Gestorben Carmen Herrera, 106

Ihre Bilder sind minimalistisch, nur von Flächen und Linien bestimmt. In der radikalen Serie »Blanco y Verde« ließ sie etwa spitz zulaufende grüne Dreiecke in weißen Raum hineinragen. Carmen Herrera war eine Meisterin der abstrakten Farbfeldmalerei, ihre Entwürfe speisten sich aus der Architektur und entstanden auf Millimeterpapier. Verweise auf sie selbst als Künstlerin sucht man in den knalligen Gemälden vergebens. Nicht mal Pinselstriche sind zu sehen, denn Herrera trug die Farbe mit einer Rolle so auf, dass die Oberflächen völlig glatt wirkten. Dieser technische Stil war höchst ungewöhnlich für eine Frau, zudem eine lateinamerikanische: Herrera wurde 1915 in Havanna geboren. Mit zehn Jahren erhielt sie ersten Zeichenunterricht, später studierte sie Malerei, Bildhauerei und Architektur. Sie zog 1939 nach New York, lebte auch einige Jahre in Paris, wo sie an Gruppenausstellungen teilnahm. Der Kunstmarkt ignorierte sie jahrzehntelang, dabei war sie mit ihren Bildern nicht weniger avantgardistisch als Kollegen wie Piet Mondrian. Ihre Schwarz-Weiß-Bilder aus den Fünfzigerjahren wirken heute wie Vorreiter der Op-Art. Doch in den USA, wo der abstrakte Expressionismus populär war, fand sie keine Galerie. Das kümmerte sie nicht: »Ich fand Ruhm eine vulgäre Sache. Ich habe einfach nur gearbeitet und gewartet«, sagte sie der »New York Times«. Erst 2004, mit 89 Jahren, verkaufte sie ihr erstes Bild. Whiskey und Steaks sollen ihr Rezept für ihr hohes Alter gewesen sein. Carmen Herrera starb am 12. Februar 2022 in New York.