Tageskarte Klassik Dynamischer Stromlinienklang
Die Anekdote ist nicht verbürgt, ist aber zu schön, um nicht wahr zu sein: Als der Maestro irgendwo auf der Welt auf einem Flughafen ankommt und in ein Taxi huscht, fragt der Chauffeur: "Wohin soll es gehen?" Der Dirigent antwortet gehetzt: "Egal, ich werde überall gebraucht."
Und ein bisschen war es tatsächlich so. Von den frühen fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts an bis Anfang der achtziger Jahre beherrschte Herbert von Karajan die klassische Musik. Er war Operndirektor in Wien, auf Lebenszeit Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, stand in der Scala, der Met und in Londons Covent Garden Opera im Orchestergraben, dirigierte in Bayreuth und bei den Salzburger Festspielen, deren Chef er war, und dominierte so die Wahrnehmung der Öffentlichkeit darüber, was und wie ein Dirigent zu sein hat.
Vor bald 100 Jahren, am 8. April 1908, wurde Herbert von Karajan geboren, und schon jetzt beginnt die Industrie damit, ihren größten Plattenverkäufer zu feiern. Zum bevorstehenden 100. rüstet die Deutsche Grammophon Gesellschaft, lange Zeit Karajans Haus-Label, noch einmal kräftig auf. Die Edition "Master Recordings" mit zehn CDs ist soeben erschienen, DVDs kommen auf den Markt und das Prachtalbum "Karajan, The Music, The Legend", das auf einer CD ein paar Schnipsel aus berühmten Einspielungen und ein Potpourri aus Video-Produktionen auf DVD enthält.
Er liebte auch auf der Straße schnelle Tempi
Karajans Karriere florierte erst so richtig nach dem Zweiten Weltkrieg, aber den Grundstein legte der Salzburger schon in den zwanziger Jahren als Generalmusikdirektor in Ulm und Aachen, wo er sich seine umfassenden Repertoirekenntnisse zulegen konnte. Karajan, der Mitglied der NSDAP war, wurde zum ersten Mal landesweit bekannt, als er 1938 an der Berliner Staatsoper "Fidelio" und "Tristan und Isolde" dirigierte. Ein Musikkritiker schrieb danach vom "Wunder Karajan" ein Mythos war geboren.
Nach dem Krieg begann der charismatische Musiker, verstärkt Platten einzuspielen. Der mondäne Karajan, der sich immer für Technik begeisterte, einen Segel- und einen Pilotenschein hatte und auch auf der Straße schnelle Tempi liebte, hat den Siegeszug der LP gefördert (und vom Erfolg des neuen Mediums natürlich profitiert), so wie er die CD und das Musikvideo vehement protegierte.
Kein Künstler der Gattung Klassik hat so viele Tonträger verkauft wie er. Er war (und ist es für viele immer noch) "Mr. Klassik".
Er schuf, als er 1955 Nachfolger von Wilhelm Furtwängler als Chef der Berliner Philharmoniker wurde, bewusst einen neuen, modernen Sound für Deutschlands bestes Orchester. Was bei Furtwängler vergeistigt und philosophisch unterfüttert klang, wurde bei Karajan zu einem federnd-forschen dynamischen Stromlinienklang, der dennoch Delikatesse, Süffigkeit und Tiefe hatte.
Und viele seiner Aufnahmen haben heute noch Bestand. Sein "Rosenkavalier" mit Elisabeth Schwarzkopf ist legendär, seine "Bohème" mit Pavarotti ebenso, aber auch die Einspielungen mit Musik von Schönberg, Berg oder Webern.
Am Ende eine beinahe tragische Gestalt
Operetten waren bei ihm ebenso gut aufgehoben wie die großen Brocken von Beethoven, Brahms, Bruckner und (spät in seinem Leben) Gustav Mahler.
Karajan, der Klang- und Medienmagier, dem eine der größten Künstler-Karrieren überhaupt geglückt war, wurde am Ende eine beinahe tragische Gestalt. Die Berliner Philharmoniker, deren Wahl zum Chef er einst mit "tausend Freuden" angenommen hatte, rebellierten gegen ihren Maestro, als er darauf bestand, Sabine Meyer, eine junge Klarinettistin, gegen den Wunsch des Orchesters zu engagieren. Ein schmerzliches Tauziehen setzte ein, bei dem am Ende alle lädiert am Boden lagen. Das Vertrauensverhältnis zwischen Dirigent und Orchester war zerstört.
Und auch gesundheitlich litt der Maestro. Mit Mühe nur konnte sich Karajan am Ende seines Lebens aufs Podium schleppen. Rückenprobleme machten ihm das Gehen zur Qual.
1989 starb er, 81 Jahre alt, in Salzburg.
Der Tod des beherrschenden Dirigenten des 20. Jahrhunderts war noch einmal ein Weltereignis.
CDs "Karajan - The Music, The Legend"; "Karajan Master Recordings"; "Karajan 2008" (alle Deutsche Grammophon Gesellschaft).