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Taylor Swift: Americana und Achtsamkeit

Foto: Danny Moloshok/ AP

Neues Album von Pop-Superstar Taylor Swift Lieb dich selbst, sonst liebt dich keiner

"Lover", das neue Album von Pop-Superstar Taylor Swift, ist eine hinreißend egozentrische Übung in Selbstakzeptanz. Ob das auch ihre Kritiker besänftigt?

Muss man sich Taylor Swift als glücklichen Menschen vorstellen? Schon vor der offiziellen Veröffentlichung ihres siebten Albums "Lover" an diesem Freitag seien bereits eine knappe Million Exemplare per Vorbestellung verkauft worden, meldete das Branchenblatt "Variety". 

Solche Blockbuster-Zahlen sind selten geworden in einer Zeit, in der Streaming-Zahlen den Tonträger-Verkauf weitgehend ersetzt haben. Kurz vor ihrem 30. Geburtstag im kommenden Dezember ist Swift auf dem Zenit ihrer Karriere: Mit 50 Millionen verkauften Alben, 10 Grammys und 120 Millionen Instagram-Followern ist die US-amerikanische Sängerin einer der erfolgreichsten und einflussreichsten Pop-Persönlichkeiten der vergangenen Dekade, in der immerhin auch Lady Gaga, Adele, Beyoncé, Rihanna und Katy Perry zu Superstars wurden.

Mit geschätzten 185 Millionen Dollar Jahresumsatz 2018/19 gehört sie zudem zu den reichsten Musikerinnen zurzeit. Ihr neuer Vertrag mit dem Universal-Ableger Republic könnte ihr weitere 200 Millionen Dollar einbringen - wenn sie denn ihren Status aufrechterhalten kann und auch weiterhin Millionen Alben verkauft. Sicher ist das keinesfalls.

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Taylor Swift: Americana und Achtsamkeit

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Swift hat hart für ihren Erfolg gearbeitet und gekämpft. Erst diese Woche bestätigte sie Überlegungen, ihren gesamten Back-Katalog neu aufzunehmen, um imStreit mit ihrem früheren Label und dessen neuen Besitzer Scooter Brown die Hoheit über ihr Frühwerk zu behalten. Als sie vor einigen Jahren öffentlich machte, dass ein Radio-DJ sie sexuell belästigt hatte, wurde sie zu einer Pionierin in der #MeToo-Bewegung. Um ihr feministisches Erwachen zu symbolisieren, umgab sie sich mit einer sogenannten Squad aus Powerfrauen, zu der Supermodel Gigi Hadid ebenso gehörte wie die die TV-Intellektuelle Lena Dunham.

Das Label "white privilege" hängt wie eine Zielscheibe über Swift

Heute gilt die frühere Country-Sängerin als weitgehend selbstbestimmtes Pop-Idol, das sich in ihrer Single "You Need To Calm Down" zur Anwältin von LGBT-Personen macht, die im Internet der Trolle diskriminiert und beschimpft werden. Doch ihre Karriere als erfolgreiche Geschäftsfrau, die jedes Detail ihrer Marketingkampagnen akribisch kontrolliert und ein blütenweißes Teflon-Image pflegt, hat nicht nur Bewunderer. Aus der queeren Szene regte sich Unmut über das Kalkül, mit dem Swift sich im Video zu "You Need to Calm Down" mit LGBT-Persönlichkeiten umgab - ohne selbst Teil dieser Szene zu sein und deren Erfahrungen zu teilen.

Als weiße, scheinbar makellose Blondine aus dem puritanischen Pennsylvania schwebt in identitätspolitisch aufgeladenen Zeiten das Label white privilege wie eine Zielscheibe über Swift: Egal, was sie tut, zum Opfer darf sie sich nicht stilisieren. Ihr letztes, defensives Album "Reputation" , auf dem sie versuchte, ihr negatives Image in klirrender Battle-Rap-Stilistik zu umarmen, gehörte zu ihren unerfolgreichsten Veröffentlichungen.

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31.03.2023 00.20 Uhr

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"Lover" markiert daher eine wiederum radikale Kehrtwende. Sie wolle sich fortan nur noch auf die positiven Dinge in ihrem Leben konzentrieren, schreibt sie in einem Vorwort zum tagebuchartigen "Lover": "This album is a love letter to love itself". Sie habe entschieden, dass sie in diesem Leben nur von den Dingen definiert werden will, die sie liebt, nicht von den hässlichen Konflikten und Kämpfen oder allem, was sie hasst.

"Lover" ist also Taylor Swifts Achtsamkeitsalbum, ein narzisstisch-egozentrisches Testament der selbst verordneten Glückseligkeit. Das passt einerseits natürlich perfekt in die Lebenswirklichkeit vor allem jüngerer Swift-Fans, die sich auf Instagram, YouTube und anderen Social-Media-Kanälen fast ausschließlich mit sich selbst und ihren Befindlichkeiten beschäftigen.

