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BUCHHANDEL / LADENKETTEN Nach Gängigkeit

aus DER SPIEGEL 14/1971

»Die wirtschaftliche Entwicklung des Sortimentsbuchhandels ist alarmierend«, so tönt es aus dem Hause Bertelsmann in Gütersloh.

»Der Sortimentsbuchhandel befindet sich in absoluten Schwierigkeiten«, so konstatiert der Hamburger Büchergrossist Kurt Lingenbrink.

»Alle Buchhandlungen mit einem Umsatz unter 250 000 oder gar nur 200 000 Mark jährlich sind dem Verderben geweiht«, so prophezeit der Frankfurter Erfolgsbuchhändler Hermann Montanus. Und auch die Fachzeitschrift »Buchmarkt« unkt: »Die Kleinen müssen sterben.«

Es ist nicht mehr zu überhören: Die Lage -- oder doch zumindest »die neueste Stimmung im Sortimentsbuchhandel« ("Buchmarkt") -- war noch nie so ernst.

Die Lage: Der traditionelle Buch-Einzelhandel, in seiner Entfaltung durch Buchklubs, Buchversandfirmen und zunehmend Kaufhaus-Sortimente beschnitten und sowohl von der Überproduktion der Verlage wie vom Vormarsch mit dem Buch konkurrierender Medien bedrückt. krankt bei steigenden Sach- und Personalkosten und stagnierenden, unzulänglichen Umsätzen an Gewinnschwund. Rund zwei Drittel der etwa 7000 westdeutschen Buchläden machen weniger als die 250 000 Mark Jahresumsatz, die Montanus für überlebensnotwendig hält. Die Rendite liegt bei immer mehr Läden unter zwei Prozent.

Einer Verbesserung dieser Lage steht aber bei vielen Sortimentern nicht nur der Kapitalmangel entgegen« der etwa notwendige Investitionen zur Geschäftsmodernisierung verhindert, sondern auch jenes Syndrom »buchhändlerischer Erbkrankheiten«, das »Die Zeit« so beschrieb: »Ausgeprägter Individualismus, Aversionen gegen Kooperation und Rationalisierung und mangelhafte kaufmännische Fähigkeiten« -- dazu ein überständiges ständisches Kulturträger-Gehabe, das nichtbildungsbürgerliche Kunden eher abschreckt als einlädt. Zwei Drittel aller Deutschen betreten nie eine Buchhandlung.

Kurz: Der deutsche Buchhandel alter Art ist nicht auf der Höhe der Zeit. »Wenn nichts geschieht«, schrieb kürzlich die Münchner »Abendzeitung«, »droht Massenkonkurs.«

Was geschehen sollte, wissen seit gut einem Jahr insbesondere -- und nicht ohne Eigeninteresse -- die Krisen-Kassandras Bertelsmann, Lingenbrink und Montanus darzulegen: Sie empfehlen quasi die Edekasierung des Buchhandels Ladenketten mit koordiniertem Management sollen Modernisierungs-Investitionen und Rationalisierungs-Gewinne ermöglichen und die Branche der viel zu vielen kleinen, viel zu unrentabel wirtschaftenden Bücherkrämer aus ihren Engpässen ziehen.

Bertelsmanns »Freiwillige Handelskette im Sortimentsbuchhandel« und Lingenbrinks »Buchhandelsgesellschaft mbH« sind allerdings vorerst noch nur Projekte. Der Filialist Montanus dagegen hat es bereits vorgemacht: mit der Kette von bislang 32 Läden, die der Frankfurter Bahnhofsbuchhändler seit dem Sommer 1969 in 26 westdeutschen Städten aufgezogen hat. Bis 1975 will die »Montanus aktuell«-Gesellschaft, an der neuerdings der Hamburger Zeitschriftenverleger John Jahr beteiligt ist, die Zahl ihrer Filialen verdoppeln.

Das Beispiel, das die Montanus-Kette gibt, ist eindrucksvoll genug. In ihr hat Hermann Montanus die Konsequenz aus seiner Erkenntnis gezogen, daß »das Buch allein nicht mehr ausreicht, um den Umsatz zu garantieren, der nötig ist, wenn man sich in der Spitzenlage halten will": Die Montanus-Shops bieten neben Büchern auch Schallplatten und ein überaus reichhaltiges Sortiment an internationaler Presse.

Selbstbedienungsprinzip und gleichrangiges Nebeneinander von Büchern, Zeitungen und Schallplatten tragen laut Montanus dazu bei, »die Furcht vor der spezifischen Buchladen-Atmosphäre« abzubauen und somit neue, vor allem auch jüngere Käuferschichten zu erschließen. Während in der Buchhandlung konventionell-kulturstolzen Stils, wie Montanus meint, gerade der etwas unbedarfte Kunde oft »nicht als Geldbringer, sondern eher als Fremdkörper« angesehen werde, handelten seine Filialen nach dem Prinzip, »die Leute kommen zu lassen und nicht durch Ratschläge und Betreuungseifer abzuschrecken«. Als Selbstbedienungsläden brauchen sie auch nur ein Minimum an Personal.

