
Yello-Sänger Dieter Meier "Ich bin Chaos-Experte"
SPIEGEL ONLINE: Ihr Vater war erfolgreicher Bankier. Wäre Ihr Leben anders verlaufen, wenn Sie in eine arme Familie hineingeboren worden wären?
Meier: Vielleicht wäre ich ein völlig unfähiger und hochstaplerischer Unternehmer geworden - wer weiß? Der vermeintliche Vorteil einer finanziellen Sicherheit ist eine unglaubliche Hemmung: Man weiß, dass man sein Leben lang eigentlich auch nichts machen kann. Das heißt, wenn man etwas macht, dann muss es auch etwas Besonderes sein.
SPIEGEL ONLINE: Sie selbst waren professioneller Pokerspieler. Erkennen Sie in der Finanzkrise die typische Spielermentalität wieder?
Meier: Ich glaube, es ist systemimmanent, dass Gelegenheiten immer wahrgenommen werden - und seien sie noch so verrückt. Weil man 20 Jahre lang eine ungebrochene Hausse hatte, wurde man tollkühn. Diese sogenannten Banker - es sind in Wirklichkeit ja Bankangestellte - die jonglieren ja mit other people's money herum. Die haben gar keine Zeiten erlebt, in denen es anders war. Wir haben ihn uns geschaffen, diesen Kapitalismus, aber man soll nie glauben, man hätte ihn im Griff. Diese Krise war programmiert, weil die Leute Erfolgsrezepten nachrennen, die sie nicht verstehen.
SPIEGEL ONLINE: Die Musikindustrie steckt in einer anhaltenden Krise. Ihre neue CD "Touch Yello" aber erscheint ganz herkömmlich bei einer Plattenfirma.
Meier: Neu ist, dass wir zu dieser CD ein virtuelles Konzert gegeben haben: bombastische Auftritte, die sich dann aber immer wieder über sich selbst lustig machen. Das erscheint jetzt auch in der Deluxe-Edition des Albums als Bonus-DVD.
SPIEGEL ONLINE: Aber haben Sie sich nicht, wie derzeit viele Künstler, überlegt, Ihre Musik grundsätzlich anders zu vermarkten?
Meier: Nein. Ich glaube nicht, dass die Plattenindustrie ausgedient hat. Man muss hier unterscheiden zwischen dem Content und der Frage, wie der Content transportiert wird. Ursprünglich wurde der Content nur von Livemusikern transportiert, dann von Schellack, von Vinyl, von CD und jetzt eben vom Internet. Aber immer hat es Manager gegeben, Plattenfirmen, Leute, die den Musiker beschützt haben, gefördert haben, den richtigen Produzenten ausgewählt haben - weil Musiker das brauchen. Sobald sich diese Transportgeschichte erledigt hat und man vom Internet-Stream nicht mehr runterlädt, sondern auf einem Telefon B83 drückt und dann Trio hört oder Elvis Presley, wird die Plattenfirma auch wieder ihr Ertragsmodell gefunden haben, und es wird sie weiter geben. Schlicht und einfach, weil man sie braucht.
SPIEGEL ONLINE: Wie arbeiten Sie eigentlich bei Yello? Meldet sich ihr Mitmusiker Blank bei Ihnen und sagt: "Dieter, das Album ist fertig. Sing was drauf"?
Meier: Nein, der Boris arbeitet ja wie ein Maler in seinem Atelier, der 50 Bilder begonnen hat und mal hier und mal dort ein Bild herausnimmt und etwas dran macht, wenn er Lust hat. So treibt er gleichzeitig viele Stücke voran. In den verschiedenen Stadien höre ich die, und wenn mir was dazu einfällt, mache ich dazu einen Text.
SPIEGEL ONLINE: Zwischen dem letzten Yello-Album und Ihrer neuen Platte sind sechs Jahre vergangen. Wie genau achten Sie darauf, in welches Umfeld ihre Musik hineinfällt? Beobachten Sie die zeitgenössische Popwelt?
