Zur Ausgabe
Artikel 74 / 119

»Muskeln brauche ich nicht«

Die zweifache Oscar-Preisträgerin Jodie Foster, 42, über ihren neuen Film »Flight Plan«, Altern in Hollywood und das Faszinierende an Leni Riefenstahl
aus DER SPIEGEL 41/2005

SPIEGEL: Ms Foster, Ihr neuer Film »Flight Plan«, der am 20. Oktober ins Kino kommt, spielt am Anfang in Berlin, Sie sprechen darin sogar Deutsch, der Regisseur Robert Schwentke stammt aus Stuttgart, und zudem planen Sie seit Jahren einen Film über Leni Riefenstahl. Beginnt nun die deutsche Phase Ihrer Karriere?

Foster: Ich habe mein Deutsch jedenfalls intensiv trainiert. Ein paar Brocken waren noch aus meiner Kindheit übrig, denn meine Mutter hat mich damals oft mit in deutsche Filme genommen. »Flight Plan« habe ich nicht zuletzt deshalb gemacht, weil mir Schwentke als Typ gefallen hat. Ich glaube, er besitzt jede Punk-Platte auf Vinyl. Er kann Szenen aus obskuren Filmen der zwanziger Jahre zitieren, sammelt Kochbücher und kennt sich sogar mit amerikanischen Weinen aus: ein richtiger Renaissance-Mann. Wenn jemand zuvor erst zwei Kinofilme gemacht hat wie er, ist es natürlich immer ein Risiko. Manchmal funktioniert es überhaupt nicht. Diesmal hat es geklappt: »Flight Plan« ist im Moment der erfolgreichste Film in den USA.

SPIEGEL: Sie spielen darin eine Mutter, Kyle Pratt, die auf einem Transatlantikflug verzweifelt nach ihrer verschwundenen Tochter sucht. Crew und Mitreisende behaupten, das Mädchen sei nie an Bord gewesen. Hat es Sie gereizt, eine Frau zu spielen, die allein gegen alle kämpfen muss?

Foster: Ja, man sieht fast in Echtzeit zu, wie Kyle in sich zusammenfällt. Das fand

ich spannend. Aber natürlich waren auch persönliche Gründe ausschlaggebend. Als Mutter fragt man sich ständig, was man tun würde, wenn das eigene Kind plötzlich weg wäre.

SPIEGEL: Mutterschaft, Familie - sind das für Sie zentrale Begriffe?

Foster: In meinen Filmen geht es immer um Psychologie, und Psychologie hat mit Familie zu tun. Auf den zweiten Blick schauen Sie in meiner Arbeit deshalb immer in Familienstrukturen.

SPIEGEL: Hat »Flight Plan« Sie zur Expertin für Verlustängste gemacht?

Foster: Ich habe bei den Dreharbeiten einiges durchlitten. Tagelang musste ich so viel Kummer, Leid und Verzweiflung spielen. Das war anstrengend. Kyle hat ja nur am Anfang einen nüchtern-rationalen Blick auf die Welt. Sie ist Ingenieurin, entwirft Flugzeugdüsen, ist es gewohnt, dass sich alles nach ihren Vorgaben entwickelt.

SPIEGEL: Doch dann stirbt ihr Mann in Berlin ...

Foster: ... und sie behält trotzdem die Kontrolle und lässt keine Gefühle zu. Aber was soll sie auch machen? Wenn es einen Unfall gibt, wenn dein Leben auseinander bricht und du Kinder hast, kannst du nicht einfach auf dem Boden liegen bleiben. Du musst aufstehen, Kleider zusammensuchen, etwas zu essen finden. Doch dann passiert wieder etwas Furchtbares: Kyles Kind ist weg, vielleicht wurde es verletzt, vergewaltigt oder umgebracht. Und sie kann es nicht finden. Niemand hilft ihr, niemand glaubt ihr. Jeder an Bord kann der Entführer sein. Jetzt stellt sie alles in Frage, auch ihren eigenen Geisteszustand.

SPIEGEL: Familienwerte spielen in der politischen Debatte Amerikas eine große Rolle. Feiert jetzt auch Hollywood wieder die klassische Lebensgemeinschaft?

Foster: Diese Begriffe sind so aufgeladen, von der politischen Rechten derart in Beschlag genommen worden, dass ich sie lieber gar nicht diskutieren möchte.

SPIEGEL: Die Mutter in »Flight Plan« hat eine einfache Philosophie: Wer nicht für mich ist, ist gegen mich. Das klingt ein bisschen ...

