FILM / BLOW UP Nach der Sinnflut
Der Mord hat seine Schuldigkeit getan: Der mysteriöse Kriminalfall im neuen Antonioni-Film »Blow up« ließ Kritiker zu spekulativen Höhenflügen abbeben; zahlende Kinogänger rätselten untereinander.
Doch das kunstvolle Dunkel um den toten Mann im Park -- ist er Realität oder Blendwerk? -- wird jetzt »heller: Der Tote, der kanadische Schauspieler Ronan O'Casey, hat gesprochen.
»Etwa ein Viertel des ursprünglich geplanten Films«, sagt O'Casey, »wurde nie gedreht« -- darunter jene Szenen, die Klarheit in den Mordfall bringen.
»Blow up«, der erste Populärfilm des italienischen Morbidezza-Cinéasten Michelangelo Antonioni, 54, war beim diesjährigen Cannes-Festival mit dem Hauptpreis, der »Goldenen Palme«, geehrt worden. In den Kinos der westlichen Welt erreicht das Lichtspiel Rekordlaufzeiten.
Der mit Pop, Chic und Sex verklärte Farbfilm berichtet vom Londoner Modephotographen Thomas (David Hemmings), der im Park ein Liebespaar knipst und damit in eine seltsame Affäre gerät.
Denn das Park-Mädchen (Vanessa Redgrave) fordert dringlich den Film und bedrängt den Photographen später auch in seinem Atelier, wobei es völlig offen bleibt, wie sie zu der Atelier-Adresse kam. Thomas er war nie ein Kavalier -- genießt die Dame und läßt sie mit einer leeren Filmspule ziehen.
Beim Vergrößern (englisch: blow up) der Park-Bilder wird dem Photographen deutlich, warum die Dame drängte: Im Gesträuch erblickt er einen Pistolenmann, das Mädchen scheint den ältlichen Liebhaber in Schußrichtung zu drängen, und zuletzt ragt er als Leiche ins Bild.
Thomas eilt in den inzwischen düsteren Park und findet den toten Mann. Aber als er zurück ins Atelier kommt, sind die Mord-Bilder verschwunden, und als er nochmals den Park aufsucht, ist auch der Leichnam weg. In einer skurrilen Schlußszene, einer Tennis-Pantomime, nährt Antonioni den Verdacht, daß der Photograph Halluzinationen hatte.
Das vage Vexierspiel, in dem noch mehr Geheimnisvolles vorgeht, schickte die Rezensenten auf Sinn-Suche. Uwe Nettelbeck ("Die Zeit") erklärte, Antonionis Film ende, wie sonst Krimis anfingen, »weil hinter der Frage, ob auf den Photos nun ein Mord zu sehen war oder ob Thomas nur geträumt hat, die wichtigere Frage wartet, ob dies nicht vielleicht gleichgültig ist«.
Enno Patalas ("Filmkritik") vermutet: »Vielleicht reproduzieren die Vergrößerungen nur eine geheime Vision des Photographen, der sich mit seiner Apparatur identifiziert«, und folgert: »Der Mann mit dem Revolver ist das verborgene Ich des Mannes mit der Kamera.«
»Etwas zieht sich zusammen und löst sich wieder auf, ohne Spuren zu hinterlassen«, schrieb Geno Hartlaub ("Sonntagsblatt") nach dem Kinogang und resignierte: »Was ist geschehen? Wir wissen es nicht, wir werden es niemals erfahren.«
Ronan O'Casey, der tote Mann im Park, weiß es: Er kennt den Mörder, durchschaut das Komplott und gibt die Gründe, warum alles so verdunkelt wurde -- als er sich bei Antonioni erkundigte, warum eine wichtige O'Oasey-Szene nicht gefilmt werde, sagte ihm der Regisseur: »Uns Ist das Geld ausgegangen, und wir müssen aufhören zu drehen.«
Die Szene sollte O'Casey und Vanessa Redgrave bei der Autofahrt zum Mord-Park zeigen, und Vanessa Redgrave war gehalten, im Rückspiegel den nachfolgenden Wagen zu beobachten -- das Gefährt des Mordbuben, den sie gedungen hat, damit er im Park den lästigen Liebhaber erschießt.
·Den Killer, vom englischen Schauspieler Dyson Lovell verkörpert, bekommt der Kinogänger im Film kurz zu Gesicht: Er beschleicht das Café, in dem der Photograph einem Freunde Bilder zeigt, hantiert dann an dem Photographen-Rolls-Royce und entweicht.
Lovell, so sollte eine andere ungedrehte Szene offenbaren, liebt Vanessa Redgrave und durch ihn findet sie auch quick ins Atelier: Er ist der Bruder einer Maler-Geliebten (Sarah Miles), die bei (mit?) dem Photographen verkehrt.
Die dermaßen rekonstruierte Krimi-Handlung lichtet die metaphysischen Nebel und leuchtet ein -- nicht Antonioni und seinem Produzenten und Geldgeber Carlo Pontí. » Alles erfunden«, sagt Ponti, und der Regisseur: »Ponti gab mir alles, was ich wollte.«
Antonioni, der Kinokritiker »Idioten« heißt und Schauspieler »Kühe« nennt, ist weiteren Selbstdeutungen abhold: »Ich hasse meine Filme und will nicht über sie sprechen.«
Die Kritiker sprechen für ihn. Doch als klares, planes Mordlichtspiel hätte »Blow up« kaum ihre Sinnflut ausgelöst.
* Linkes Bild: Vanessa Redgrave Ronan O'Casey. Mittleres und rechtes Bild: Szenen mit dem Mörder-Darsteller Dyson Lovell.