Meier: Ja, wir hören schon viel. Aber unsere Musik ist sozusagen unser zweites Gesicht, das haben wir uns ja nicht gewählt. Wenn man als Dilettant beginnt, Musik zu machen, wie Boris und ich, dann entwickelt man einen individuellen Stil, weil man eben nichts kann. Deswegen stellt sich die Frage nicht, ob wir uns an Marktsituationen angleichen sollen oder nicht - weil wir es gar nicht könnten.
SPIEGEL ONLINE: Und trotzdem gab es immer wieder Phasen und Szenen, in denen Yello sehr im Trend lagen.
Meier: Das sind eben unglaubliche Zufälle, wenn etwas, was man macht, sich zufällig überschneidet mit dem Zeitgeist.
SPIEGEL ONLINE: Wie in den achtziger Jahren. In einer Arte-Dokumentation über den Pop jener Zeit schwärmten Sie besonders von der Band Trio, für die sie damals sogar ein Musikvideo drehten. Obwohl sie von unterschiedlichen musikalischen Polen her kamen, ähneln sich die künstlerischen Ausdrucksformen, wenn man etwa die Lautmalereien von Trios "Da Da Da" und ihrem Hit "Bostich" hört.
Meier: Worin wir uns vor allem gleichen, ist die Provinzialität. Yello ist ja eine eminent provinzielle Band, wie Trio das auch war. Eben dadurch hatten wir eine Identität. Verrückterweise wollten Trio - oder zumindest ein Teil der Band - später dann so international sein und einen anderen Sound haben.
SPIEGEL ONLINE: Aus der Provinz kommt fast jeder. Aber viele sehnen sich danach, dort wegzukommen. Ist dieser Wunsch künstlerisch ein Fehler?
Meier: Es gibt ja ein physisches Weggehen, und es gibt ein geistiges Weggehen. Ich finde, man hat seine Wurzeln dort, wo Kindheit war, wo Erwachsenwerden war, und die prägen einen doch ganz stark. Jede Form des Weggehens, bei der man die Schnur durchschneidet und sagt: Jetzt bin ich jemand anders, kann eigentlich gar nicht gelingen. Der Schweizer Schriftsteller Paul Nizon hat den "Diskurs in der Enge" der Schweiz verflucht. Ist totaler Blödsinn. Gotthelf hat wunderbare Sachen geschrieben in der Enge, Dürrenmatt war im guten Sinne des Wortes sehr provinziell. Früher haben wir Jungfilmmacher immer gesagt: Alle Macht der Super-Acht! Heute sage ich: Alle Macht der Provinzialität! Es gibt nichts Lächerlicheres, als ein internationaler Künstler sein zu wollen.
SPIEGEL ONLINE: Hat es mit Heimatstolz zu tun, dass die wichtigste Gastsängerin auf Ihrem neuen Album die Schweizerin Heidi Happy ist?
Meier: Nein, die könnte auch Dänin sein wie Stina Nordenstam oder sie könnte Deutsche sein oder was auch immer. Der Trompeter Till Brönner, unser anderer Gast auf dem Album, ist ja zufällig Deutscher. Nein, wir haben Leute gesucht, die in der Lage sind, eigenständig in die Klangbilder vom Boris Blank hinein ihren Song zu schreiben.
SPIEGEL ONLINE: Auf dem neuen Yello-Album singen Sie einen Song namens "The Expert". Für was sind Sie eigentlich Experte?
Meier: Ich bin Chaos-Experte. Ich lebe in einer Form von Chaos und Anarchie - nicht im Bombenleger-Sinn des Wortes natürlich. Aber ich bin wie ein chinesischer Tellerjongleur, der immer wieder an den Stäben rüttelt, um viele Dinge gleichzeitig auf der Umlaufbahn zu halten.
Das Interview führte Felix Bayer