Zum Tod von Amy Winehouse Schmerz, Sucht und Soul

Zum Tod von Amy Winehouse: Schmerz, Sucht und Soul
Foto: ANDREA DE SILVA/ REUTERSSchon der Drink, der ihren Namen trug, war gefährlich. "Amy's Fave" hieß der milchig weiße Höllentrunk, gemixt nach Vorgaben der Namensgeberin aus einer Handvoll hochprozentiger Zutaten zu einem Monster von Cocktail. Wie sehr der in die Blutbahnen rauschte, fanden die Medienvertreter heraus, denen "Amy's Fave" vor gut vier Jahren in der Kellerbar des Clubs Kalkscheune in Berlin Mitte offeriert wurde.
Geladen hatte die Plattenfirma von Amy Winehouse, um mit einem Konzert und anschließendem Journalisten-Umtrunk die Deutschland-Veröffentlichung des Albums "Back to Black" zu feiern. Wer sich an jenem Abend nur ein Glas von "Amy's Fave" genehmigte, sah die Welt zunehmend schummrig. Und nicht wenige staunten, wie die Hauptdarstellerin der Veranstaltung scheinbar unbeeindruckt am Tresen ein Glas nach dem anderen herunterstürzte.
Die für den nächsten Tag angesetzten Interviews wurden dann am Morgen doch kurzfristig abgeblasen. Die Künstlerin sei unpässlich, hieß es. Was blieb, war eine Ahnung vom Drama der Amy Winehouse. Von einem Menschen, dem man dabei zuschauen konnte, wie er mit Hochgeschwindigkeit in den Exitus rast.
Das dem Besäufnis vorangegangene, mittelprächtige Winehouse-Konzert in der Kalkscheune landete später auf der Bonus-CD irgendeiner "Deluxe"-Ausgabe von "Back To Black". Ein Beleg dafür, wie die Industrie jeden nur halbwegs gelungenen Auftritt, jeden wachen Moment einer gefährdeten Bestseller-Lieferantin verwertete.
Neuzugang im "Club 27"
Am Samstag endete die Karriere der Amy Winehouse, die 27-Jährige wurde tot in ihrer Wohnung im Londoner Stadtteil Camden Town gefunden und reiht sich so in die Galerie in diesem Alter abgetretener Musiker ein, die schnippische Menschen den "Club 27" tauften. Zu den prominenteren Mitgliedern dieser tragischen Gesellschaft gehören popkulturelle Helden wie Kurt Cobain, Jim Morrisson, Jimi Hendrix, Brian Jones und Janis Joplin. Alles Künstler, deren großes Talent von mindestens so gewaltigen Dämonen überschattet wurde.

Amy Winehouse: Tod einer Diva
Auch Amy Winehouse war nicht nur mit einer spektakulären Stimme und der Gabe ebenso großartige Songs zu zaubern gesegnet, sondern ebenso belastet mit einem Hang zur ausufernden Selbstzerstörung. Ein Drama, das sie selber bewusst wahrnahm, denn selbst aus dem Scheitern ihrer Versuche, vom Komasaufen wegzukommen, dichtete die junge Frau noch einen Pop-Bestseller namens "Rehab" mit dem mittlerweile tragisch anmuten Refrain: "They tried to make me go to rehab, I said, 'No, No, No'."
Geboren und aufgewachsen in North Finchley im Norden Londons, fiel Amy Winehouse früh durch Ambition und Talent auf. Schon mit acht landete sie in einer Theaterschule für Begabte und besuchte später diverse ähnliche Institute. Ebenso auffällig wurde schnell ihr Hang, aus der Reihe zu tanzen. So flog sie von der renommierten Theaterschule, weil sie dort zu wenig Einsatz zeigte. Mit 16 entdeckte sie ihre Begeisterung für Tattoos und begann, regelmäßig Cannabis zu rauchen. Ihre früh geschiedenen Eltern, ein Taxifahrer und eine Apothekerin, kapitulierten schnell. Über ihre Erziehung gab Winehouse mal zu Protokoll: "Ich tat, was ich wollte, das war eben so!"
