
Neues Westbam-Album: Elder Statesman der DJ-Kultur
"You Need The Drugs" Neues Westbam-Video auf SPIEGEL ONLINE
Am Anfang klaut einer ein Taxi, Westberlin, irgendwann in den frühen achtziger Jahren. Es beginnt eine Fahrt durch die Nacht, durch die Westberliner Subkultur, über die in diesen Tagen so viel geschrieben wird, seit sich David Bowie in seiner aktuellen Comeback-Single an dieses Frontstadt-Berlin erinnerte, an die Diskothek "Dschungel on Nürnberger Straße", an diesen Mann, der verloren ging "near KaDeWe".
Das war das Westberlin der späten siebziger Jahre. Westbam spult nun in dem Video zu "You Need The Drugs" ein paar Jahre vor, wir sind in den frühen Achtzigern, es geht im Grunde um dieselbe Subkultur, nur ist sie inzwischen noch exaltierter und verkommener.
Es war in jenem Frühachtziger-Berlin, dass Westbam, damals 17-jährig als Maximilian Lenz aus Münster zugezogen, begonnen hat, Platten nicht nur hintereinander zu spielen, sondern ineinander zu mischen. Er begründete damit zumindest für Deutschland die heute allgegenwärtige DJ-Kultur, aus der später Techno hervorging, die größte Jugendbewegung des 20. Jahrhunderts. Aber weil das nun alles auch schon wieder unvorstellbare 30 Jahre her ist, und Westbam inzwischen 48 und so etwas wie der Elder Statesman der internationalen DJ-Kultur, hat er sich eine Art Jubiläumsalbum gegönnt: "Götterstraße".
Er hat 13 elektronische Tracks geschrieben und sich für sie eine Liste an Gastsängern eingeladen, die wahrscheinlich selbst denjenigen verblüfft, der Westbam schon immer alles zugetraut hat. Die Rapper Kanye West und Lil Wayne sind dabei, aber auch Iggy Pop, Bernard Sumner von New Order, Brian Molko von Placebo oder Hugh Cornwell von den Stranglers. Und eben Richard Butler, Sänger der Achtziger-New-Wave-Band Psychedelic Furs, der den Gesang auf "You Need The Drugs" übernommen hat.
Der Song vereint zwei von jeher in Westbams DJ-Seele widerstreitenden Seiten: seinen Hang zur hymnisch großen Geste mit dem Willen zur reduzierenden Ordnung. Das ist klassisches Westbamtum, und so klingt der Track irgendwie, als sei er schon seit Wochen in England auf Nummer eins.
Über einen reduzierten Beat und Akkorde, von denen Westbam gesagt haben soll, dass sie von Georg Friedrich Händel inspiriert seien, erzählt Butler melancholisch intonierend seine Geschichte von einem Paar am Ende der Nacht, am Sonntagmorgen, an jenem gefürchteten Moment, in dem nicht mehr klar ist, wo nun wie abgebogen werden muss, damit es weitergehen kann. "You need the drugs" lautet die Antwort, dann kann es weitergehen, und ob man das nun als ein Statement für Drogen verstehen will oder gegen sie (wie es die Plattenfirma Universal glauben machen will), ist vielleicht gar nicht so erheblich.
Das Video verschafft für viereinhalb Minuten eine Ahnung davon, wie diese Nacht verlaufen sein könnte. Es handelt sich ausschließlich um Originalaufnahmen. Westbam hat sie aus einem Dokumentarfilm über den Westberliner Underground, der nächstes Jahr auf der Berlinale Premiere haben soll. Es macht Freude, in diesen Aufnahmen Menschen zu entdecken, die damals unbekannt waren, die man heute jedoch kennt, dreißig Jahre jünger, selbstvergessen feiernd, der Kamera meist verächtlich abgewandt (verblüffend anders als heute, wo an Instagram und Facebook geschulten Menschen jede Kamera sogleich umarmen).
Man sieht den jungen Westbam, natürlich, hinter den Plattenspielern, der damals -unvorstellbar - noch Haare auf dem Kopf trug; da ist sein Freund Fetisch, heute weltweit unter dem Namen Terranova als Produzent für moderne Clubmusik bekannt; da ist Blixa Bargeld von den Einstürzenden Neubauten, der Urvater der Szene, oder Marc Brandenburg, dessen Kunst heute im New Yorker Museum of Modern Art hängt, und natürlich der junge Ben Becker, der, damals offenbar genauso wie heute war und in die Kamera rotzt.
Das Ende der Nacht, ob Drogen oder keine, ob wirklich geklautes Taxi oder nicht, es wird irgendwann kommen.