Foster: ... wie die alte Rede von George W. Bush. Ich würde das aber nicht politisch deuten. In diesem Fall wird eine Mutter zur Löwin und reißt ohne Ansehen der Person alles nieder, um ihre Tochter zu retten. Meine Figuren sind nie weiße Ritter. Sie fallen ihren eigenen Fehlern zum Opfer - auch ihren rassistischen Vorurteilen.

SPIEGEL: Im Film gibt es einen Konflikt zwischen weißen Passagieren und Arabern, die als Entführer verdächtigt werden.

Foster: Es geht hier um Amerika nach dem 11. September 2001. Zwar ist unsere Lebenswelt sehr international geworden, aber wenn solche Anschläge passieren, fallen die Leute automatisch auf ihre Instinkte zurück. Dann suchen sie ihr Umfeld nach Rassenzugehörigkeit ab, dann schauen sie auf arabische Gesichter und beschuldigen sie.

SPIEGEL: Ist es legitim, solche Gefühle zu entwickeln? Haben Sie Angst, wenn Sie eine Gruppe von Arabern beim Check-in sehen?

Foster: Es liegt in der menschlichen Natur. Ich habe keine Lust, weichgespülte Personen zu spielen. Man kann nicht nur die angenehme und nette Seite der Leute zeigen, man muss auch ihre tiefverwurzelten schrecklichen Charakterzüge darstellen.

SPIEGEL: Flugzeug-Thriller ohne Bezug auf die Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon sind wahrscheinlich nicht mehr denkbar?

Foster: Der 11. September hat alles verändert. In Situationen wie in meinem Film würde jeder Passagier das ähnlich empfinden - vor allem, wenn er Amerikaner ist.

SPIEGEL: Ihr letzter Thriller »Panic Room« hat vor drei Jahren weltweit knapp 200 Millionen Dollar eingespielt. Ihre Darstellung in »Das Schweigen der Lämmer« hat Ihnen einen Oscar gebracht, den zweiten Ihrer Karriere. Angst spielt in diesen Filmen offensichtlich die Hauptrolle. Liegen Ihnen Komödien nicht?

Foster: Ich mag Thriller, ich liebe die Spannung, und ich spiele gern die Figur, die über zwei Stunden für Spannung sorgt.

SPIEGEL: Sie sind zurzeit eine der kommerziell erfolgreichsten Schauspielerinnen Hollywoods - und die wichtigste im Thriller-Fach. Was machen Sie bei Action-Filmen anders als Ihre männlichen Kollegen?

Foster: Ich versuche jedenfalls nicht, ihr Verhalten zu kopieren. Ich bin nur 162 Zentimeter groß. Mit einer Uzi und dicken Muskeln brauche ich also gar nicht aufzutauchen. Meine Heldinnen gehen gewöhnlich einen psychologischen Weg, so wie im »Schweigen der Lämmer«. Es geht nicht um mehr Kampfszenen, Verfolgungsjagden oder dergleichen. Bei meinen Heldinnen drehen sich die Räder im Gehirn einfach schneller. Sie müssen intellektuell kreativer sein, sonst schaffen sie es nicht.

SPIEGEL: Warum haben Sie vor »Flight Plan« drei Jahre lang keinen großen Film mehr gedreht?

Foster: Ich habe zwei kleine Kinder. Um sie für eine Weile zu Hause zurückzulassen, brauche ich schon ein sehr spannendes Projekt. Ich bin die Mutter, die zu Hause sitzt und fragt: Wie war dein Tag? Ich stelle hohe Erwartungen an mich in meiner Elternrolle: Ich möchte Thanksgiving mit den beiden nicht verpassen. Ich will mit ihnen Halloween-Kostüme kaufen, ich will sie selbst zum Doktor bringen.

SPIEGEL: Sie haben Ihre Karriere als sechsjähriger Kinderstar begonnen. Empfehlen Sie Ihren Söhnen den gleichen Weg?

Foster: Das ist kein Leben, zu dem ich junge Leute ermutigen würde. Aber natürlich müssen sie selbst entscheiden.

SPIEGEL: 1976 spielten Sie neben Robert De Niro eine minderjährige Prostituierte in Martin Scorseses Film »Taxi Driver« - während einer der kreativsten Phasen im amerikanischen Kino. Trauern Sie dieser Zeit der großen, wagemutigen Filme nach?

Foster: Manchmal schon. Ich lese ständig Drehbücher, aber ich finde nichts, was mich wirklich berührt. Es ist heute schwer, die richtige Kombination aus gutem Plot und passendem Regisseur zu finden. Ich werde unglücklich, wenn der Regisseur ein Schwachkopf ist. Daher achte ich inzwischen nicht mehr nur aufs Drehbuch, sondern wähle vor allem den richtigen Regisseur aus: einen, der sich um mich kümmert und für den ich durchs Feuer gehen würde. Zudem bin ich inzwischen 42, und für Frauen über 40 gibt es wenig Rollen.

