Technomix von Robag Wruhme Eine Flaschenpost voll Glück

Technomusiker Schablitzki alias Robag Wruhme: Die elektronische Musik war für ihn der Weg in die Welt
Foto: Katja Ruge / KompaktDJ ist ein eigenartiger Job. Die wenigsten, die einmal damit anfangen, nachts Platten aufzulegen, machen sich in den ersten Jahren große Gedanken darüber, wo die Reise hingeht. Man bringt die Leute zum Tanzen und bekommt auch noch Geld dafür, was könnte besser sein? DJs sind auch eigenartige Zwitterwesen. Natürlich ist das Mixen von Platten eine kreative Tätigkeit, aber ist man deshalb selbst Musiker?
In dieser Unsicherheit mussten DJs immer schon leben, deshalb hat die Pandemie sie auch noch stärker getroffen als die meisten anderen Kreativen: Denn was tun, wenn der ganze Rahmen wegbricht, in dem man sich bewegt hat? Wenn keine Tanzfläche mehr da ist, die bespielt werden könnte? Dann gibt es nicht nur kein Geld mehr. Auch der Sinn ist weg. Es gibt wenig, woran man sich dann noch festhalten kann.
Es dürfte das Glück von Gabor Schablitzki, 46, sein, dass er immer schon beides war: Ein begnadeter DJ, jemand, der auf dem Höhepunkt einer Samstagnacht eine Tanzfläche voll betrunkener Engländer in den Griff bekommt, einer, der aber genauso ein paar Stunden später eine Gruppe Erschöpfter mit sanftem Ambient zu streicheln versteht. Dann ist er allerdings auch ein Musiker, einer der wenigen »Autoren« der elektronischen Musik, der einen ganz eigenen Sound gefunden hat.
So sitzt er nun zu Hause, macht Musik – und hat dort unter seinem Künstlernamen Robag Wruhme ein Meisterwerk von einem DJ-Mix aufgenommen: »Connecting the Dots« (hier hören bei Kompakt).
Aufgewachsen ist Schablitzki im thüringischen Apolda, groß geworden als ein Kind der lebendigen Technoszene von Jena (so lebendig, dass er irgendwann nach Weimar gezogen ist, weil es ihn nervte, wenn er im Supermarkt fotografiert wurde, wie er neulich in einem schönen Interview erzählt hat). Mit seinem DJ-Partner Sören Bodmer ist er jahrelang unter dem Namen Wighnomy Brothers über die Lande gezogen. Seit ungefähr zehn Jahren macht er das nun allein.
Schablitzki ist eine Künstlerseele, jemand, bei dem schon in der Schule klar war, dass er in kein Raster passt. Einer von denen, die den Zusammenbruch der DDR noch bewusst mitbekamen, das Ende der bekannten Ordnung und den Bedeutungsverlust von Autoritäten, die gerade noch unangreifbar schienen. Die elektronische Musik war für ihn der Weg in die Welt: erst in die Plattenläden von Berlin und dann, als klar war, dass man diese Musik auch selbst machen kann, in die Klubs überall auf der Welt. Als DJ, als Künstler.
»Connecting the Dots« wiederum ist eine neue Reihe des Kölner Technolabels Kompakt, für die man dort einmal im Monat einem der Künstler des Hauses die Möglichkeit gibt, aus den vielen Tausend Stücken des riesigen Kompakt-Katalogs, der in den vergangenen 25 Jahren zusammengekommen ist, einen Mix zu machen.
Wruhme hat sich 22 Tracks genommen, fast alles unbekannte Stücke. Ganz grob sind sie chronologisch angeordnet, wer will, kann diesen Mix also wie eine Minimal-Techno-Geschichtsstunde hören, die von den Ambientklängen eines Dettinger und dem reduzierten Geklöppel von Wolfgang Voigts Studio-1-Projekt zu einem der surrealen Entwürfe von DJ Koze führt – und zu Wruhmes eigenem Track »Calma Calma« vom vergangenen Sommer.
Aber all das muss man nicht wissen. Denn dieser Mix ist vor allem eine Kurzgeschichte. Eine 71 Minuten lange Erzählung, die von Gefühlen handelt. Von Melancholie, von Euphorie, von Glück, von Traurigkeit, von Sehnsucht – aber auch davon, einverstanden zu sein. Wruhme nimmt die Stücke und fädelt sie nicht einfach ineinander. Er legt sie zusammen, lässt manchmal drei oder vier Tracks gleichzeitig laufen und zaubert so jenes Tanzflächenglück zusammen, das im Augenblick leider nur für den Kopf zu haben ist. Das hat seine vergrübelten Momente, so wie Schablitzki eben auch ein Eigenbrötler ist. Dann wieder sprüht es vor Witz und Weltumarmung.
Niemand weiß, wie lange die Pandemie noch dauern wird. Die Berliner Clubcommission hat vor Kurzem bekannt gegeben, dass es möglicherweise noch bis zum Frühjahr 2022 dauern könnte, bis der Normalbetrieb in den Klubs wieder läuft. In anderen Städten dürfte es ähnlich aussehen. Es bleibt also bis auf Weiteres nichts als die Hoffnung, dass es eines Tages wieder losgeht. Die Erinnerung daran, was da einmal war, als Wegweiser für die hoffentlich nicht allzu ferne Zukunft.
Und es bleibt ein Mix wie »Connecting the Dots«, der wie eine Flaschenpost durch das dunkle Meer des Corona-Verderbens schwimmt. Eine Nachricht, die ein Mann ausgeschickt hat, der auf einer Rettungsinsel sitzt wie wir alle, der dort vor sich hin pfeift und klatscht und klopft. »SOS!«, ruft Robag Wruhme und rettet für 71 glückliche Minuten die Seelen derer, die ihn hören.