Zum Tod von Heartbreakers-Gitarrist Walter Lure Ekstase und Absturz

Zerschlissene Nadelstreifenanzüge und Hymnen über Heroin: An der Seite von Johnny Thunders feierte Walter Lure die ambivalente, anarchische Kraft des Rock'n'Roll. Nun ist der Ur-Punk mit 71 Jahren gestorben.
Walter Lure (l.) mit Johnny Thunders bei einem Auftritt in London 1977

Walter Lure (l.) mit Johnny Thunders bei einem Auftritt in London 1977

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Erica Echenberg / Redferns / Getty Images

Mit seinen flamboyanten Klamotten stand er seinem Chef in nichts nach. Walter Lure trug bei seinen Auftritten gern breite, bunte Krawatten unter zerschlissenen Nadelstreifenanzügen und zerbeulte Melonenhüte auf den gefärbten Haaren. Doch während Johnny Thunders, der Star der The Heartbreakers, mit seinen zerschnittenen Zirkusdirektoren-Fracks über die Bühne oder durch das Publikum torkelte und marodierte, hielt Lure stoisch unter seiner Melone die Stellung und den Takt.

Menschen, die damals bei ihren Konzerten in New York dabei waren, erzählen immer wieder, dass die Heartbreakers Mitte der Siebziger die wildeste Rock'n'Roll-Band der Welt gewesen seien. Etliche Videos bei YouTube legen Zeugnis davon ab. Doch der Absturz war bei ihnen in der Ekstase immer schon eingepreist.

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Lure brachte dieses Glücksgefälle in einem seiner Songs kompromisslos auf den Punkt: Von ihm stammt die furiose Heroin-Hymne "Too Much Junkie Business", in der er Chuck Berrys "Too Much Monkey Business" und Passagen aus Bo Diddleys "Pills" zu einem eigenen Song kombinierte.

Es geht darin um den Alltag des Spritzensetzens, um das Asoziale des Junkie-Lebens, um den kurzen Moment des Rausches, dem das Grauen und der Ekel folgt. Und wie sich daraus eine Musikerkarriere machen lässt: "Wrap it up, call it art, now your record makes the chart", formulierte es Lure in dem Song. Pack es ein, nenn es Kunst, und dann stürmt deine Platte die Hitparade.

Vorbild für die Sex Pistols

Die Heartbreakers hatten sich 1975 gegründet, Johnny Thunders war vorher bei den New York Dolls gewesen, wo er Junkrock mit queeren Anklängen spielte. Die Heartbreakers galten anschließend als eines der Epizentren des frühen Punk. Der britische Modemacher und Musikimpresario Malcolm McLaren, der zuvor kurz glücklos die Dolls gemanagt hatte, ließ sich schließlich vom eleganten Lumpenlook und vom reduzierten Rock'n'Roll der Heartbreakers inspirieren, um später die Sex Pistols als ins fast Satirische verzerrte Spiegelbild von ihnen in London nachzubauen. So wurde Punk zur globalen Jugendbewegung.

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In New York war Punk immer eine exklusive, ernste Veranstaltung von eingeschworenen Rock'n'Roll-Junkies und freisinnigen Künstlern gewesen. Die Kommerzialisierung und Infantilisierung durch die britischen Musikkonzerne und Medien betrachteten Lure und Thunders mit gemischten Gefühlen. Gemeinsam schrieben sie den Song "London Boys", in dem sie sich über den Boom und den Ausverkauf des Stils mokierten, den sie im New Yorker Underground mitentwickelt hatten.

Battle-Punk zwischen New York und London

Die Band lieferte sich bald einen öffentlichen Schlagabtausch mit den Sex Pistols und nahm so im gewissen Sinne den Battle-Rap späterer Zeiten vorweg. In diesem Clash zeigten sich auch die Unterschiede zwischen London und New York: Hier die Proleten der Sex Pistols, denen nichts anderes einfiel, als die Gegner "Faggots", also Schwule, zu nennen; dort die Heartbreakers aus der Lumpen-Bohème von Manhattans Lower Eastside, die bei aller Breitbeinigkeit bereits um die Schönheit fluider Geschlechterentwürfe wussten und sich das "Faggot" genüsslich anzogen.

"London Boys" erschien 1978 auf dem ersten Soloalbum von Johnny Thunders. Da hatte sich die Band gerade aufgelöst - um sich dann immer mal wieder kurzzeitig zu reformieren. Ein erratischer Kurs, der den großen Erfolg der Heartbreakers verhinderte. Wenn dieser denn je gewünscht gewesen ist.

Lure bei einem Konzert im Jahr 2017

Lure bei einem Konzert im Jahr 2017

Foto: Raymond Ahner / The Photo Access / imago images

Lure spielte immer mal wieder an der Seite von Thunders, hatte aber auch Gastauftritte bei den Ramones und startete mit The Waldos schließlich sein eigenes Projekt. Obwohl er The Waldos schon Ende der Siebzigerjahre gegründet hatte, brachte er erst 2018, 40 Jahre später, deren erstes Album heraus. Vielleicht auch deshalb, weil Geld später offensichtlich kein Problem mehr für Lure war: Nach seiner offiziellen Punkrock-Karriere soll er als Börsenmakler an der Wall Street gearbeitet haben. Die Nadelstreifenanzüge dazu besaß er ja schon; er musste sie nur stopfen und bügeln.

Johnny Thunders starb 1991 an den Folgen seiner Heroinabhängigkeit, die übrigen langjährigen Mitglieder der Heartbreakers sind ebenfalls schon länger tot. Wie unter anderem das US-Magazin "Spin"  berichtet, starb nun mit Walter "Waldo" Lure auch der letzte zentrale Musiker des legendären Punkrock-Ensembles. Schon am Samstag erlag er den Folgen einer Krebserkrankung an Lunge und Leber. Er wurde 71 Jahre alt.

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