»Rumgeeier« des SWR Der Stardirigent und das russische Geld

Dirigent Currentzis: »Musik als verbindende Kraft«
Foto: Sebastian Gollnow / picture alliance / Sebastian Gollnow/dpaDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Als Teodor Currentzis vergangenen September seinen Vertrag als Chefdirigent beim SWR-Sinfonieorchester um weitere drei Jahre verlängerte, sprach Kai Gniffke, Intendant des Südwestrundfunks, von einem »Glücksfall«. Der Künstler habe den Klangkörper »in kürzester Zeit zu einem homogenen und hochklassigen Ensemble geformt, das im Südwesten und auch international gleichermaßen begeistert«. Nun ist Gniffke abermals voll des Lobes: »Currentzis hat uns keinen Anlass gegeben daran zu zweifeln, dass er ebenfalls in aller Deutlichkeit für Frieden eintritt.«
Frieden, Freude, Brückenbau – so lautet die Botschaft der Erklärung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt zu Currentzis, der seine Karriere seinem enormen Talent als Dirigent zu verdanken hat, aber auch zig Millionen aus dem russischen Staatsapparat, der Oligarchie und der VTB-Bank, die der Westen nach dem Angriffskrieg auf die Ukraine mit Sanktionen belegt hat. Der in Griechenland geborene Musiker, der auch die russische Staatsbürgerschaft haben soll, ging 2004 als Chefdirigent an die Oper Nowosibirsk, ehe er 2011 am Musiktheater in Perm anheuerte und dort mit schrullig-kühnen Mozart-Interpretationen zu Weltruhm kam.
Currentzis hat sich diverse Male kritisch zum politischen und gesellschaftlichen Zustand Russlands geäußert. Von ihm sind Sätze bekannt wie: »Alles ist korrupt, wir kennen das seit mehr als tausend Jahren.« Oder auch: »Wir müssen auf die Freiheit in unserm Leben achtgeben. Sie ist das Kostbarste, was wir haben.« Er hat sich mit scharfen Worten für den kremlkritischen Regisseur Kirill Serebrennikow eingesetzt, der im Juni 2020 wegen angeblicher Veruntreuung staatlicher Fördermittel zu drei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden war. Currentzis nannte die »harte und vorurteilsbehaftete Behandlung« Serebrennikows »inakzeptabel« und warb für Meinungsfreiheit, gerade auch in der Kunst.
»Teodor lässt uns rätseln, was er denkt«
Aber eine Äußerung zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und zur Rolle des russischen Präsidenten Wladimir Putin ist von dem Dirigenten bis heute nicht bekannt – und auch die Erklärung des SWR zum Beginn der anstehenden Tournee enthält kein Zitat von Currentzis selbst. Die Klassikszene wartete auf ein Statement, Kolleginnen und Kollegen zeigten sich verwundert. Einer, der den Griechen seit vielen Jahren kennt, sagt: »Teodor ist kein Putin-Freund. Aber er lässt uns rätseln, was er denkt.«

Das MusicAeterna-Ensemble unter der Leitung von Teodor Currentzis: Fließt das Geld der VTB-Bank noch?
Foto: CHARIS AKRIVIADIS / EPADer »Mannheimer Morgen« schrieb vor einer Woche regelrecht flehend an die Adressen von SWR und Currentzis: »Wenigstens ein Statement, bitte. Eine Erklärung. Eine Positionierung. All die Toten und Verletzten haben das verdient.« Doch der Südwestrundfunk schwieg weiterhin. In der Klassikszene hieß es, auch im SWR-Sinfonieorchester werde eine Klarstellung des Dirigenten gewünscht. Eine Anfrage des SPIEGEL an die Rundfunkanstalt, ob die Darstellung stimmt, blieb auch nach mehr als 24 Stunden unbeantwortet.
Der Druck wuchs: Mindestens zwei Konzertsäle, in denen das SWR-Sinfonieorchester bei seiner Tournee gastieren soll, verlangten nach SPIEGEL-Informationen eine Klarstellung. Am Freitag veröffentlichte die Rundfunkanstalt ihre Erklärung, in der darauf verwiesen wurde, was schon längst bekannt war: »Als Appell für Frieden und Versöhnung« hätten sich Orchester und Chefdirigent »kurzfristig auf ein ukrainisch-deutsch-russisches Programm verständigt«.