SPIEGEL: Kann Altern in Hollywood auch Vorteile bringen?

Foster: Jede Menge! Ich muss mich zum Beispiel nicht mehr darum kümmern, wie ich aufs Cover von Hochglanzmagazinen komme. Und ich muss nicht mehr bestimmte Sachen anziehen, bloß weil es von mir erwartet wird.

SPIEGEL: Kürzlich haben Sie irgendwo gesagt, dass Sie jetzt nicht mehr fürchten müssen, als Freundin von Tom Cruise besetzt zu werden.

Foster: Dafür bin ich nun wirklich zu alt! Ich habe recht früh in meiner Karriere entschieden, dass ich nur zwei Arten von Filmen machen will. Entweder ich bin die Hauptperson und folglich nicht die Freundin oder Geliebte von irgendjemandem; oder es handelt sich um einen unabhängig produzierten Film, in dem es eine faszinierende Nebenrolle für mich gibt. Viele junge Schauspielerinnen machen aber genau das Gegenteil: Sie hängen sich an einen männlichen Star dran. Dann liegt die ganze Last für den Erfolg des Films auf seinen Schultern.

SPIEGEL: Was planen Sie für die Zukunft?

Foster: Ich freue mich schon jetzt darauf, eine alte Schauspielerin zu sein. Momentan, zwischen 40 und 55 oder 60, ist es ein schwieriges Alter. Aber danach möchte ich Rollen spielen wie Simone Signoret 1977 als gealterte Puffmutter in »Madame Rosa«. Ehrlich gesagt, ich sehe sonst niemanden, der von solchen Rollen träumt.

SPIEGEL: Vorher wollen Sie ja noch das Leben von Leni Riefenstahl verfilmen. Was reizt Sie an einer Frau, die Hitlers Regime und die Nazi-Parteitage verherrlicht hat?

Foster: Sie hatte einen ganz erstaunlichen Charakter. Ich finde sie gerade in ihren Widersprüchen faszinierend: Sie ist die am meisten bewunderte Regisseurin aller Zeiten - und zugleich wurde sie für ihre Zusammenarbeit mit den Nazis geschmäht wie kaum eine andere Künstlerin.

SPIEGEL: Sie haben sie in hohem Alter kennen gelernt.

Foster: Es war 15 Jahre vor ihrem Tod, sie versuchte, die Rechte an ihrer Autobiografie zu verkaufen. Wir haben erst telefoniert, dann haben wir uns getroffen.

SPIEGEL: Haben Sie sie gemocht?

Foster: Ja. Sie war sehr charmant. Und sie hatte bis zum Schluss einen scharfen Verstand. Unser Film wird sehr viel über Moral zu sagen haben. Die Leute werden aus dem Kino gehen, zwei Stunden darüber diskutieren und einander hassen, weil sie nicht der gleichen Meinung sind.

SPIEGEL: Riefenstahl hat ihre Mitverantwortung für die Herrschaft der Nazis durch Propagandafilme wie »Triumph des Willens« nie akzeptiert.

Foster: Und sie hat sich kein einziges Mal entschuldigt. Ich bekomme gerade eine neue Drehbuchfassung, und ich werde die Rolle nicht spielen, wenn ich nicht glaube, dass man den Film rechtfertigen und verteidigen kann.

SPIEGEL: Ist Hollywood mit seiner klaren Rollenaufteilung in Helden und Bösewichte denn der richtige Ort für ein Projekt wie dieses?

Foster: Nein, deshalb wurde die Drehbuchentwicklung bislang ja in Deutschland finanziert. Wir hoffen wirklich, dass wir provokative Fragen aufwerfen können, ohne dieses in den USA übliche Schwarz-Weiß-Schema. Nehmen Sie zum Beispiel den Film »Der Untergang«. Zwei Stunden lang sieht man keinen Amerikaner, keinen Juden. Nur diese Bunkeratmosphäre mit Nazis, schlechten Nazis, guten Nazis, betrunkenen Nazis. Eine Momentaufnahme der letzten Tage des Regimes. Das war faszinierend. In Amerika wäre dieser Film niemals entstanden.

SPIEGEL: Ms Foster, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Das Gespräch führte Redakteur Frank Hornig in Los Angeles. * 1936 in Berlin bei den Dreharbeiten zu ihren Olympia-Filmen »Fest der Schönheit« und »Fest der Völker«.

Zur Ausgabe
Artikel 74 / 119
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren