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Warpaint: Die Alptraum-Bangles

Foto: Rough Trade

US-Girlband Warpaint Abgebrüht in Hollywood

Etwas Cat Power, ein Hauch The Cure: Alle Vergleiche können die Musik von Warpaint nicht beschreiben. Die Girlband aus Los Angeles zehrt vom künstlerischen Allerlei Hollywoods - und ist drauf und dran, die Indie-Überraschung des Jahres zu werden.

Es ist die zweite Einstellung in dem sehr schönen Videoclip zu "Undertow": Nebeneinander gehen die vier Musikerinnen eine sonnenbeschienene, staubige Straße entlang; wir sehen sie von hinten, und sie sehen aus wie eine richtige Gang. Theresa Wayman, eine der beiden Songwriterinnen von Warpaint, findet, dass der Eindruck nicht täuscht: "Dass wir ganz eng miteinander sind, ist entscheidend", sagt sie: "Ich mache das jetzt schon einige Jahre, und ich habe niemanden getroffen, mit dem ich so gerne Musik machen möchte wie mit diesen dreien."

Warpaint machen Musik, der man anhört, dass diejenigen, die sie machen, einander eng verbunden sind. Die beiden Songwriterinnen, Theresa Wayman und Emily Kokal, lernten sich mit elf Jahren in einem Schulchor in Eugene, Oregon kennen. Die Band gründeten sie in Los Angeles - zusammen mit zwei Schwestern, Jenny Lee Lindberg am Bass und Shannyn Sossamon am Schlagzeug. Letztere ist inzwischen ausgestiegen, um sich auf ihre Schauspielkarriere zu konzentrieren, aber sie hat Regie geführt beim Clip zu "Undertow" , der ersten Single aus dem Debütalbum der Band.

"The Fool" heißt es und wird derzeit zu Recht sehr gefeiert. Der englische "New Musical Express" nannte es das beste Debütalbum des Jahres und nahm die Band sogar auf den Titel. Das Album bleibt über neun Songs hinweg einer verhangenen, irgendwie bedrohlichen, irgendwie bedrückten Stimmung treu - hat sich der Hörer aber von dieser Atmosphäre gefangen nehmen lassen, so wird er mit überraschenden Wendungen, versteckten Anspielungen und Momenten von klarer Schönheit belohnt. Es ist Musik, in die man sich hineinfallen lassen kann - und vielleicht auch muss, um sie zu genießen.

Auch die Vergleiche, die man herbeizitieren kann - und die doch nicht erschöpfend diese zugleich altbekannt und ganz neu klingende Musik beschreiben können - führen in eher introspektive Regionen der Popgeschichte; in das Indie-England der frühen und mittleren achtziger Jahre mit dem schwebenden Effektgesang der Cocteau Twins und den verwaschenen Gitarren von The Cure, in das Underground-Amerika der späten Achtziger und frühen Neunziger abseits der Grunge-Welle mit der verwunschenen Atmosphäre der Throwing Muses und den Zerbrechlichkeiten der frühen Cat Power. Von Ferne wehen in den Harmoniegesängen sogar Anklänge an Fleetwood Mac oder die Bangles heran - allerdings in einer Alptraumversion.

Robuste Rampensäue

Doch die persönliche Begegnung mit den vier Musikerinnen von Warpaint, sowohl im Interview als auch beim Konzert, eröffnet eine Reihe von überraschenden Widersprüchlichkeiten. Live kommt ihre Musik erheblich robuster daher als auf der Platte. Die neue Schlagzeugerin Stella Mozgawa haut ganz ordentlich rein und gönnt sich einmal sogar ein Drumsolo, das seltsamerweise gar nicht unpassend wirkt. Und Bassistin Jenny Lee Lindberg, die in Latzhose und mit kecker Kurzhaarfrisur die Bühnenmitte einnimmt, bringt einen unerwarteten Groove in die Songs.

Emily Kokals Ansagen sind ebenso ausgeglichen und freundlich wie es am Nachmittag vor dem Konzert auch ihre Co-Songwriterin Theresa Wayman und Schlagzeugerin Stella Mozgawa im Interview waren. Plötzlich ergibt es Sinn, dass diese Musikerinnen seit Jahren am Rande der Filmschaffenden-Szene von Los Angeles herumschwirren: Heath Ledger soll ein großer Fan gewesen sein und vorgeschlagen haben, gemeinsam ein Video zu drehen.

Die frühere Schlagzeugerin der Band, Shannyn Sossamon, ist heute eine etablierte Film- und Fernsehschauspielerin ("Wristcutters", "Moonlight"). Theresa Wayman spielte ebenfalls schon in Filmen mit, darunter die Bret-Easton-Ellis-Verfilmung "The Rules Of Attraction" und jüngst an der Seite von Tim Roth und Steve Buscemi in der Independent-Produktion "Pete Smalls Is Dead"; sie tourte auch schon mit dem Filmemacher und Musiker Vincent Gallo. Emily Kokal wiederum war mit dem langjährigen Red-Hot-Chili-Peppers-Gitarristen John Frusciante liiert, der auch die Debüt-EP der Band abmischte.

Abgebrüht in Hollywood

"Ich würde ja vielleicht ganz gerne einen Zimmermann kennenlernen", sagt Stella Mozgawa, "aber in unserer Gegend von Los Angeles sind nun mal die meisten Leute künstlerisch tätig." Theresa Wayman fügt hinzu: "Neulich wollte ich einen Kaffee trinken gehen, aber in dem Café wurde gerade für einen neuen 'Star Trek'-Film gedreht." Nach einer gewissen Zeit werde man abgebrüht gegenüber solchen Momenten, sagt Mozgawa. Und Wayman betont: "Wir kennen so viele großartige Leute - manche davon sind berühmt, manche sind es nicht, sollten es aber sein. Doch es kommt darauf an, wie man mit ihnen umgehen kann, nicht darauf, was sie in der weiten Welt der Prominenz darstellen."

Die ganz normale Welt des Ruhms eben, im Echo-Park-Viertel von Los Angeles - in der auch Warpaint seit dem aktuellen Kritikerjubel keine Nobodys mehr sind. Wieder versuchen die Musikerinnen, ganz gelassen zu bleiben: "Es ist schon ungewohnt, dass die Meinungen anderer Leute durch die Blase dringen, die ich um mich herum aufgebaut habe - gerade jetzt auf Tour", sagt Theresa Wayman: "Aber ich versuche mich darauf zu konzentrieren, welche Gefühle ich jeden Abend mit meiner Musik ausdrücken möchte."

Und so sind es diese Gefühle, diese Stimmungen, die das Publikum in den Bann ziehen - manchmal so sehr, dass der Band auf der Bühne das Publikum etwas zu gefasst erscheint. Dabei hören sie vielleicht einfach nur konzentriert zu - um nichts zu verpassen von Warpaint, der Band, die in diesem Jahr ein ähnlicher Überraschungshit werden könnte wie es im vergangenen The XX waren.


Warpaint live: 11.11. Frankfurt a.M., Brotfabrik; 12.11. Rolling Stone Weekender, Weißenhäuser Strand.

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