»Dass die dafür vier Wochen gebraucht haben«
Neu ist die Aussage, Gespräche zwischen Currentzis sowie dem Management und Vorstand des Klangkörpers hätten »klar bestätigt, dass die musikalische Zusammenarbeit auf der Grundlage gemeinsamer Werte und Überzeugungen« wie »Frieden und Versöhnung« basierte. »Ein darüber hinausgehendes Statement oder gar die Aufgabe seiner künstlerischen Tätigkeit in Russland erwartet der SWR von seinem Chefdirigenten nicht.« Currentzis habe sich »bislang nie systemtreu geäußert, aber schon oft betont, dass er Musik als verbindende Kraft sieht«.
Das Sponsoring des von Currentzis gegründeten Ensembles MusicAeterna mit Sitz in St. Petersburg durch die VTB-Bank sei »aus heutiger Sicht sicherlich problematisch, besteht aber schon über einen längeren Zeitraum«, hieß es weiter. »Eine unterstützende Haltung für den laufenden russischen Angriff auf die Ukraine lässt sich daraus im Nachhinein nicht ableiten.« Inwiefern sich das Kreditinstitut für MusicAeterna weiterhin engagiere, sei »nach derzeitiger Kenntnis des SWR offen«. Gniffke erklärte: »Wir helfen aber niemandem oder beenden gar den Krieg, wenn wir Künstlerinnen und Künstler, die in Russland leben und arbeiten, pauschal verurteilen und die Zusammenarbeit durch einen Automatismus beenden.«
Ein mit dem Vorgang vertrauter Kulturmanager, der anonym bleiben will, findet »das Rumgeeier des SWR unglaublich peinlich« und spottete darüber, dass »die dafür vier Wochen gebraucht haben«. Er sagte: »Dann kann man auch Netrebko wieder singen lassen.« Auch sie sei gegen Krieg, aber äußere sich nicht zu Putin. Die Konzertsäle geben sich damit offenbar zufrieden. Aus der Kölner Philharmonie hieß es, Currentzis habe sich »bisher – anders als Frau Netrebko – weder explizit für die eine noch die andere Seite positioniert«. Daher gelte: »Im Zweifel für den Angeklagten.« Die Elbphilharmonie zeigte sich dagegen »froh«, dass Currentzis und der SWR »mit einem ukrainisch-deutsch-russischen Programm ein Zeichen für Frieden setzen wollen«. Das Konzert finde statt.
Salzburg braucht noch Zeit
Die Debatte über Currentzis, dessen Sprecherin auch einen Tag nach einer Anfrage des SPIEGEL nicht reagierte, dürfte auch andernorts weitergehen, falls er sich nicht erklärt. Denn bei den »Salzburger Festspielen« soll der Dirigent im Sommer Béla Bartóks Oper »Herzog Blaubarts Burg« und Carl Orffs Komposition »De temporum fine comoedia« aufführen – laut Website des Festivals »realisiert in Partnerschaft mit dem Kulturzentrum GES-2« in Moskau, hinter dem einer der reichsten Oligarchen Russlands steht. Dabei sein soll auch der MusicAeterna-Chor, der von der VTB-Bank unterstützt wird.
Anfang dieser Woche wollten die »Salzburger Nachrichten« wissen, ob Currentzis zum Festival komme, wenn er sich nicht zu Putin äußere und es bei der russischen Finanzierung seines Ensembles bleibe. Das Blatt zitierte Intendant Markus Hinterhäuser wie folgt: »Das ist eine der komplexeren Fragen, denen wir uns im Moment zu stellen haben.« Der SPIEGEL fragte nach, ob es schon eine Antwort gebe. Eine Sprecherin des Festivals teilte mit: »Es gibt noch keine Entscheidung dazu, und wir wollen uns die nötige Zeit dafür nehmen.«