SPORTWAGEN Mythos für Pfeifenraucher
Auf dem Flug nach Kalifornien zückte Sherwood Egbert, Generaldirekter der amerikanischen Studebaker-Automobilwerke unvermittelt einen Notizblock,und entwarf hastig eine Skizze. In 11 000 Meter Höhe entstanden die Umrisse eines neuen Automobils.
Wieder gelandet, präsentierte Egbert
die Zeichnung seinem Karosserie-Entwerfer Raymond Loewy. Der Formveredler ("Häßlichkeit verkauft sich schlecht") war von der luftigen Eingebung des Studebaker-Chefs angetan und machte sich daran, sie zu entwickeln.
Ein Jahr später war das Auto produktionsreif. Seit wenigen Wochen wird es an Kunden ausgeliefert: das windschnittige Sportcoupé »Avanti«. Es läßt sich mit einer Höchstgeschwindigkeit von über 220 km/st chauffieren, in sieben Sekunden von null auf 100 km/st beschleunigen. »Time": »Eine Leistung, die sich mit den heißesten europäischen Sportwagen messen kann.«
In der Tat erhofft Studebaker, mit Hilfe des »Avanti« jene Sportwagen auszustechen, die den größten und lukrativsten Sportwagenmarkt der Welt - die USA - bislang uneingeschränkt beherrschten: europäische Sportcoupés und Roadstar, die vorwiegend aus englischen, italienischen, deutschen und schwedischen Werken stammen.
Derselben Zielsetzung entspricht das technische Konzept eines zweiten neuen amerikanischen Sportwagens, des »Sting Ray« (Stachel-Rochen) der Firma, Chevrolet, der kurz nach dem »Avanti« vorgestellt wurde.
Der »Umschwung in Richtung der europäischen Sportwagentradition« (so die Schweizer »Automobil Revue") lag für die Amerikaner nahe: Europäische Sportwagen-Produzenten hatten seit 1952 jährlich etwa 50 000 Automobile in den USA absatzen können - vom britischen Zwerg-Roadster Austin-Healy Sprite (2100 Dollar) bis zum exklusiven italienischen Gran-Turismo-Renner Ferrari 250 GT (14 000 Dollar).
Die Tendenz blieb steigend. »Mein größtes Problem ist es, genügend Wagen zum Verkauf heranzuschaffen«, erklärte der New Yorker Sportwagen-Importeur Robert Grossmann.
Das deutsche Porsche-Werk hat ähnliche Probleme. Die Stuttgarter Firma steigerte ihren US-Export von 2976 Wagen im Jahre 1960 auf 3114 im vergangenen Jahr; Schätzziffer für 1962: 3300. Verkaufsleiter Wolfgang Raether angesichts der begrenzten Produktionskapazität der Porsche-Werke: »Wir könnten weit mehr absetzen.« Mercedes-Benz verkaufte im vergangenen Jahr 56 Prozent aller exportierten Sportwagen (300 SL und 190 SL) in den USA: »Für unsere Sportwagen nach wie vor ein sehr wichtiger Markt.«
Die von Detroit mit Hilfe der Kompaktwagen-Serien (SPIEGEL 9/1960) gestartete Generaloffensive gegen den gesamten Automobil-Import aus Europa bewirkte zwar, daß die Einfuhr von 614 331 Fahrzeugen (1959) auf 378 622 Wagen (1961) schrumpfte. Der Rückschlag traf aber nur die Hersteller von gängigen Serien-Modellen (mit Ausnahme des Volkswagenwerkes das seinen Export nach den USA auch im letzten Jahr noch erheblich steigern und 200 000 Wagen verkaufen konnte).
Die europäischen Sportwagen erwiesen sich gegen Detroits Attacke gefeit. Einbußen der englischen Sportwagen-Hersteller im US-Geschäft waren allein auf Streiks zurückzuführen.
Als populärstes ausländisches Sportfahrzeug in den USA entpuppte sich 1961 und im ersten Halbjahr 1962 das schwedische Volvo-Auto »P 1800« (11 500 US-Verkäufe 1961). Es folgten: die englischen Sportwagen Triumph (rund 10 000 US-Verkäufe), MG, Austin-Healy Sprite und Sunbeam Alpine, Fiat, Porsche, Mercedes-Benz, Jaguar und Alfa Romeo.
»Die, Amerikaner«, so erklärte die Fachzeitschrift »Auto, Motor und Sport« diesen Dauer-Erfolg, »kaufen die kleinen Autos aus dem kleinen Europa, weil sie einen Hauch kontinentaler Solidität mitbringen. Ein Jaguar, ein Mercedes und ein Porsche sind noch in gewissem Maße Selbstzweck, sie sind Technik an sich. Amerikanische Autos dagegen sind Konsumware.«
Sie bieten zwar, je nach Preisklasse, mehr Komfort, Innenraum und Luxus als Fahrzeuge anderer Provenienz. Auf einen Knopfdruck hin öffnen und schließen sich die Schiebedächer, heben und senken sich die Seitenscheiben. Heizung und Belüftung werden automatisch geregelt, die PS-starken Motoren automatisch geschaltet, Bremsen und Lenkung automatisch verstärkt.
Gegenüber diesem satten Luxus haben die spartanisch ausgerüsteten europäischen Sportwagen ein für amerikanischen Geschmack erfrischendes Air. Sie
appellieren an die geheimen Sehnsüchte von »Männern, die Pfeife rauchen«, wie der Stuttgarter Automobil-Feuilletonist Fritz B. Busch den abendländischen Motor-Mythos zu umschreibein pflegt.
