
Jubiläumsbuch "Liebestod": Auf der Couch mit Verdi und Wagner
Wagner und Verdi Der Tod kommt zweimal
Wenn Holger Noltze über sein neues Buch spricht, lächelt er oft. Wie viel Spaß er selbst an seinen Texten hat, das spürte man bei einem Leseabend in der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. Etwas resolutes Entertainment darf sein: Wagner und Verdi, ihre so unterschiedliche Kunst und lebhafte Konkurrenz, liefern opulentes Material für gute Schreiberlaune. Umso mehr, da auch beide Künstler nicht gerade an mangelndem Selbstwertgefühl litten.
Dabei geht es in Noltzes immerhin rund 400 Seiten starken Werk um den "Liebestod" (Hoffmann und Campe), ein Thema, das in Literatur und Musik kaum in den komischen Genres verarbeitet wird. Noltzes Thema jedoch bezieht seine Attraktivität nicht aus der x-ten Darstellung bekannter Bühnenfiguren, sondern anlässlich des laufenden, von allen Medien opulent begleiteten Jubiläumsjahres vom Verhältnis zweier Künstler, die sich der Historie nach zwar nie begegnet sein sollen, aber dennoch immer wieder aufeinander reagierten. Bühne frei für Verdi und Wagner: Da geht noch einiges.
Die Künstler auf der Couch
Der Bühnentod gehörte eng zu ihrem künstlerischen Schaffen, und über dieses vielfältige Sterben schreibt Noltze, Jahrgang 1960, in seinem Buch sehr anschaulich. Wenn auch der Autor im Untertitel mit "Wagner, Verdi, wir" etwas arg ankumpelnd den Leser umarmt, so bewahrt er doch zu seinen Sujets psychoanalytische Distanz. Wagner und Verdi auf der Couch: Bei Noltze liegen sie richtig, denn die Ergebnisse seiner Betrachtungen können Kenner wie Neulinge gleichsam befriedigen. Seine Faktensicherheit von den Opernanfängen bis zur aktuellen Kulturlandschaft kommt ohne betuliche Wissenschaftshuberei aus. Kein Wunder, Holger Noltze, unter anderem Verfasser des Buchs "Die Leichtigkeitslüge", arbeitet auch als Rundfunk- und Zeitungsjournalist ("FAZ", "taz", "WAZ"), da weiß er, wie man ungeduldige Leser bei der Stange hält.
Bei demoskopisch messbarem Publikumserfolg hat übrigens Verdi regelmäßig die Nase vorn: "La Traviata" belegte bei Umfragen nach der "schönsten Oper" in den vergangenen Jahren immer wieder Platz eins. Das Wagner-Opus "Lohengrin" folgt knapp dahinter. Zwei Werke, in denen der Tod aus mehr oder weniger Liebe eine zentrale Rolle spielt. Noltze widmet beiden breiten Raum, bettet die Betrachtungen in historische Kontexte, Beschreibung von Produktionsbedingungen und bindet zeitgenössische Reaktionen ein.
Ein Meisterstück an Verdichtung
Das hört sich nach Basishandwerk an, doch die anregend federnde Sprache des Autors macht den Unterschied. Nie zieht Noltze sein Thema auf einen unnötig kleinen Nenner herunter, er holt seinen Leser nicht beim Wunschkonzert ab, setzt durchaus Grundwissen voraus, doch gerade deshalb fühlt man sich bei ihm gut aufgehoben. Das sind keine Texte für Opernanfänger, aber stets sind sie offen und beredt. Ein wenig erinnert sein Stil an den Peter Wapnewskis, dessen Darstellungen speziell von Wagners Werk mit kundiger Lakonik überzeugte. Anscheinend fühlt sich Noltze dem Verdi oft näher als Wagner, denn ein Satz zur "Traviata" lautet: "Es ist das ganz große Gefühl, und Verdi braucht dafür nur einen kurzen Anlauf. Überhaupt braucht er, anders als Wagner, nur wenig Zeit (…) 'La Traviata' ist ein Meisterstück an Verdichtung." Der Eindruck von Noltzes Texten ist ähnlich: Er kommt stets flink auf den Punkt, ohne dabei auf seine Lust an der Formulierung, an dem attraktiven Parlando zu verzichten.
Eine Version der Verdichtung in Verdis Zugriff am Beispiel der "Traviata" kann man derzeit in der taufrischen Hamburger Inszenierung der Oper erleben, die der junge deutsche Regisseur Johannes Erath auf die Bühne der Staatsoper brachte. Ganz aus der Sicht der Titelheldin inszeniert, konzentriert er die Handlung: weg von Salon-Pomp und dekorativer Leidensromantik, hin zu subjektiv-psychologisch durchgezeichnetem Erleben: Die Essenz eines Lebens, nach Noltze eine Darreichungsform von Verdi pur. So anschaulich und nachvollziehbar wie viele der Darstellungen in "Liebestod", daher rüsten die Texte den Leser für manches, was er in diesem Jubiläumsjahr über sich ergehen lassen muss. Nicht alles kann lieblich, einiges davon wird tödlich sein.