Violinkonzert Elgar währt am längsten

Edward Elgar: Monument an Herausforderungen
Natürlich war der sehr produktive englische Komponist Edward Elgar (1857-1934) kein "One Hit Wonder", doch sein Name ist bis heute gleichbedeutend mit der patriotischen Weihe der "Pomp And Circumstance Marches". Der Zyklus tönt unwiderstehlich britisch und gilt auf den Inseln fast als heiliges Gut; bei der Live-Übertragung der "Last Night Of The Proms" findet sich alljährlich ganz Britannien im Wiegeschritt von "Land of Hope And Glory" geeint.
Elgar ist England, und doch beherrschte er erheblich mehr als nur patriotische Klänge. Zum Beispiel schrieb er ein ebenso monströses wie elegantes Violinkonzert, das nicht nur zu den technisch anspruchsvollsten seiner Gattung zählt, sondern mit fast einer Stunde Spieldauer auch zu den längsten.
Verhaltenes Monster
An Johannes Brahms geschult, schwingt sich Elgars opus 61 in h-moll über grazile Kantilenen, abwechslungsreiche Rhythmen und dynamische Gegensätze zu einem Monument an Herausforderungen auf, das manche Virtuosen abschreckt. Zudem fordert Elgars Konzert trotz aller Geigen-Brillanz viel Teamwork und punktgenaues Zusammenspiel von Solist und Orchester. Allein die Kadenz im letzten Satz ist so ein verhaltenes Monster, weniger wegen der anspruchsvollen Effekte als durch subtile Strukturen - Elgar baute seine Konzerte eigenwillig, er zertrümmerte kaum traditionelle Harmoniestrukturen.
Elgar wusste sehr gut, was er mit diesem Konzert wollte und tat, denn er selbst hatte eine zeitlang Geige studiert. Der populäre Violinvirtuose Fritz Kreisler hatte ihn zu der Komposition angeregt - und wollte sie gerne uraufführen. Dies sorgte nicht nur für eine gediegene Arbeit Elgars, sondern auch für einen Erfolg bei der Londoner Premiere im Jahr 1910.
Originalklang mit Guarneri-Geige
Falls es am kraftvollen Klang der Geige gelegen hat: Den kann man nun noch einmal erfahren. Der 1975 in Dänemark geborene Violinvirtuose Nikolaj Znaider spielt Elgars Konzert (RCA) auf eben jenem originalen Guarneri-Instrument von 1741 ein, das Fritz Kreisler bei der Uraufführung zur Verfügung stand. Auch der Dirigent dieser Aufnahmen dürfte für dieses Werk kompetent wie kein zweiter sein: Sir Colin Davis, Urgestein britischer Konzertkultur, leitet die Staatskapelle Dresden mit Akribie, ganz so, wie man sich Elgars Breitwand-Romantik von einem englischen Pultmeister vorstellt. Uneitel, aber technisch bravourös.
Die exakte Kenntnis des Brahms-Konzertes für Violine - erwünschte Vorbedingung für die Interpretation von Elgars opus 10 - hatte Znaider schon 2009 bewiesen: gemeinsam mit Valery Gergiev und den perfekt aufgelegten Wiener Philharmonikern spielte er es sauber ein, auf der CD nett flankiert vom Korngold-Violinkonzert. Dessen plakative Harmonien und schwelgerischer Filmmusik-Sound wirkten in dieser Paarung wie eine überdrehte und entnebelte Weiterführung von Brahms' nordisch-spröder Sehnsucht. Da kommt Elgars gemessen-britische Opulenz als Vergleich gerade recht.
Obendrein gelingt es Znaider, Elgars Geigen-Opus-Magnum in seiner formalen Eigenständigkeit darzustellen - und zwar über die ganze Konzert-Distanz: Den Spaß daran hört man in jeder Minute dieses Halbmarathons an Violinseligkeit.
CD Edward Elgar, Violinkonzert h-moll, op. 61 / Nikolaj Znaider (Violine), Staatskapelle Dresden (Sir Colin Davis, Ltg.) RCA