Von extrem teuren Modellen abgesehen, sind die europäischen Autos unbequem (wie der Austin-Healy Sprite), zugig (wie der MG) und durchweg hart gefedert. Sie sind weder mit automatischen Brems- noch mit Lenkhilfen ausgestattet und bieten normalerweise
nicht einmal den kargen Luxus gängiger Konsum-Autos.
Von den unbestreitbaren technischen Vorzügen europäischer Sportwagen zeigten sich die Amerikaner freilich gleichermaßen fasziniert. Es entsprach den Erfordernissen sportlichen Fahrens, daß die Europaer das Fahrwerk ihrer Wagen, (Vorderachse, Hinterachse, Federung, Stoßdämpfer, Radaufhängung) in mühseliger Arbeit sorgfältig abgestimmt hatten. So ließen sich die Automobile selbst bei Nässe und in schwierigen Kurven mit hohem Tempo fahren. In Detroit hingegen war es, üblich, die Fahrwerkstechnik zugunsten des Kabinen-Komforts zu vernachlässigen.
So brachten die Ford-Werke Mitte der. fünfziger Jahre, den Zweisitzer Thunderbird heraus, der als Sportwagen deklariert war. Der mit typischem Komfort amerikanischer Konsum-Autos - etwa elektrisch versenkbarem Verdeck
- ausstaffierte Wagen taugte aber allein
schon wegen seines Gewichts von zwei Tonnen (Porsche-Seriensportwagen: 900 Kilogramm) kaum zu scharfen Kurvenfahrten.
Nur ein einziger wirklicher Sportwagen wurde während der letzten zehn Jahre in den USA gefertigt: Chevrolets Corvette, ein 300-PS-Wagen, aus dem nun auch der neue »Sting Ray« entwickelt wurde. Damit begann eine neue Ära im amerikanischen Automobilbau.
Denn »dieses Automobil«, so kommentierte der deutsche Auto-Tester Reinhard Seiffert, »ist technisch hochinteressant, keine europäische Automobilfabrik brauchte sich seiner zu schämen«.
Das Fahrwerk des Wagens gilt, an amerikanischen Maßstäben gemessen, als sensationell: Die Hinterräder sind was für gute Straßenlage wichtig ist an einer modernen Doppelgelenkachse aufgehängt.
Die Doppelscheinwerfer sind einziehbar, um den Wagen bei schneller Fahrt
windschlüpfiger zu machen. Zwar ist
die Karosserie sichtlich amerikanischer Machart: Breite Grill-Attrappen zieren die Motorhaube, beide Flanken sind durch Imitationen von Luftauslaßschlitzen geschmückt. Aber es ist dennoch, wie »Auto, Motor und Sport« feststellte, »ein echter Gran-Turismo-Sportwagen im europäischen Sinne«. Chevrolet will im nächsten Jahr etwa 20 000 »Sting Ray« (Preis: ab 4037 Dollar) fertigen.
Demgegenüber wurde das neue Studebaker-Auto »Avanti« von Sportwagen-Importeuren in den USA bereits als »rollender Gasbadeofen« bespöttelt. Kritiker werteten den Wagen weggen seines herkömmlichen Fahrwerks nicht als bedrohlichen Konkurrenten für europäische Sportwagen.
Dabei hatte Karosserie-Schneider Raymond Loewy bewußt auf alle äußeren Attribute des amerikanischen Luxus-Automobilismus verzichtet. Er baute einfache Scheinwerfer ein und ließ die Einstromöffnung für die Kühlerluft unterhalb der betont zarten vorderen Stoßstange verschwinden.
Innen bereicherte Loewy den Sportwagen ohne Kühlergrill auf ungewöhnliche Weise: Einige der Bedienungsschalter installierte er oberhalb der Windschutzscheibe unter dem Dach (wie in einer Flugzeugkanzel); alle Instrumente können wie Flugzeugarmnaturen durch mattes Rotlicht illuminiert werden. Aus Sicherheitsgründen ließ Loewy dem »Avanti« einen stählernen Rollbügel einbauen, wie ihn normalerweise nur Rennwagen aufweisen.
Studebaker plant, bis Ende des Jahres 5000 bis 6000 »Avanti«, 1963 rund 12 000 bis 15 000 zu fertigen (Preis: ab 4090 Dollar). Beide neuen US-Sportwagen liegen mithin noch unter dem US-Preis für den billigsten Porsche-Sportwagen (4178 Dollar).
Weitere Konkurrenz zeichnet sich für die Europäer bereits ab: Auch die Ford, Motor Company hat einen 1,5-Liter-Sportwagen ("Mustang") zur Produktionsreife entwickelt. Ob er auf dem Markt erscheinen wird, hängt allerdings davon ab, wie weit sich »Avanti« und »Sting Ray« gegen die europäischen Autos durchsetzen werden.
Porsche-Verkaufsleiter Raether jedenfalls glaubt nicht, daß Amerikas Sportwagen die europäische Vormachtstellung brechen können. Raether: »Der 'Sting Ray' ist bestimmt ein gutes Auto, aber er könnte zehnmal besser sein als Ferrari, Mercedes oder Porsche
- die Amerikaner würden doch die
Europäer kaufen, weil sie den ,continental flair' wollen.«
Käme der Chevrolet »Sting Ray« aus Deutschland oder England so schätzte Raether, »ließe sich die dreifache Menge von ihm verkaufen«.
Neuer US-Sportwagen »Sting Ray": Gegen die Konkurrenz aus Europa..
... ein Stachel-Rochen und ein Bade-Ofen: Neuer US-Sportwagen »Avanti«