Es geht auch authentischer

Andererseits steht mit der jungen Sängerin Billie Eilish bereits eine Ablösung im Wartestand, die sich weitaus weniger perfektionistisch und kontrolliert zu geben weiß als Swift. Ihre anarchisch-schräge, aber verblüffend authentisch wirkende Art kommt vor allem beim jungen Pop-Publikum gut an. Als Deluxe-Edition gibt es "Lover" daher auch noch als Poesie-Album mit (angeblich) echten, teils chaotisch gekritzelten Tagebucheinträgen der jungen Taylor, die schon als Teenager Selbstermutigendes aufschrieb: "I don't care what people think of me now, because I won't let them bring me down". Es menschelt schon sehr.

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Für die Ambivalenzen, die "Reputation" zu ihrem bisher interessantesten Album machten, ist hier diesmal wenig Platz vorgesehen. Brüche und Disruptionen sind einem ausgeglichenen Selbstbild gewichen. Das verheißen allein die Pastelltöne auf dem Cover des Albums - und das quietschbunte Musical-Video zur Single "ME!", mit dem sich Swift aus der Schaffenspause zurückmeldete - und sich wie eine Disney-Prinzessin mit Zuckerwatte-Kleid inszenieren ließ, um die herum es recht tölpelhaft wirkende Männer (u.a. Duett-Partner Brendon Urie von Panic at the Disco) regnet. Nicht minder knallig war dann der Clip zu "You Need To Calm Down", in dem sich Swift abseits der Ermahnung aller Hater und Nörgler dann auch noch mit ihrer früheren besten Freundin, dann Erzfeindin Katy Perry versöhnte. Hach!

Ebenso aufräumend geht es in den meisten der 18 Songs auf "Lover" zu. Im Vordergrund steht wie gewohnt die reflektierende Beschäftigung mit vergangenen und aktuellen Liebschaften und Swifts eigener Rolle darin - wenn man denn annimmt, dass Erzählerin und Protagonistin ein und dieselbe Person sind. In den Gelüsten und Früsten ihrer Männergeschichten will sie zu einer verzeihenden Selbstakzeptanz gelangen: "I live like an island/ Punished you with silence", singt sie selbstanzeigend in "Afterglow": "Sorry that I hurt you/ I don't wanna do this to you". Alles ihre Schuld, seufz, aber am Ende gilt dann doch: "You can't spell 'Awesome' without 'ME'!"

Einen nachdenklichen Song wie "The Man", in dem Swift darüber reflektiert, ob ihre Karriere anders, einfacher verlaufen wäre, wenn sie ein Mann wäre, braucht es da schon fast gar nicht mehr. Andererseits ist hier echter Leidensdruck zu spüren: "I'm so sick of running as fast as I can/ I'm so sick of them coming at me again", beschreibt sie ihr gehetztes Gefühl, als Frau in der Öffentlichkeit ständig be- und verurteilt und zu werden.

Was tun? Lieb' dich selbst, sonst liebt dich keiner: Der Titelsong, der im Intro an Mazzy Stars verschmelzendes "Fade Into You" erinnert, scheint eine große, verliebte Ballade für einen Partner zu sein - aber es lässt sich auch als solipsistische Selbstbeschwörung an das eigene, mit sich selbst im Einklang befindliche Ich lesen, eine Momentaufnahme vom Finden der eigenen Mitte: "Can we always be this close forever and ever?". Wer weiß. Den Argwohn ihrer Kritiker, all das sei doch nur eine zynisch durchkalkulierte Selbstinszenierung, wird Taylor Swift so schnell nicht entkräften können.

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Am Ende wird Swifts Überdauern als Pop-Größe wohl an ihren Qualitäten als Songwriterin entschieden werden. Daher ist es gut, dass die meisten der von Jack Antonoff und Joel Little produzierten Stücke auf "Lover" sich musikalisch aufs Wesentliche reduzieren. Aus synthetischen Beats und atmosphärischen Sounds, viel Fingerschnippen und treibenden Handclaps entsteht ein hypermodernes Americana-Update, das mehr mit Swifts Country-Herkunft und Heartland-Songwritern wie John Mellencamp zu tun hat, als mit den gängigen R&B- und Hip-Hop-Derivaten im Gegenwarts-Pop.

Das lässt viel Raum für Swifts Erzähltalent. Wie packend und potenziell zeitlos das sein kann, beweist Swift in schönen, balladenhaften Songs wie "The Archer" oder "Soon You'll Get Better", eine zart verzweifelnde Botschaft an ihre an Krebs erkrankte Mutter.

Höhepunkt aber ist "Miss Americana & The Heartbreak Prince", das ein Herzschmerz-Motiv aus einem prototypischen Highschool-Musical als Blaupause für eine kongenial verkappte Zustandsbeschreibung der USA unter Trump nutzt: "Boys will be boys then/ Where are the wise men?/ Darling I'm scared", singt sie, ausnahmsweise nicht in Selbstbeschäftigung gefangen, sondern in - berechtigter - Sorge um ihr Land.

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