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Lena-Mania in Oslo: "Ich dreh durch!"

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Triumph beim Eurovision Song Contest Alle lieben lovely Lena

Sie kam, sang und siegte: Lena Meyer-Landrut hat erst Deutschland verzaubert und jetzt ganz Europa mitgerissen. Es ist der Triumph einer Künstlerin, die sich Schlagertum und Boulevard konsequent verweigerte - und stattdessen mit guter Musik und viel weiblichem Selbstbewusstsein punktete.
Von Jan Feddersen

Lena Meyer-Landrut

ARD

Stefan Raab

Oslo - Wie viele spitzfindige und ahnungslose Kommentare zum Aufstieg dieses eigensinnigen Schneewittchens hat es vor ihrem Auftritt in der Arena vor den Toren Oslos gegeben? All die Mäkeleien über den Hype, dem eine 19-jährige Schülerin aus Hannover gewiss zum Opfer fallen werde. Oder die Kritik an ihrer Inszenierung. Denn - nicht wahr - muss eine Marionette von ProSieben, der , der Musikindustrie, von sein. Sonst ließe es sich ja gar nicht erklären, warum sie es binnen 15 Wochen von einer schulmüden jungen Frau zu einem Popstar der Extraklasse geschafft hat.

Nun hat Lena den Eurovision Song Contest gewonnen. Alle Kritik an ihr und ihrem bei Stefan Raab angesiedelten Umfeld ist verstummt. Sie selbst sagte schon vor dem Auftritt auf der europäischen Bühne: "Irgendwie ist doch alles in der Kultur Inszenierung."

Trotz aller Stichelei waren die meisten Deutschen mit Lena und ihrer Art bereits vor dem Song Contest sehr einverstanden. Jetzt hat sie auch das Publikum in den Eurovisionsländern auf ihrer Seite, das diesen Teenager zur Königin wenigstens einer Popnacht gekürt hat.

Und zwar mit einem satten Vorsprung von 76 Zählern. Neun Mal hat sie am Samstagabend die Höchstwertung zwölf Punkte bekommen. "Twelve points", "douze points" kamen aus Dänemark, Estland, Finnland, Spanien, der Slowakei, Lettland, Norwegen, der Schweiz und Schweden. Die zweitbeste Note - zehn Punkte - gab es von Albanien, der Türkei, Slowenien, Litauen und Belgien. 33 der 39 Teilnehmerländer votierten für Lena.

Ihren Titel "Satellite" hat sie tatsächlich so sauber, so charmant, so mitreißend, und mitunter sogar so magisch aufgeführt, dass alle anderen Akteure neben ihr fast verblassten. Selbst die Gefahr, dass sie gegen eine osteuropäische Übermacht nicht bestehen könnte, erwies sich als falsch: Die favorisierten Chanteusen aus der Ukraine, aus Aserbaidschan, Armenien und Georgien nahmen sich gegenseitig Punkte weg - und nivellierten sich damit gemeinsam ins Mittelfeld der Tabelle.

Gewonnen hat mit Lena vor allem ein Konzept des qualitätsbewussten Castings, das weniger auf Schmutz, Schande und üble Nachrede setzt, sondern auf musikalische Standards. In Allianz mit der ARD schneiderten Stefan Raab und seine Firma Brainpool ein Showformat, das die Kandidaten nicht zu bevormunden suchte. Stattdessen stachelte er ihre Leidenschaften an - musikalische in erster Linie.

Rohdiamant unter vielen Kieselsteinen

Lena Meyer-Landrut hat ihren Mentor Raab dabei gleich "geflasht", wie er behauptet. Sie hat einen Eigensinn, eine gewisse Widerborstigkeit gepflegt, die dem TV-Total-Dirigenten sehr behagte. Er hatte einen Rohdiamanten unter vielen Kieselsteinen entdeckt - und der sollte nicht durch RTL verheizt werden, nicht dem Boulevard ausgesetzt werden. Raab schirmte sie ab - und machte sie durch den Konflikt mit den Medien zu einer hochgradig akzeptierten Figur - gerade auch in jenen Milieus, die mit Pop und Eurovision Song Contest nicht viel zu tun haben wollen.

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Mit Lena hat insofern eine Figur gewonnen, die, so Raab zutreffend, "ein modernes Frauenbild verkörpert". Sie ist das Gegenbild zur sentimentalen, stets auf Gefühligkeit statt Gefühl setzenden Saarländerin Nicole, die 1982 als einzige Deutsche je den Contest gewinnen konnte. Lena ist der Gegenentwurf zur "Ein bisschen Frieden"-Mentalität: Sie will verführen, gefeiert werden, sie möchte auf der Bühne stehen und zugleich keinen Kitsch verkaufen. Sie glaubt an das, was sie für richtig hält - nicht als Masche, sondern als Charakterzug.

Kein Wunder, dass alle Welt von ihrer Natürlichkeit begeistert ist. Dahinter verbirgt sich allerdings eine kompakte Entschlossenheit, ein großes Selbstvertrauen. Deshalb könnte sie niemals ein Geschöpf des Münchner Schlageringenieurs Ralph Siegel sein. Lena, "lovely Lena", wie etliche der Punktedurchsager sie nannten, ist der neue Typus von Pop-Frau. Die Schlager-Tussi zu geben, hat sie nicht nötig.

Keine "Puppet On A String"

Die Eurovisionssiegerin hat nun schwer vorgelegt: Alle sind im Lena-Fieber. In deutschen Großstädten fanden nach dem Sieg Hupkonzerte statt. Es gab Menschenaufläufe in Hannover, Frankfurt am Main oder Hamburg, man prostete sich zu und gratulierte sich - fast so, als hätte die DFB-Auswahl die WM in Südafrika schon vor dem Turnier gewonnen.

Lena Meyer-Landrut selbst sagte nach ihrem Sieg, es sei "alles verrückt, verrückt, verrückt". Sie hat alles so gewollt, sie kann sich nicht beschweren. Wird sie auch nicht. Sie ist keine "Puppet On A String", kein Satellit irgendeiner Figur.

Das ist vielleicht kein Sommermärchen 2010, aber es hat das Potential für eine wunderbare Frühlingserzählung, die viel mit Qualität, Casting und Hunger nach Erfolg zu hat. Lena Meyer-Landrut kann sie von nun an dauerhaft selbst vortragen. Sie würde sagen: "Das ist wunderschönst."

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