Furioses Debüt mit "Frank", Weltruhm mit "Back to Black"
Erste Songs schrieb sie, nachdem sie mit 13 eine Gitarre in die Hand bekam, bald sang sie in allerlei Bands. Einer ihrer Freunde leitete eines Tages eine Kassette mit ihrem Gesang an eine große Plattenfirma weiter, wo man ihr umgehend einen Vertrag offerierte. Auch der Super-Manager Simon Fuller wurde auf ihr Talent aufmerksam und nahm sie flugs unter seine Fittiche. Amy Winehouse war gerade 20, als ihr Debütalbum "Frank" erschien, auf dem sie mit ihrer außergewöhnlichen Stimme und raffinierten Jazz-Pop-Songs viele Kritiker überzeugen konnte.
Doch abgesehen von viel Lob sorgte sie damals kaum für Aufsehen. Aber dann kreuzte der Videoclip-Zuarbeiter Blake Fielder-Civil ihren Weg. Winehouse verliebte sich unendlich und litt noch viel mehr, nachdem die Beziehung nach einigen Monaten wieder vorbei war. "Ich wollte tot sein", hat sie über diese Phase ihres Lebens gesagt. Stattdessen schrieb sie sich ihren Schmerz von der Seele in Songs mit Titeln wie "Love Is a Loosing Game", "Tears Dry on Their Own", "Wake Up Alone" oder dem besonders düsteren "Back to Black", dem Titelsong ihres spektakulären zweiten Albums.
Der Produzent Mark Ronson veredelte die Klagelieder von Winehouse mit einem knisternden Retro-Soul-Sound, der das Werk zu einem Multimillionen-Bestseller machte und die Londonerin ins globale Rampenlicht katapultierte. Auch wenn die Eskapaden, mit denen die Künstlerin danach von sich reden machte, ihr künstlerisches Talent manchmal in den Hintergrund drängten: "Back to Black" ist einer der großen Klassiker der jüngeren Popgeschichte. Weil Winehouse es verstand, ihren Schmerz in Melodien und Worte zu kleiden, gelang ihr ein Meisterwerk über zertrümmerte Beziehungen so wie Sinatras "No One Cares" oder Dylans "Blood on the Tracks".
Buhrufe in Dubai und Belgrad
Der Preis war, dass ihr Privatleben zunehmend aus den Fugen geriet. Für gefährliche Turbulenzen sorgten ihre immer wieder auflodernde Beziehung zu Fielder-Civil plus Unmengen von Alkohol und Gott weiß was für Substanzen. Auch äußerlich verwandelte sie sich in ein Schattenwesen: Die Tattoos nahmen zu, ihr Körpergewicht drastisch ab.
Bedrohlich wurde es für Winehouse aber auch dank brutaler medialer Ausleuchtung einer Maschinerie, die via Internet und Fotohandys jeden kleinen Ausrutscher überdimensional aufbläst. Dazu kamen all die gedruckten Magazin-Geschichten, die teils lustvoll eine Frau am Boden zur Schau stellten. Und eine Musikindustrie, die einer angeschlagenen jungen Künstlerin keine Auszeit gewährte, die immer wieder auf frische Songs drängte und sie auf Konzertreisen trieb, die sie kaum noch bewältigen konnte. Zuletzt ließ sich Winehouse an Orten wie Dubai und Belgrad von der Bühne buhen.
Es bleibt die Frage, warum es keinem gelang, ihr die so dringend benötigte Hilfestellung zu bieten. Ihr Vater, der Taxifahrer, nahm nun auch eine Platte auf, ihr Bruder schrieb in Zeitungen über die Schwester. Ihr Produzent und zeitweilig enger Vertrauter Mark Ronson sagte allerdings auch, dass jemandem nur zu helfen ist, wenn er auch Beistand sucht.
Mit Ronson spielte Winehouse im vergangenen Jahr noch eine erstaunlich vitale Version des Sixties-Hits "It's My Party" ein. Aber nun ist Amy Winehouse doch in die Finsternis entschwunden, die sie so leidenschaftlich in ihren eigenen Songs besang: "You go back to her, and I go back to black." Was für ein Verlust.