Tageskarte Klassik Der Kampf zweier Talente

Wenn zwei Hochbegabte dasselbe tun, kann das Ergebnis zur Überraschung werden. Wie der Geiger Joseph Joachim seinem Freund Johannes Brahms nacheiferte und selbst ein Violinkonzert schrieb.
Von Joachim Kronsbein

Sie waren Freunde, liebten die Musik und bewunderten die Arbeit des jeweils anderen. Johannes Brahms, der herbe Norddeutsche, der in Wien zum überragenden Komponisten wurde, und der Violinvirtuose Joseph Joachim.

Brahms (1833 bis 1897) kannte sich mit der Violine nicht besonders gut aus, jedenfalls nicht gut genug, um ein Violinkonzert zu schreiben. Als er es dennoch wagte, war er schon 45 Jahre alt und hatte schon zwei Symphonien, bedeutende Kammer- und Klaviermusik und sein "Deutsches Requiem" geschrieben. Sein Violinkonzert hatte er für Joseph Joachim (1831 bis 1907) geschrieben, der damals einer der bekanntesten Geiger war. Doch der Solist war nicht zufrieden und hatte Einwände. Brav arbeitete Brahms sein Werk um, und Joachim spielte die Uraufführung.

So schreibt man Musikgeschichte. Aber Joachim wollte mehr. Er schrieb selber drei Violinkonzerte. Von ihnen gilt nur sein zweites, op. 11, im "ungarischen Stil", als einigermaßen aufführenswert. Es ist im Konzert so gut wie nie zu hören. Im Grunde ist es ein Gerücht.

Der deutsche Geiger Christian Tetzlaff hat jetzt beide Werke, das überragende Brahms-Konzert und die Nummer zwei von Joachim auf einer CD eingespielt. Die Reihenfolge der CD, erst Brahms, dann Joachim, sollte beim Anhören unbedingt gemieden werden. Denn das mit großem Apparat auftrumpfende Stück von Joachim ist, man kann es nicht anders sagen, Dilettanten-Stümperei.

Eine ausufernde Einleitung tritt unschön auf der Stelle und nährt eine – leider unbegründete – Hoffnung, dass der Eintritt der Violine ins musikalische Geschehen endlich echtes Leben und Leidenschaft bringen könnte. Aber auch die beiden anderen Sätze verharren im Vagen, Virtuosen. Ein paar Anklänge an musikalische Floskeln, die aus der ungarischen Folklore stammen, lassen kurz aufhorchen. Der Schlussakkord ist eine Erlösung.

Wer sich den Brahms nach dieser musikalischen Holperstrecke aufbewahrt hat, wird reich belohnt. Das Werk hebt sich durch seine Tiefe, die Könnerschaft, mit der das musikalische Material bearbeitet wird, und die liebevolle Interpretation durch Christian Tetzlaff derart drastisch von Joachims Komposition ab, dass die Platte ein schönes Lehrbeispiel für den Satz abgibt: "Das Gegenteil von gut ist gut gemeint."

Das Dänische Nationalorchester unter Thomas Dausgaard begleitet solide diese kuriose Gegenüberstellung der Talente zweier großer Freunde.


"Christian Tetzlaff, Solist, und das Danish National Symphony Orchestra unter Thomas Dausgaard spielen Johannes Brahms: Violinkonzert op. 77 und Joseph Joachim: Violinkonzert Nr. 2" (Virgin Classics).

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten