"Hass, Ekel oder Ignoranz": Warum der Deutschrap so transphob ist
Dieser Beitrag wurde am 28.05.2020 auf bento.de veröffentlicht.
Eine junge Frau behauptet auf Instagram, Sex mit einem bekannten deutschen Rapper gehabt zu haben, postet Chatverläufe und Fotos von ihm im Bett. In den meisten Fällen würde das wahrscheinlich wenig Aufmerksamkeit erregen.
In diesem Fall aber werden sowohl die Frau als auch der Rapper Sinan-G in sozialen Medien mit Hass und Gespött überzogen. Denn: Die Frau ist trans. Sie wird als "Transe", "Fake-Frau" und "halber Mann" bezeichnet, er als "ekelhaft" und "gay". Der Instagram-Account der Frau ist inzwischen nicht mehr abrufbar.
Transphobie sitzt tief im Deutschrap
Widerspruch liest man in dem Kommentarspalten kaum, auf Twitter verkommen transphobe Witze über den Rapper zum Meme. Teilweise kommen sie von in der Szene beliebten Accounts mit fast 20.000 Follower*innen. Die Szene selbst bleibt größtenteils still, nur beim Online-Rapmagazin 16bars.de erscheint ein Kommentar , der die Transphobie anprangert.
Ob die Affäre zwischen den beiden stattgefunden hat, ist für die Bewertung völlig egal: Der auf die Gerüchte folgende Shitstorm zeigt eine tiefsitzende Transphobie unter Deutschrap-Fans.
Wir haben mit Sir Mantis über Transphobie im Rap gesprochen. Der 23-Jährige ist Trans-Mann und selber Rapper.
Im Interview erzählt er, welche Diskriminierungserfahrungen er selbst gemacht hat und wieso es so wenige Trans-Personen im Deutschrap gibt.
bento: Was macht es mit dir, die transphoben Kommentare zur angeblichen Affäre von Sinan-G zu lesen?
Sir Mantis: Es macht mich traurig, aber es überrascht mich nicht. Es zeigt sich wieder einmal, dass ein großer Teil der Gesellschaft dem Thema Transidentität mit Hass, Ekel oder Ignoranz begegnet. Mir fällt daran auch erneut auf, dass die Diskriminierung von Trans-Frauen anders funktioniert als die von Trans-Männern. Trans-Frauen erfahren auf der einen Seite Sexismus, gleichzeitig wird ihnen aber abgesprochen, eine Frau zu sein. Am konkreten Fall zeigt sich, dass es als peinlich und als Skandal gilt, wenn herauskommt, dass ein Mann was mit einer Trans-Frau hat. Ab dem Punkt, an dem das rauskommt, steht niemand mehr hinter ihr. Man kann daran ablesen, wie viel eine Trans-Frau in dieser Gesellschaft wert ist, nämlich gar nix.
bento: Kannst du die Unterschiede in der Diskriminierung genauer beschreiben?
Sir Mantis: Neben der beschriebenen Entwertung werden Trans-Frauen oft als böse Männer in Frauenkleidern dämonisiert, die sich in Umkleidekabinen oder Frauentoiletten einschleichen wollen, um Cis-Frauen zu vergewaltigen. Diese Haltung ist auch teilweise unter Cis-Feministinnen verbreitet. All das geht aber komplett am Leben einer Transfrau vorbei.
Bei mir als Trans-Mann funktioniert das anders. Es gibt natürlich männliche Privilegien, für Trans-Männer sind die aber zum Teil sehr fragil. In meinem Fall sind die meist schnell wieder weg, weil meine Trans-Biographie öffentlich ist und ich deshalb von den meisten Leuten nicht als Mann ernstgenommen werde.
bento: Welche Diskriminierungserfahrungen machst du in deiner Rolle als Rapper?
Sir Mantis: Ein großes Thema ist die Stimme. Ich habe schon unter dem Namen Sir Mantis Musik gemacht, als ich noch nicht auf Testosteron war. Es passt nicht in das Weltbild vieler Menschen, wenn sie eine Stimme als weiblich einordnen, der Name und die Identität dahinter aber männlich sind. Aber anstatt dass sie ihre eigene Haltung hinterfragen und zuhören, haben viele dann das Bedürfnis, das Kollektiv Mannsein beschützen zu müssen und mich nicht reinzulassen. Oder fordern von mir, verbale Gewalt gegen Frauen auszuüben, damit sie mich reinlassen.
bento: Wie meinst du das? Wer fordert von dir ein, verbale Gewalt gegen Frauen auszuüben?
Sir Mantis: Wenn ich rumlaufen und sagen würde: "Ey Fotze, ey Bitch, ich bin hier der Mann", würde ich vermutlich eher akzeptiert werden. Es gibt Beispiele dafür, dass Frauen gegen andere Frauen Misogynie ausüben und dafür Props bekommen im Rap. Du kannst immer Mütter ficken sozusagen. (lacht) Damit machst du dich beliebt und deine Identität ist nicht mehr so wichtig.
bento: Glaubst du, das Transphobie im Rapkosmos verbreiteter ist und eher akzeptiert wird als in der Durchschnittsgesellschaft?
Sir Mantis: Ja und nein. Einerseits ist Rap und im speziellen Battlerap sehr offensiv und spielt damit, über Grenzen zu gehen. Gerade das finde ich eigentlich auch geil an Battlerap: Das Potenzial, Reibung zu schaffen und Grenzen infrage zu stellen. Das wird aber problematisch, wenn es dazu benutzt wird, nach unten zu treten, anstatt nach oben gegen ein System, das Menschen überhaupt erst marginalisiert. So wird im Battlerap oft einfach gegen Minderheiten geschossen, dazu noch mit einer sehr expliziten Wortwahl.
Aber die Transphobie an sich hat nichts mit Rap zu tun. Transphob erzogen sind wir erstmal alle, weil wir in einer transphoben Gesellschaft aufgewachsen sind. Aber genauso, wie wir diese Einstellung gelernt haben, können wir auch versuchen, sie zu verlernen.
bento: Glaubst du nicht, dass in Teilen der Rapszene ein Männlichkeitsbild vorherrscht, das Transphobie noch verstärkt?
Sir Mantis: Teilweise schon. Aber wenn ich in eine Würstchenbude gehe und da sitzen zehn weiße Jochens, herrscht dort eine Männlichkeit, die mindestens genauso hart ist wie im Battlerap. Außerdem wird immer mit dem Finger auf die Männlichkeitsbilder der Rapper gezeigt, die aus immigrierten Familien kommen oder BIPoC sind. Dass aber zum Beispiel Die Orsons und Cro mit "Horst und Monika" eines der dümmsten und unsensibelsten Lieder zu Transidentität in ganz Deutschland geschrieben haben, wird gerne vergessen. Sie haben das zwar später in einem anderen Song gut reflektiert, der Doppelstandard wird aber klar: Wo war da der Aufschrei im Deutschrap? Wenn Weiße, die teilweise Akademiker sind, Transphobie vermeintlich klüger aufbereiten als stumpf "Transe" zu sagen, fällt es weniger Menschen auf.
Wenn ich darüber rede, was problematisch an Männlichkeit ist, meine ich nicht Goldketten oder Bodybuilder, sondern die Selbstverständlichkeit, aufgrund des Geschlechts überall vorzukommen. Wenn ich mir den selben Raum nehme wie Cis-Männer, habe ich andere Konsequenzen.
bento: Neben dir gibt es nur sehr wenige Trans-Künstler*innen im Deutschrap. Was muss sich ändern, damit ihnen der Zugang erleichtert wird?
Sir Mantis: Ich erwarte vor allem von Cis-Frauen im Rap mehr Solidarität. Als ich vor zehn Jahren mit Rap angefangen habe, gab es fast keine weiblichen Vorbilder. Inzwischen hat sich das unter anderem Dank Rapperinnen wie Sookee, Lady Bitch Ray und SXTN geändert. Mittlerweile gibt es viele Strukturen, die Frauen die Türen öffnen, aber sich nur auf Cis-Frauen limitieren. Die Kämpfe, die Frauen geführt haben, wurden historisch immer von Trans-Männern und Interpersonen mitgekämpft. Auch im Rap. Ich erwarte deshalb, dass Cis-Frauen diese Strukturen für uns öffnen. Und zum Beispiel sagen, wir machen kein All-Female-Label, sondern sind gegen Binarität und wollen allen aufgrund ihres Geschlechts marginalisierten Menschen eine Plattform bieten.
bento: Was rätst du jungen Trans-Künstler*innen, damit sie einen Zugang finden?
Sir Mantis: Sich zu vernetzen. Sie sollen mich anschreiben. (lacht) Ich kenne viele coole Leute, die wiederum noch mehr coole Leute kennen. Unsere Community ist so klein, wir können diesen Kampf nicht ohne einander gewinnen. Was man als Trans-Person immer braucht, ist ein Selbstwert, weil einem der früh genommen wird. Die gute Nachricht in meinem Fall: Ich konnte ihn mir zurückholen.