song »Angels sippen« einen Charts-Hit. Darin, wie auch in anderen Frühwerken wie »PS2« oder »Maxi King«, gab er sich noch wie ein sympathischer Möchtegerngangsta, rappte Stakkato, nannte Frauen genregerecht »Shawty« und kokettierte mit einem Playboy-Lifestyle, den Kreuzberger Mehringdamm auf und ab flanierend.

Symba gründete 2017 zusammen mit seinen Kumpels Pashanim, RB 030 und Abuglitsch das inzwischen sehr populäre Rap-Kollektiv Playboymafia. Während sich allerdings Pashanim, der Bekannteste und Erfolgreichste der Viererbande, mit seiner neuesten Single »6561« (steht für die alten Postkennzahlen für Wedding und den Westteil von Kreuzberg) härter denn je gibt und mit Battle-Rap-Motiven, Luxusmarken und Mackergehabe spielt, bildet Symba den weicheren Gegenpol. Zu soften, elastischen Beats und manchmal allzu süßlichem Synthiepop, gebaut unter anderem von Haftbefehl-Produzent Bazzazzian, blickt er skeptisch bis amüsiert auf die Großkotzfetische der Szene. Dafür guckt er aber umso genauer hinter die Masken der selbst stilisierten Hip-Hop-Superhelden: »Vier Jungs im Mercedes Car, ich glaub, das wird ein Tourbus sein«, höhnt er in »Power Ranger«, »Zürich, Boote, Sportsmobil, doch Symba hat kein’ Führerschein.«

Statt Gucci-Sweater und Moncler-Jacken trägt er seine guten alten Nikes, statt vier iPhones trägt er ein Kassenmodell mit sich rum (»Bin am Nokia, nicht auf Facetime«) und macht sich auf Partys (»Late time«) Gedanken darüber, wessen Gucci-Klamotten auf jeden Fall fake sind.

Zwei zentrale Tracks machen Symba zu einem vielleicht prototypischen Vertreter einer nachdenklicheren und emotionaleren neuen Rappergeneration, der sich sensibel für die mentalen Lähmungen, die Gegenwarts- und Zukunftsängste der jungen Leute zeigt. Zwischen den Reimen seines immer in den Pop greifenden Flows blitzt oft Schelmisches hervor, aber oft scheint es auch, als hätte Symba das Credo aller Supermänner (und -frauen) verinnerlicht: Mit großer Macht geht auch große Verantwortung einher.

Die Power, klar, die kommt aus der Jugend und der Popularität. Aber Verantwortung? Wofür gleich noch? Ach ja, fürs Leben! »Alle wollen dies, aber keiner macht das dafür«, sprechsingt er in »Mama wir sind traurig« – und schließt den titelgebenden Refrain mit dem Nachsatz: »Warum weiß ich auch nicht.« Früher sei auch nicht alles einfacher gewesen, das komme einem nur in der Rückverklärung so vor, weiß er im selben Stück. Was ihn aber nicht abhält, sich an vielen Stellen doch wieder in vermeintlich selige Kinderzimmerzeiten mit Tamagotchi, »Super Mario« und »Street Fighter 3« auf der Playstation zurückzuträumen. Erwachsen werden? »Ich weiß doch gar nicht, was das heißt, Digger«, rappt er in »Leben ist gefährlich«. Die »Welt da draußen kann belastend sein«. Aber wer immer nur aufpasst, nie kifft, über die Stränge schlägt oder auch mal Blödsinn macht, wird auch nicht glücklich: »Bruder sei mal ehrlich, pass ich nur auf, hab ich kein’ Spaß.«

Also trägt Symba seine Sneaker, ein Paar von 50 (aber nur fünf T-Shirts), »auf entspannt« und tänzelt mit seinem lässigen Style den Mehringdamm-Boulevard entlang, nicht auf der wilden, sondern auf der sanften Seite. Wer im letzten Track »Weiß« eine politische Botschaft eines Schwarzen über Rassismus in Deutschland vermutet, wird gekonnt auf eine falsche Fährte gelockt. Strahlend »Weiß« sind in dem rührenden Popsongtext über eine offenbar verlorene Liebe nur die kostbaren Retro-Sneaker. (7.8)

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Kurz abgehört:

Sam Smith – »Gloria«

Die gute Nachricht: Sam Smith, neuerdings non-binärer Balladenstar aus Großbritannien, fühlt sich seit der vollumfänglichen Umarmung seiner Queerness pudelwohl in seinem Körper und versichert, sich jetzt mehr zu lieben und wertzuschätzen als früher, als er noch »way too good at goodbyes« war. Jetzt sagt er – im Abba-Shirt oder mit Glitzer-Onesie, laut Hallo (zu Song-Gästen wie Jessie Reyez und Ed Sheeran) – und schwärmte vor der Veröffentlichung seines vierten Albums, diesmal sei endlich alles so, wie er es schon immer wollte. Vorab gab es tatsächlich neue, recht unorthodoxe Sounds von Smith: die orientalisch-majestätische Raus-aus-dem-Closet-Hymne »Unholy« mit Kim Petras, die als erstes Lied mit Beteiligung einer non-binären und einer trans Person die US-Charts toppte. Und das Dancehall-beeinflusste »Gimme« mit Reyez und der jamaikanischen Sängerin Koffee. Die schlechte Nachricht: Das war’s dann aber auch schon mit den musikalischen Innovationen. Der Rest von »Gloria« bietet jene allzu glatt geschliffene Radiopop- und Balladenware, die Smith als herausragenden Herzschmerz-Sänger berühmt machte. Selbst der beste Track, die selbstbewusste One-Night-Stand-Ermächtigung »I’m Not Here To Make Friends«, ist Disco für Domestizierte. Vielleicht folgt auf Gloria irgendwann auch Halleluja, wenn Smith wirklich keine Rücksicht auf Verluste mehr nimmt. (5.0)