Die wirtschaftlichen Vorteile des zentral gesteuerten Bucheinkaufs für alle Glieder der Kette -- höhere Rabatte der Verlage -, zentral betriebener Werbung und Erfolgskontrolle liegen auf der Hand. Keine Montanus-Filiale darf unter 400 000 Mark Jahresumsatz bleiben.

Den wohl wesentlichsten Rationalisierungseffekt erzielt der Kettenhändler indes mit der drastischen Beschränkung des Sortiments an gebundenen Büchern, der in Laden und Lager jeweils vorrätigen Anzahl von Titeln. (Das Montanus-Taschenbuchsortiment dagegen ist äußerst breit.)

Während die traditionelle durchschnittliche Buchhandlung ein Sortiment von 10 000 bis 20 000 Hardcovers unterhält, das sich insgesamt nur langsam umschlägt und entsprechend unrentabel ist, führt der Montanus-Laden im Durchschnitt nur 3000 gebundene Titel -- eine Auswahl, deren Gängigkeit schon mehr oder minder erprobt ist. Bestellungen auf nicht vorrätige Bücher -- ein wesentlicher, personalkostenintensiver Service der herkömmlichen Buchhandlung -- nimmt Montanus nicht an.

Beim Einkauf von Novitäten, besonders risikoträchtig, wird noch rigoroser rationalisiert: Von den jährlich etwa 30 000 Neuerscheinungen der Verlage führt Montanus in seinen Kettenläden jeweils nur zirka 200 Titel pro Saison. Ein neues Buch, das weniger als viermal im Jahr verkauft wurde, fliegt aus dem Sortiment.

Solche Beschränkung des Titel-Angebots, in der das Fachblatt »Buchmarkt« eine »Anpassung an den puren Kommerz« sieht, steht im Zentrum aller neuerdings propagierten Ketten-Konzepte, so unterschiedlich sie auch in anderen Punkten sein mögen.

»Selbstverständlich begrenztes Lager«, so antwortete der Kettenschmied Lingenbrink auf eine einschlägige Interview-Frage im »Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel« -- »begrenztes Lager nach der Gängigkeit, nach der neutralen Ermittlung der Gängigkeit von Titeln, über die ein Gremium von Sortimentern aus ihrer Erfahrung bestimmt.«

»Dispositionshilfen durch Analyse des Bücherangebots« verspricht, in feinem Fachjargon, das Haus Bertelsmann allen Buchhändlern, die sich unter seiner Anleitung verketten lassen wollen.

Natürlich, auch bei Bertelsmann soll die »Auswahl der empfohlenen Titel ... nach objektiven Gesichtspunkten unter Mitwirkung eines von den beteiligten Buchhändlern zu bildenden Sortimenter-Gremiums« erfolgen; denn: »Rationalisierung darf nicht zur Manipulation bzw. zur Literaturlenkung führen.

Jedoch: »Die Daten über den tatsächlichen Absatz werden ausgewertet und ergeben eine neue Dispositionsempfehlung.«

Was bei solcher Kettenreaktion schließlich außer der Sanierung des Sortimentsbuchhandels (sowie Bertelsmann- und Lingenbrink-Expansionen) noch herauskommen kann, das hat vor kurzem ein gewiß marktfernerer Büchermensch, der Hanser-Verlagslektor Jürgen Kolbe, ausgemalt.

Der Buchhandel, so schrieb Kolbe in der »Süddeutschen Zeitung«, der »seine Ware noch bis vor kurzem im Stil des einstigen Kolonialwarenladens »um die Ecke' an den Mann gebracht« habe, sei jetzt »kräftig dabei, den Rationalisierungsvorsprung anderer Branchen aufzuholen«. Dabei aber müsse »zwangsläufig auf der Strecke bleiben, was ihm unter den neuen Ein- und Verkaufsbedingungen nur noch als kläglicher Literaturluxus erscheinen« könne: »Egal ob Multimediashops (Montanus), Kettenläden (Bertelsmann, Lingenbrink, Rencontre) oder Kaufhaussortiment -- die neuen Buchläden der allernächsten Zukunft werden sich neben billigen Buchreihen und preiswert broschierter Aktualitätsware mehr oder weniger aufs Bestsellergeschäft beschränken.«

Kolbe bezeichnete seine Prognose selbst als »schwarz«.

Sah er vielleicht zu schwarz? Am Mittwoch dieser Woche macht eine der von Ihm gefürchteten Buchladenketten, der erst im Oktober 1970 hoffnungsvoll eröffnete »Rencontre-Lesemarkt« (sieben Geschäfte an Rhein und Ruhr), schon wieder zu.

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