Zum Tode Rowland S. Howards Geier unter Starkstrom

Keiner spielte den Blues-Punk so blutig und risikofreudig wie er. Mit seinen Gitarrenriffs beeinflusste der Australier Rowland S. Howard Legionen von Bands - ohne selbst je kommerziell erfolgreich zu sein. Jetzt starb der Weggefährte von Nick Cave im Alter von nur 50 Jahren.

Nick Cave

Natürlich hatte man Angst vor ihm. Als Rowland S. Howard Anfang der Achtziger im Alter von 20 Jahren mit in Melbourne die Birthday Party gründete, sah er bereits aus, als sei er gerade dem Reich der Toten entstiegen: klapperdürrer Körper, eingefallene Wangen, stechender Blick aus tiefen Augenhöhlen und eine gefährlich scharfkantig gekrümmte Nase. Wie ein Geier unter Starkstrom zuckte Howard mit nachlässig um die Schulter geworfener Gitarre und ewig brennender Zigarette im Mund an vorderster Bühnenfront herum. Wie viele Zuschauerzähne er mit seinem Gitarrenhals bei den entfesselten Konzerten der Birthday Party kaputt geschlagen hat, ist nicht bekannt. Es dürften etliche gewesen sein.

Wenn Nick Cave das lyrische Rückgrat dieser neben AC/DC und den Go-Betweens wichtigsten australischen Band aller Zeiten war, dann stellte Rowland S. Howard das eruptive Zentrum dar. Mit den verzerrten und kunstvoll verschleppten Blues-Riffs prägte er bei der Birthday Party eine ganz eigene, australische Variante des Punk, die bis heute zig großartige Musiker beeinflusst hat - von den Scientists über die Beasts of Bourbon bis zu den jungen Drones. So schwergängig, so blutig, so unbeeindruckt von Moden und Manierismen spielen nur die Australier den Blues.

Die Rigorosität, mit der Rowland S. Howard den von ihm entwickelten Depro-Punk auslotete, hatte allerdings schwerwiegende Folgen für seine Karriere. Länger als ein paar Jahre überlebte keiner seiner Bands. Ego- und Drogenprobleme, Zerstörungsdrang und Todessehnsucht hielten schon immer nach kurzer Zeit Einzug. Umso konsequenter stürzte er sich in Folgeprojekte. Nein, gute Laune war wohl nie sein Antrieb.

Bereits im zarten Alter von 16 schrieb Howard seinen einzigen richtigen Hit: Mit den Boys Next Door, bei denen ebenfalls der ihm in inniger Hassliebe zugetane Nick Cave sang, brachte Howard 1979 den Selbstmord-Song "Shivers" heraus - ein australisches Gegenstück zu dem etwas später veröffentlichten britischen Post-Punk-Hit "Love Will Tear Us Apart" von Joy Division. Zu furiosem Gitarrenfeedback, das klirrte wie Eiszapfen an einer Grabplatte, ließ Howard gleich in der ersten Zeile verkünden: "I've been contemplating suicide."

Der Suizid war zum Glück (und im Gegensatz zu Joy Divisions Ian Curtis) dann doch keine ernsthafte Option für ihn. Sein mehr als ein Jahrzehnt praktizierter Heroinkonsum aber brachte Rowland S. Howard immer wieder in den Grenzbereich zwischen Leben und Tod.

Die eigene Sterblichkeit reflektiert

Auf der Bühne indes verbreitete der zeitweise unter eher elenden Bedingungen in Melbourne, London und Berlin arbeitende Künstler stets einen schwarzen Glanz - Mitte der Achtziger zum Beispiel bei Crime And The City Solution und nach deren unvermeidlichem Ende bei These Immortal Souls, wo er noch einmal im Stile der Boys Next Door Gitarrenlärm in herzzerreißend schönen Pop verwandelte. 1992 freilich verschwand auch dieses Ensemble von der Bildfläche - und mit ihm Rowland S. Howard.

Das verlorene Jahrzehnt der Neunziger - neben einigen Auftritten mit Lydia Lunch, Nick Cave und den Beasts Of Bourbon passierte nicht viel - beendete er schließlich im Jahr 2000 mit dem grandiosen Solo-Comeback "Teenage Snuff Film". Danach vergingen allerdings fast wieder zehn Jahre, bis ein weiteres Album folgte. "Pop Crimes" lautet der Titel des hierzulande leider unveröffentlichten Werkes, für das der auf dem Coverfoto sichtlich angeschlagene Künstler auch die eigene Sterblichkeit reflektierte. Im Titelsong klagt er: "'I guess that I won't see you tomorrow/ On this, our planet of perpetual sorrows''. (Vermutlich werde ich euch morgen nicht mehr sehen/ Auf diesem Planeten unaufhörlichen Leidens.)

Schon vor längerer Zeit war Leberkrebs bei ihm diagnostiziert worden. Am Morgen des 30. Dezember erlag Rowland S. Howard - von europäischen Medien bislang fast unbemerkt - in einem Krankenhaus in Melbourne im Alter von 50 Jahren seinem Leiden.

Keine zwei Monate zuvor hatte der große Vergessene des australischen Punk in einem kleinen Club noch ein letztes Konzert gegeben. Er soll beim Singen bereits Blut gespuckt haben. Natürlich ließ er sich davon nicht beeindrucken, dem Vernehmen nach brachte er den Auftritt mit gewohnt beängstigender Rigorosität über die Bühne. Beim Musikmachen zu bluten, das war für Rowland S. Howard nichts Neues.

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