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Samia – »Honey«

Nichts geht über ein gutes, bittersüßes Break-up-Album: »I hope you marry that girl from your hometown/ And I’ll fucking kill her/ And I’ll fucking freak out«, singt Samia im ersten Stück ihres hervorragenden zweiten Albums »Honey«: Zuvor wachte die Song-Protagonistin auch noch mit dem Albtraum auf, schwanger vom Verflossenen zu sein, was für ein Horror – den die Spieluhr-Niedlichkeit der auf der Orgel gespielten Musik aufs Schönste kontrastiert. Die bleibt allerdings nicht die ganze Zeit so sinnlich-balladesk, sondern behauptet sich mit Songs wie »Mad At Me« oder »Sea Lions« auch mit leichter Country-Note im zeitgemäßen Elektropop. Samia Najimy Finnerty ist 26, stammt aus New York und lebt inzwischen in Nashville. Die Erzähldichte ihrer neuen Songs ist so beeindruckend wie die Eindringlichkeit, mit der sie ihre Alltags- und Gemütsbetrachtungen vorträgt. Noch muss sich Taylor Swift vor dieser Newcomerin nicht fürchten, aber mit den erst traurig, dann trotzig in Richtung neuer Zuversicht gleitenden Songs von »Honey« holt Samia Fans von Popstar Olivia Rodrigo ebenso ab wie Anhänger:innen von Songwriter-Kolleginnen wie Phoebe Bridgers und Julien Baker. (8.0)

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Evita Manji – »Spandrel?«

Die in Athen lebende Musikerin Evita Manji ist schon eine Weile regelmäßiger Gast auf Elektronik-Festivals oder führt ihren bisher eher hell funkelnden Hyperpop-Entwurf in Szeneklubs vor. Auf ihrem neuen Album verarbeitet sie den Unfalltod ihrer Partnerin, PC-Music-Star SOPHIE, und findet über den Verlust zu einer faszinierend düsteren Tiefe in ihrer Musik. Das eigentlich aus der Architektur stammende Wort »Spandrel«, zu Deutsch »Zwickel« oder »Spandrille«, beschreibt in der Evolutionsbiografie ein Körpermerkmal, das keinen offensichtlichen Überlebenszweck hat, also zum Beispiel Dekoratives wie das Kinn. Aber inwiefern ist Lebensdekor, wie Liebe und Partnerschaft, eben doch essenziell, emotional wie physisch? Aus diesem Spannungsfeld schöpft Manji elektrisierende Industrial-Eurotrash-Hybride wie »Body/Prison«, irrlichternde Techno-Balladen wie »Oil/Too Much« – oder baut sakrale Goth-Klangkathedralen wie »Closer to Midnight«, die in manchen Momenten an ähnlich klangforschende Grenzgängerinnen wie Arca erinnern. Allzu disruptiv wird es dabei nie, zum Glück aber auch nicht kitschig. Licht und Katharsis brechen durch helle, hymnenhafte Melodien und peitschende Beats immer wieder in finstere Schatten und bringen den trauermatten Körper zum Zucken: Experimenteller Pop... auch eine Art Spandrille, oder? (7.7)

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Complete Mountain Almanac – »Complete Mountain Almanac«

Ende April gibt es nach vier Jahren Pause ein neues Album von der populären Indierock-Grüblerband The National. Die beiden umtriebigen Bandbrüder Bryce und Aaron Dessner haben sich in der Zwischenzeit unter anderem an einem Projekt beteiligt, das nicht weniger Aufmerksamkeit verdient hat: »Complete Mountain Almanac« ist ein in den Songtiteln streng nach den Monaten eines Jahres strukturiertes Folk-Album, das die Dessner-Schwester Jessica mit der norwegischen Sängerin Rebekka Karijord konzipiert hat: eine melancholisch-fatalistische Meditation über den Klimawandel und die Unausweichlichkeit natürlicher Prozesse; Karijord komponierte einst auch den Soundtrack zu einer Doku über Greta Thunberg. Zusätzliche Tiefe erhalten die kristallin und behutsam instrumentierten Songs aber auch dadurch, dass Jessica Dessner in ihren Texten eine Brustkrebserkrankung samt Mastektomie verarbeitete. So bedrückend die Themen, so warm und tröstlich sind die Folk-Melodien und elektronischen Klänge, die diese erweiterte Bandfamilie dazu fand. »Nothing to do about it/ Everything happening to me is of the earth«, singt Dessner in »May«, einem der schönsten und zugleich beklemmendsten Songs: »Has she come to deliver me?« Zittrige Gesänge in der Hoffnung auf Heilung. (8.2)

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Wertung: Von »0« (absolutes Desaster) bis »10« (absoluter Klassiker)

Abgehört im Radio

Mittwochs um Mitternacht (0.00 Uhr) gibt es beim Hamburger Webradio ByteFM  ein »Abgehört«-Mixtape mit vielen Songs aus den besprochenen Platten und Highlights aus der persönlichen Playlist von Andreas Borcholte. Seit 1. Januar 2022 sendet ByteFM in Hamburg auch auf UKW (91,7 und 104,0 MHz).

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